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Private Bauherren stützen die Konjunktur
Im polnischen Wohnungsbau zeichnet sich nach einer dynamischen Phase ein rückläufiger Trend ab. Der Staat erleichtert die Aufnahme von Krediten für den Kauf von Wohnraum.
13.06.2022
Von Beatrice Repetzki | Berlin
Nach einem kräftigen Zuwachs im Jahr 2021 ging die Anzahl der Wohneinheiten, für deren Bau eine Genehmigung erteilt beziehungsweise ein Entwurf eingereicht wurde, in den ersten vier Monaten 2022 um 5,5 Prozent gegenüber Januar bis April 2021 auf 105.600 zurück. Das meldet das Statistische Hauptamt GUS.
Bauentwickler halten sich zurück
Von Januar bis April 2022 wurde mit dem Bau von 73.500 Wohneinheiten begonnen (-18,3 Prozent). Darunter waren 42.800 Einheiten, die zum Verkauf oder zur Vermietung bestimmt sind (-23 Prozent). Die hohen Preise der Wohnungen hindern immer mehr Polen daran, sich für einen Wohnungskauf zu entscheiden. Deshalb werden die Bauentwickler zurückhaltender.
Als Preistreiber wirken die höheren Preise für Baumaterialien, steigende Lohnkosten, das wachsende Zinsniveau zusammen mit strengeren Kriterien zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit sowie die allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit. Eine beliebte Alternative sind von privaten Bauherren individuell errichtete Eigenheime, die mehr Flexibilität bei der Gestaltung und Finanzierung bieten.
Bautätigkeit noch rege
Im Bau befanden sich in den ersten vier Monaten 2022 immerhin noch 871.300 Wohneinheiten, das waren 2,9 Prozent mehr als von Januar bis April 2021. Diese beträchtliche Bautätigkeit bietet auch deutschen Anbietern von Baubedarf und Know-how weiterhin gute Kooperationschancen und Zuliefermöglichkeiten. Umweltfreundlichkeit, Nachhaltigkeit und Energieeffizienz geraten dabei zunehmend in den Fokus.
In den ersten vier Monaten 2022 flachte laut GUS der Zuwachs bei der Anzahl der fertig gestellten Wohneinheiten im Vergleich zum Gesamtjahr 2021 ab. Rückläufig war die Entwicklung bei den von Bauträgern zum Verkauf oder zur Vermietung bestimmten Objekten. Hingegen stieg die Zahl der von privaten Bauherren errichteten Eigenheime. Die durchschnittliche Fläche pro Wohneinheit vergrößerte sich ebenfalls deutlich.
2021 | Veränderung *) | Januar bis April 2022 | Veränderung *) | |
---|---|---|---|---|
Wohneinheiten insgesamt | 234.680 | 6,3 | 73.506 | 2,0 |
von privaten Bauherren erbaut | 88.130 | 19,1 | 31.626 | 10,2 |
für Verkauf oder Vermietung | 141.941 | -0,5 | 40.599 | -3,1 |
von Genossenschaften erbaut | 2.019 | 34,8 | 653 | 1,6 |
2021 | Veränderung *) | Januar bis April 2022 | Veränderung *) | |
---|---|---|---|---|
Nutzfläche insgesamt | 21.801,7 | 11,3 | 7.132,6 | 4,1 |
von privaten Bauherren erbaut | 12.606,6 | 19,2 | 4.515,1 | 9,9 |
für Verkauf oder Vermietung | 8.958,7 | 1,8 | 2.557,0 | -4,0 |
von Genossenschaften erbaut | 110,9 | 42,2 | 31,4 | -10,0 |
Experten erwarten eine verstärkte Nachfrage nach kostengünstigeren Wohnungen außerhalb von Stadtzentren beziehungsweise in Plattenbausiedlungen. Teure Neubauwohnungen müssen dagegen länger auf Käufer warten. Die steigende Inflationsrate treibt auch die Zinsen für Wohnungsbaukredite in die Höhe, die bereits die Zehn-Prozent-Marke leicht übersteigen. Die Kreditwürdigkeit der Bevölkerung nimmt ab.
Staatliche Garantie statt Eigenanteil beim Wohnungskauf
Weniger wohlhabenden Menschen, die dennoch kreditwürdig sind, greift der Staat nun unter die Arme. Seit Ende Mai 2022 können sie einen Wohnungsbaukredit aufnehmen, ohne einen Eigenanteil des Kaufpreises selbst aufbringen zu müssen. Polens staatliche Förderbank Bank Gospodarstwa Krajowego (BGK) garantiert dabei einen Anteil von bis zu 20 Prozent des aufgenommenen Kreditbetrages, jedoch nicht mehr als 21.783 Euro. Ein Kriterium für die Förderung ist die Anzahl der Kinder in einem Haushalt. Beispielsweise können Familien mit zwei Kindern dabei 4.357 Euro geltend machen, ab dem dritten Kind verdreifacht sich der garantierte Betrag auf 13.070 Euro.
Experten sehen wachsende Schwierigkeiten für an dem Programm interessierte Personen in den steigenden Zinsen und immer strengeren Kriterien der Banken bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit. Nicht alle Banken würden sich sogleich an diesem Programm beteiligen. Außerdem müssten interessierte Käufer eine Wohnung finden, deren Quadratmeterpreis die festgesetzte Obergrenze nicht übersteigt, um die staatliche Förderung in Anspruch nehmen zu können.
In Warschau etwa darf nach vorläufigen Festsetzungen der Quadratmeterpreis für eine Neubauwohnung 2.349 Euro und für eine ältere Wohnung 2.181 Euro nicht übersteigen, wie HRE Investments meldet. Der Durchschnittspreis für eine Neubauwohnung liegt in Polens Hauptstadt laut dem Immobilienportal RynekPierwotny jedoch bei rund 2.832 Euro pro Quadratmeter. In älteren Wohnungen kostet der Quadratmeter laut Metrohouse durchschnittlich fast 2.570 Euro. Das zweithöchste Limit gilt für Gdańsk (Danzig), gefolgt von Poznań (Posen), Kraków (Krakau) und Wrocław (Breslau). Am Ende der Liste von insgesamt 15 Städten steht Szczecin (Stettin) mit 1.395 Euro pro Quadratmeter für eine Neubauwohnung und 1.295 Euro für eine Bestandsimmobilie.
Weniger neue Wohnungen verkauft
Die Bauentwicklungsfirmen spüren die sinkende Nachfrage bereits. Im 1. Quartal 2022 verkauften 16 bedeutende Firmen laut der Tageszeitung Rzeczpospolita 5.379 neue Wohnungen in Polen. Das waren 24,2 Prozent weniger als im 1. Quartal 2021 und 11,4 Prozent weniger als im 4. Quartal 2021.
Spitzenreiter Murapol veräußerte 764 Wohnungen (-1,9 Prozent gegenüber dem 1. Quartal 2021), gefolgt von Dom Development mit 758 Einheiten (-30,1 Prozent) und Atal mit 754 Wohnungen (-10,5 Prozent). Eine sehr gute Entwicklung verzeichnete Echo Investment mit 704 verkauften Einheiten (+52,1 Prozent).
Laut der Immobilienfirma Jones Lang LaSalle (JLL) verkauften sämtliche Bauentwicklungsfirmen im 1. Quartal 2022 in den sechs größten Ballungsgebieten rund 10.400 Wohnungen gegenüber noch 15.000 im 4. Quartal 2021 und 19.500 im 1. Quartal 2021.