Mehr zu:
PolenUnternehmensdienstleistungen, übergreifend / Contact Center Industry / BPO, Shared Services Industry / Software / Cloud Computing / IKT, übergreifend / Digitale Wirtschaft
Branchen
Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?
Branchen | Polen | Unternehmensdienstleistungen
Die Auslagerung unternehmensnaher Dienstleistungen nach Polen dürfte nach der Coronakrise einen weiteren Boom erleben. Auch Cloud-Dienste gewinnen an Bedeutung.
22.05.2020
Von Beatrice Repetzki | Berlin
Der Business Services Sector (BSS) spielt in Polen eine wichtige Rolle. Insbesondere für die Auslagerung von Geschäftsprozessen ist das Land ein international bedeutender Standort, bei Finanz- und Buchhaltungsdienstleistungen in Europa sogar führend. Diese Marktposition soll auch künftig weiter gestärkt werden.
Kamil Tyszkiewicz, bei der Immobilienfirma CBRE für regionale Büromärkte zuständig, erwartet, dass Polen auch vom sogenannten Nearshoring profitieren wird. Einige Akteure könnten erwägen, ihre Dienstleistungszentren aus Asien zurück nach Europa zu verlagern. In der Coronakrise habe man sich in Polen schnell auf die veränderten Rahmenbedingungen eingestellt.
Die Anzahl der in Polen vorhandenen BSS-Zentren lag im Frühjahr 2020 bei fast 1.500, die sich landesweit auf über 50 Städte verteilen. Das Spektrum umfasst dabei Business Process Outsourcing (BPO), Shared Service Centres (SSC), Global Business Services (GBS), Zentren für Informationstechnologie (IT) sowie für Forschung und Entwicklung (F&E). Diese Zentren internationaler Konzerne sind die größten Nachfrager nach modernen Büroflächen in Polen.
Bei der Mehrzahl der BSS-Zentren handelt es sich um verhältnismäßig kleine Einrichtungen. Lediglich 260 Zentren stuft die Association of Business Services Leaders (ABSL) als groß ein. Die Organisation vereint über 200 internationale Gesellschaften, bei denen etwa 80 Prozent aller Beschäftigten der Sparte in Polen tätig sind. Auch während der Krise steigt die Zahl der Beschäftigten in den Zentren weiter, vielfach ersetzt virtuelles Recruiting die persönlichen Vorstellungsgespräche. Bis 2022 soll die Anzahl der Mitarbeiter in diesem Sektor laut ABSL auf insgesamt über 400.000 anwachsen.
Anzahl der Beschäftigten im Bereich moderne Business-Services (in 1.000)
Insgesamt | darunter bei internationalen Gesellschaften | |
---|---|---|
1. Quartal 2020 *) | 336 | 270 |
1. Quartal 2019 | 307 | 247 |
1. Quartal 2018 | 279 | 224 |
1. Quartal 2017 | 246 | 196 |
1. Quartal 2016 | 214 | 172 |
*) Schätzung
Quelle: Association of Business Services Leaders (ABSL)
Die Coronakrise bewirkt einen allgemeinen Digitalisierungsschub, wovon auch der Business-Services-Sektor profitiert. Unternehmen, die krisenbedingt unter Einbußen leiden, wollen verstärkt Kosten einsparen, unter anderem durch die Auslagerung von Aufgabenbereichen. Das derzeit weit verbreitete Homeoffice dürfte die Coronakrise teilweise überdauern und weitere flexible Möglichkeiten schaffen, da Mitarbeiter zum Beispiel nicht zum Sitz der Zentren umziehen müssen.
Der in Poznań (Posen) ansässige Regionaldirektor der Immobilienfirma Colliers International, Sebastian Bedekier, erwartet, dass nach der Krise periphere Standorte an Bedeutung gewinnen werden, da dort die Büromieten niedriger sind. Qualifizierte Arbeitskräfte sind bereits knapp. Die Löhne sind in den vergangenen Jahren gestiegen und die Fluktuation des Personals war hoch. Aufgeschlüsselt nach Geschäftsfeldern sind IT-Zentren der größte einschlägige Arbeitgeber.
