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Polens Transportsektor ist ein wichtiges Bindeglied in den europäischen Lieferketten. Auf den Straßen sind derzeit nur noch halb so viele Lkw unterwegs wie vor der Coronakrise.
16.04.2020
Von Beatrice Repetzki | Berlin
Bei der internationalen Güterfracht auf der Straße hielt Polen vor der Pandemie einen Marktanteil von 29,5 Prozent in der Europäischen Union (EU). Infolge der Coronakrise sinken die Bestellungen von Gütern und es gibt Einschränkungen beim grenzüberschreitenden Transport. Beides macht polnischen Spediteuren zu schaffen. Nach Angaben des Polnischen Wirtschaftsinstituts (Polski Instytut Ekonomiczny; PIE) brach die Zahl der Fahrten mittlerweile um die Hälfte ein. Lieferketten drohen unterbrochen zu werden.
Mitte März 2020 behinderten zunächst kilometerlange Staus an den Grenzübergängen zu Polen zeitweise die Weiterfahrt. Die EU forderte daraufhin die Einrichtung von „grünen Korridoren“, um medizinischen Bedarf, Nahrungsmittel und andere unverzichtbare Waren schnell über die Grenzen passieren zu lassen. Die finanzielle Situation der polnischen Spediteure hatte sich schon vor der Coronakrise verschlechtert, nun dürften etliche von ihnen in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.
Aufgrund eines Konsolidierungsprozesses war die Anzahl der Straßengütertransportfirmen zuletzt leicht rückläufig, während die Zahl der eingesetzten Lkw zunahm. Bei den Neuzulassungen ergab sich jedoch bereits im Januar 2020 ein Einbruch um 27,7 Prozent gegenüber Januar 2019 auf 1.539 Lkw über 3,5 Tonnen. Somit verschärft sich der rückläufige Trend des 2. Halbjahres 2019. Ein Ende der Talfahrt ist in der gegenwärtigen Krisensituation nicht absehbar.
Anzahl der Straßengütertransportfirmen und ihrer Lkw
2018 | 2019 | 24. Februar 2020 | |
---|---|---|---|
Firmen | 35.997 | 36.513 | 36.480 |
Lkw | 234.639 | 246.715 | 247.672 |
Quelle: Büro für Internationalen Transport (Biuro ds. Transportu Międzynarodowego; BOTM) des Hauptinspektors für Straßentransport (Główny Inspektorat Transportu Drogowego; GITD)
Schon im Januar 2020 waren rund 9 Prozent aller Betriebe aus dem Bereich Transport und Lagerwirtschaft verschuldet. Das war dem BIG InfoMonitor des Büros für Wirtschaftsinformation (Biuro Informacji Gospodarczej; BIG) zufolge der höchste Prozentsatz unter sämtlichen Wirtschaftszweigen. Laut dessen landesweiten Schuldenregister (Krajowy Rejestr Dlugow, KRD) stieg die Verschuldung der Transportbranche von 184 Millionen Euro Anfang Februar 2020 auf 203 Millionen Euro am 20. März 2020. Dieser Trend dürfte angesichts der Coronakrise weiter anhalten.
Noch bis Februar 2020 blieb der Straßentransport der Speditionen mit mindestens zehn Beschäftigten laut dem Statistischen Hauptamt (Główny Urząd Statystyczny; GUS) gegenüber dem Vorjahr stabil beziehungsweise nahm leicht zu. Die Aussichten für die folgenden Monate dürften dagegen düster ausfallen.
Zählt man die zahlreichen kleinen Speditionen (bis maximal neun Beschäftigte) hinzu, so wurden 2018 fast 1,2 Milliarden Tonnen Güter auf der Straße transportiert. Nur ein Viertel dieser Gütermenge wurde von größeren Firmen mit mindestens zehn Beschäftigten transportiert. Der Straßengüterverkehr hatte einen Anteil von fast 79 Prozent am gesamten Transportaufkommen von rund 1,5 Milliarden Tonnen.
Güterfracht polnischer Transportdienstleister (in 1.000 t, Veränderung gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum in %)*
2018 | 2019 | Veränderung | Januar und Februar 2019 | Januar und Februar 2020 | Veränderung | |
---|---|---|---|---|---|---|
Insgesamt | 603.883 | 597.820 | -1,0 | 93.810 | 90.292 | -3,8 |
Straße | 290.008 | 302.577 | 4,3 | 45.162 | 45.280 | 0,3 |
Schiene | 249.260 | 233.747 | -6,2 | 38.261 | 34.842 | -8,9 |
Pipelines | 55.287 | 52.165 | -5,6 | 8.959 | 8.967 | 0,1 |
Schiff | 8.100 | 8.244 | 1,8 | 1.368 | 1.158 | -15,4 |
* nur Firmen ab zehn Beschäftigten
Quelle: Statistisches Hauptamt GUS, Biuletyn vom 24. März 2020
Die Landeswirtschaftskammer (Krajowa Izba Gospodarcza; KIG) rechnete Anfang April 2020 mit einem Rückgang der Ausfuhren im Jahr 2020 um 17,7 Prozent gegenüber 2019. Ihr Wert dürfte damit in etwa auf den Stand von 2016 zurückfallen. Hierbei wirkt sich insbesondere auch die drohende Rezession in Deutschland aus, die zu sinkenden Bestellungen aus dem Nachbarland führt.
Zusätzlich erschweren die ab dem 10. April 2020 geltenden verschärften Grenzkontrollen auf deutscher Seite den bilateralen Wirtschaftsaustausch. Personen, die aus Polen nach Deutschland einreisen, benötigen einen triftigen Grund und müssen sich nach der Einreise für zwei Wochen in Quarantäne begeben. Ausnahmen gelten für Lkw-Fahrer, Berufspendler und Erntehelfer. Der grenzüberschreitende Güterverkehr darf passieren.
Seitdem Polen bereits zuvor den grenzüberschreitenden Verkehr stark eingeschränkt hat, gibt es an der deutsch-polnischen Grenze nur noch vier Straßenübergänge, die für Lkw geöffnet sind: Świecko-Frankfurt/Oder, Kołbaskowo-Pomellen, Olszyna-Forst und Jędrzychowice-Ludwigsdorf.
Wie auch der Einzelhandel hofft der Transportsektor auf eine gewisse Begrenzung der Verluste durch den Onlinehandel. Dieser nimmt angesichts geschlossener Geschäfte und geltender Ausgangsbeschränkungen rasant zu. Online bestellte Waren müssen zunächst von Speditionen zu Verteilzentren gebracht werden, von wo aus Kuriere sie an die Endkunden liefern können.
Die Logistik- und Lagerwirtschaft hat derzeit alle Hände voll zu tun, um die Auslieferung von Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und Medizinbedarf zu gewährleisten. Laut Maciej Szczepański, Experte der Immobiliengesellschaft Cushman & Wakefield (C&W), steigt gerade die Nachfrage nach kurzfristig anzumietenden Lagerflächen. Interesse bekunden mit dem Onlinehandel verbundene Sparten und die Nahrungsmittelbranche, zudem der Kfz-Sektor, der angesichts des Produktionsstillstands Teile zwischenlagern müsse.
Die Polnische Speditions- und Logistikkammer (Polska Izba Spedycji i Logistyki; PISIL) ist die Dachorganisation für polnische Branchenunternehmen.