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Automobilsektor kämpft mit Produktionsausfällen
Russlands Krieg gegen die Ukraine hat negative Auswirkungen auf die Kfz-Industrie. Lieferengpässe führen zum Bandstillstand. Deutsche Autobauer setzen ihre lokale Produktion aus.
06.04.2022
Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin
Die Bedeutung des russischen Automarktes ist für die deutsche Kfz-Industrie quantitativ überschaubar. Trotz Milliardeninvestitionen für den Aufbau lokaler Produktionen in den letzten Jahren und wachsendem Absatz bleibt der Umsatzanteil des russischen Marktes für deutsche Autobauer gering. Die Volkswagen Group erwirtschaftet nur rund 2 Prozent ihres Konzernumsatzes im größten Flächenland. Bei den beiden Premiumherstellern BMW und Daimler liegt der Anteil der Verkäufe in Russland bei rund 3 Prozent, berechnet das Center of Automotive Management. Die Lieferanten Bosch und Continental erwirtschaften 1 bis 2 Prozent ihres Konzernumsatzes in Russland.
Abhängigkeit bei bestimmten Bauteilen und Vorprodukten bleibt kurzfristig hoch
Deutsche Autobauer beziehen nur wenige Bauteile und Vorprodukte aus der Ukraine und Russland. Der Anteil russischer Wertschöpfung an einem deutschen Pkw im Wert von 50.000 Euro liegt bei rund 500 Euro, berechnete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Dabei entfallen auf Energie 150 Euro und auf weitere Rohstoffe 350 Euro, darunter vor allem Metalle.
Deutsche Autobauer beziehen vor allem Palladium aus Russland. Das Metall, an dem Russland einen Weltmarktanteil von mehr als 40 Prozent hält, kommt insbesondere bei der Produktion von Katalysatoren zum Einsatz. Zudem deckt Russland rund 10 Prozent des weltweiten Bedarfs an Nickel. Das Metall wird unter anderem zur Produktion von Batterien für Elektromobile benötigt.
Wichtigstes Importgut aus der Ukraine sind Kabelbäume. Etwa ein Fünftel der gesamten europäischen Produktion von Bordnetzen kommt aus der Westukraine. Der fränkische Hersteller Leoni betreibt zwei Werke in Stryj und Kolomyja. Trotz Raketenangriffen auf nahe gelegene Orte fuhr Leoni die Produktion von Kabelsträngen in seinen Werken Ende März 2022 wieder auf 70 Prozent hoch. Auch die deutschen Unternehmen Kromberg Schubert und SE Bordnetze versorgen europäische Autobauer aus ihren Standorten Luzk und Ternopil mit Kabelbäumen.
Kriegshandlungen lassen Bänder in Deutschland zeitweise stillstehen
Doch bereits bei einer fehlenden Komponente stehen die Montagebänder zeitweise still. Bis 2023 werden durch den Ukrainekrieg bis zu 4 Millionen Kfz weniger gebaut, berechneten Branchenkenner von S&P Global Mobility. Bei einem Durchschnittspreis von 36.340 Euro für ein Kfz entgehen Autobauern Absatzerlöse von 145 Milliarden Euro – rund das 1,3 fache des Umsatzes auf dem deutschen Neuwagenmarkt. Unterbrochene Lieferketten und Versorgungsengpässe bei elektronischen Bauteilen wie Halbleitern und Kabelbäumen führen zu Produktionsausfällen auch in der EU.
Volkswagen setzt wegen ausbleibender Lieferungen von Kabelbäumen die Produktion vorübergehend aus, darunter am Standort Zwickau, der E-Autos der Marken VW und Audi fertigt, sowie in Bratislava in der Slowakei, wo SUV-Modelle vom Band laufen. Der Premiumhersteller BMW stoppte Anfang März 2022 seine Produktion in Dingolfing und reduzierte den Schichtbetrieb im Werk in Regensburg. Auch das Daimler-Werk in Sindelfingen stand Anfang März 2022 mehrere Tage still. Bei MAN ist die Lkw-Fertigung an den Standorten München und Krakau in Polen von Lieferengpässen aus der Ukraine betroffen.