Beschäftigungsstruktur nach einzelnen Geschäftsprozessen für das Jahr 2019
Kategorie | Anteil in % |
---|---|
IT-Dienstleistungen | 29 |
Finanzen und Buchhaltung | 22 |
Kundendienst | 14 |
Banken-, Finanz- und Versicherungsleistungen | 13 |
Personal einschließlich Lohnabrechnungen | 6 |
Forschung und Entwicklung | 4 |
Logistik | 4 |
Andere | 8 |
Quelle: Association of Business Services Leaders (ABSL)
Neben der starken Präsenz internationaler Konzerne als Kundengruppe spielt die Ausgliederung von Unternehmensaufgaben an spezialisierte Büros gerade unter kleinen Firmen eine wichtige Rolle. Für sie ist das eine kostengünstigere Lösung, als eigene Spezialisten zu beschäftigen. Da sich zudem im Zuge der Coronakrise einige Unternehmensaufgaben aufgrund der Abwesenheit von Mitarbeitern und Kontaktbeschränkungen aufstauen, rechnet die Consultingfirma KPMG mit einer stärkeren Nachfrage nach Buchhaltungs- und Steuerberatungsleistungen, insbesondere vonseiten kleiner Firmen. Etwa 26.000 Buchhaltungsfirmen sind in der Vereinigung der Buchhalter in Polen (Stowarzyszenie Księgowych w Polsce) organisiert.
Auslagerung von Buchhaltungs-, Steuer- und Rechtsdienstleistungen durch Firmen in Polen 2018
Firmengröße | Anteil in % |
---|---|
Bis neun Beschäftigte | 40 |
10 bis 49 Beschäftigte | 28 |
Ab 50 Beschäftigte | 14 |
Durchschnitt aller Größen | 33 |
Quelle: KPMG
Buchhalter müssen in steigendem Maße IT-Kenntnisse vorweisen und entwickeln sich laut SAP zu Managern und Prüfern von IT-Systemen. Bei der Digitalisierung insgesamt muss Polen jedoch noch weiter aufholen, denn das Land belegte den 25. Platz beim Digital Economy and Society Index 2019 der Europäischen Kommission.
Die Nutzung von Cloud Computing ist dabei von wachsender Bedeutung. Mit Cloud-Dienstleistungen wurden 2019 laut der Marktforschungsfirma PMR in Polen umgerechnet rund 302 Millionen Euro Umsatz erzielt. Im Jahr 2020 soll dieser Wert demnach auf Złoty-Basis um 33 Prozent auf rund 395 Millionen Euro ansteigen. Schon in den Vorjahren waren Wachstumsraten von um die 30 Prozent erzielt worden.
Ein Mammutprojekt im Wert von rund 1 Milliarde US-Dollar will Microsoft im Cloud-Bereich in Polen verwirklichen. Der US-Konzern plant unter anderem die Errichtung von einigen Cloud-Rechenzentren in Warschau und Umgebung. Auf diesem Weg möchte Microsoft polnischen Geschäftskunden Cloud-Dienste und Microsoft-365-Lösungen anbieten, wobei die Datenspeicherung und -verarbeitung in Polen erfolgt und mit europäischen Datenschutzstandards konform ist.
Zu diesem Zweck ging Microsoft eine strategische Partnerschaft mit dem polnischen Cloud-Anbieter Operator Chmury Krajowej (OChK) ein. Den OChK hatten die Sparkassenorganisation PKO Bank Polski und der Polnische Entwicklungsfonds (Polski Fundusz Rozwoju; PFR) 2018 gegründet. Künftig sollen verstärkt auch Polens kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Cloud-Lösungen nutzen. Nach Einschätzung der Consultingfirma Audytel S.A. sind bisher die größten Akteure auf dem polnischen Markt der Datenverarbeitungszentren die Grupa Cyfrowy Polsat und ATM.