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Die Coronapandemie beschleunigt den Trend zur Automatisierung des Einzelhandels. Selbstbedienungskassen und Bezahlen per Smartphone machen Beschäftigte überflüssig.
01.02.2021
Von Beatrice Repetzki | Berlin
Die Notwendigkeit zur Reduzierung von Kontakten in der Coronakrise gibt der Automatisierung im polnischen Einzelhandel Auftrieb. Die Handelsketten investieren kräftig in Selbstbedienungskassen, bei denen die Kunden ihre eingekauften Waren selbst registrieren. Außerdem schaffen sie Möglichkeiten, die Strichcodes der Waren mit dem Smartphone zu scannen und dann darüber die Einkäufe auf elektronischem Wege zu bezahlen. Das ersetzt das Kassenpersonal. Es entstehen sogar bereits Geschäfte, die ganz auf Personal verzichten.
Selbstbedienungskassen sind laut der Vorsitzenden der Marktforschungsfirma Inquiry Research, Agnieszka Górnicka, nicht nur in Lebensmittelgeschäften, sondern immer häufiger auch im sonstigen Einzelhandel zu finden. Gut zwei Drittel der Befragten sprachen sich laut einer Umfrage von UCE Research und SYNO Poland für eine weitere Ausbreitung dieser Kassen aus, 21,8 Prozent waren dagegen und 12,1 Prozent unentschieden.
Polens größte Discounter-Kette Biedronka hatte bereits in der zweiten Jahreshälfte 2019 nach eigenen Angaben über 1.100 Selbstbedienungskassen in gut 320 Filialen installiert. Im Jahr 2020 folgten über 2.500 solcher Kassen in 750 weiteren Geschäften.
Die französische Kette Carrefour bot Ende 2020 in 138 eigenen Filialen und Franchising-Märkten in Polen Selbstbedienungskassen an. Im Laufe des Jahres 2021 sollen rund 30 weitere Carrefour-Märkte damit bestückt werden. Das berichtet die Tageszeitung Rzeczpospolita.
Die deutsche Kette Lidl hatte im Januar 2021 Selbstbedienungskassen in über 300 Geschäften in Polen. Im Februar 2021 will sie laut der Sprecherin von Lidl Polska, Aleksandra Robaszkiewicz, ihre 2000. Kasse dieser Art aufstellen. Kunden, die über die App Lidl Plus verfügen, können zudem mit ihrem Smartphone mobil bezahlen, wenn sie die Option Lidl Pay nutzen.
Die Methode „Scan & Pay“, bei dem gar keine Kassen mehr benötigt werden, sondern die Bezahlung anhand der gescannten Codes mobil über Smartphone erfolgt, breitet sich auch in Polen immer weiter aus. Über ein solches System verfügen beispielsweise alle rund 1.500 polnischen Drogeriemärkte von Rossmann (Rossmann Go). Die Bezahlung erfolgt online per Bankkarte, Google Pay, Apple Pay, BLIK oder Überweisung. Auch Carrefour bietet sein System „Scan & Go“ in einer wachsenden Zahl seiner polnischen Filialen an.
Bei teureren Waren sind aufwändige RFID-Etiketten (Radio-Frequency Identification) im Kommen. Dabei stellt der Kunde seinen Einkaufskorb an die Kasse, die die darin enthaltenen Waren über das Signal erkennt und automatisch deren Preis anzeigt. Ein solches System bietet bereits der französische Sportausstatter Decathlon in Polen an. Auch bei der polnischen Bekleidungskette Reserved kommt ein ähnliches System auf.
Manche Händler testen Selbstbedienungsgeschäfte, die gänzlich ohne Personal auskommen. Die Lewiatan Holding S.A., die eine Handelskette für Waren des täglichen Bedarfs betreibt, schuf als Pilotprojekt ein entsprechendes Geschäft in Kraków (Krakau). Gegen Ende 2020 eröffnete Carrefour als Zweiter ein solches vollautomatisches Geschäft, um das Format zu testen. Als ein Vorteil gilt, dass Geschäfte ohne Personal auch an allen Sonntagen öffnen dürfen.
Der von der Coronakrise und den Lockdowns gezeichnete polnische Einzelhandel sucht nach Möglichkeiten, seine Verluste zu begrenzen. Durch den Trend zu Automatisierung und Digitalisierung gewinnt auch der Onlinehandel weiter an Bedeutung.
Die Verkäufe der Branche gingen 2020 laut dem Statistischen Hauptamt GUS real um 3 Prozent gegenüber 2019 zurück. Zuwächse verzeichnete nur das Segment Innenraumausstattungen, wozu elektronische Geräte, Hausgeräte sowie Möbel gehören, wenn sich auch die Dynamik deutlich abschwächte. IT-Ausrüstungen für Home Office, Home Schooling und Onlineeinkäufe sowie Unterhaltungselektronik sind in der Pandemie gefragt.
2018 | 2019 | 2020 | |
---|---|---|---|
Insgesamt | 6,2 | 5,4 | -3,1 |
Medikamente, Kosmetika, Orthopädiebedarf | 11,5 | 6,7 | -1,6 |
Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren | 0,9 | 0,9 | -1,9 |
Möbel, Haus-, Audio-, Videogeräte | 7,1 | 14,6 | 4,7 |
Sonstiges | 11,0 | 0,7 | -9,4 |
Brennstoffe | 8,0 | 2,5 | -9,9 |
Printmedien, andere Fachgeschäfte | 1,3 | 4,3 | -4,3 |
Kfz, Krafträder, Teile dafür | 6,1 | 8,1 | -12,3 |
Textilien, Bekleidung, Schuhe | 12,1 | 8,4 | -15,3 |
Nicht-spezialisierte Geschäfte | 5,9 | 9,9 | k.A. |
Der Anteil des Onlinehandels an den Einzelhandelsumsätzen stieg 2020 laut Santander Bank Polska auf etwa 8 Prozent (2019: 5,5 Prozent). Experten rechnen mit weiteren Investitionen in das Onlinesegment. Die Vorsitzende der Kammer für Elektronikwirtschaft (Izba Gospodarki Elektronicznej; IGE), Patrycja Sass-Staniszewska, schätzt die Umsätze des Onlinehandels 2020 auf eine Größenordnung von 22,5 Milliarden Euro.
Diese Umsätze würden hauptsächlich von kleinen und mittleren Firmen erwirtschaftet. Im Jahr 2020 seien rund 11.000 neue Online-Shops hinzugekommen. Gleichzeitig setzten laut Wirtschaftsauskunftei Bisnode fast 19.000 mit dem stationären Einzelhandel verbundene Firmen ihre Tätigkeit aus, gut 600 Geschäfte mussten zudem ganz schließen. Supermarkt- und Discounterketten vergrößerten dagegen ihr Filialnetz.