Mittelfristig können die Lieferungen ersetzt werden. In der Coronapandemie zeigte sich bei Halbleitern jedoch, dass die Umstrukturierung der Lieferketten ein langwieriger und komplexer Vorgang ist.
Sanktionen beeinträchtigen massiv die Pkw-Produktion in Russland
Russlands Autoindustrie hängt stark von Bauteileimporten ab. Russische Marken führen jede dritte Komponente ein, ausländische Hersteller sogar 50 bis 80 Prozent der Teile. Jährlich importiert Russlands Kfz-Industrie Bauteile im Wert von 10 Milliarden US-Dollar.
Die Europäische Union (EU) sanktioniert die Exporte von Hochtechnologie und Dual-Use-Gütern nach Russland, darunter Halbleiter. Unternehmen in Russland können durch den Ausschluss von sieben russischen Banken aus dem Zahlungssystem SWIFT ihre Importe nur noch unter erschwerten Bedingungen bezahlen. Das vierte Sanktionspaket der EU beinhaltet darüber hinaus ein Exportverbot für Luxusgüter nach Russland, darunter Pkw (einschließlich Ersatzteile) ab einem Stückpreis von 50.000 Euro.
Das Exportverbot USA für Hochtechnologie untersagt ebenfalls die Ausfuhr von Halbleitern nach Russland. Außerhalb der Vereinigten Staaten hergestellte Waren unterliegen auch den Ausfuhrbestimmungen, wenn sie mit US-Technologie oder mit US-Software produziert wurden. Branchenkenner gehen davon aus, dass auch die Lieferungen von Halbleitern aus Taiwan und Südkorea von den US-Sanktionen betroffen sind. Die USA erließen zudem eine Exportverbotsliste, die 570 Warenpositionen umfasst, darunter Pkw und E-Mobile.
Ausländische Autobauer stellen Produktion in Russland vorübergehend ein
Westliche Autokonzerne setzen aufgrund der Sanktionen ihre lokale Fertigung aus. Neben den Importbeschränkungen für Hochtechnologie, Logistikengpässen und den Schwankungen des Rubelwechselkurses besteht die größte Hürde für die Fortsetzung der Tätigkeit darin, dass die sieben russische Banken vom internationalen Zahlungsverkehrssystem SWIFT ausgeschlossen wurden.
Anfang März 2022 verkündeten die drei in Russland lokalisierten deutschen Autobauer Volkswagen, Daimler und BMW, ihr Russlandgeschäft bis auf weiteres einzustellen. Sowohl die lokale Fertigung und Endmontage als auch Importe von Kfz und Ersatzteilen nach Russland liegen vorerst auf Eis. Daimler Truck stellt seine Zusammenarbeit mit Kamaz, dem größten Lkw-Produzenten Russlands, im Joint-Venture Daimler-Kamaz in Nabereschnyje Tschelny in der Republik Tatarstan ein. Daimler schrieb seine 200 Millionen Euro-Beteiligung an dem sanktionierten russischen Lkw-Hersteller bereits ab.
Die Tier-1-Zulieferer Bosch und Continental schränken ihr Russlandgeschäft ebenfalls ein. Sowohl die lokale Fertigung als auch Importe von Bau- und Ersatzteilen werden ausgesetzt. Betroffen sind unter anderem Motorsteuerungen und Reifen.
Welche Automobilkonzerne und Lieferanten schränken ihr Russlandgeschäft ein? (Auswahl)
Unternehmen | Präsenz auf dem russischen Markt | Maßnahme |
Volkswagen Group (u.a. VW, Skoda, Audi, Porsche, MAN, Seat) | Produktionswerk für Pkw und Motoren im Gebiet Kaluga, Fertigung von Pkw-Modellen bei GAZ im Gebiet Nischni Nowgorod | Einstellung von Produktion und Importen von Pkw und Lkw nach Russland |
BMW | Auftragsfertigung bei Awtotor im Gebiet Kaliningrad | Einstellung der Montage und von Importen von Pkw nach Russland |
Daimler | Pkw-Produktionswerk im Gebiet Moskau | Einstellung der Produktion und der Lieferung von Pkw nach Russland |
Daimler-Truck | Lkw-Produktion und Beteiligung an Kamaz in Nabereschnyje Tschelny in der Republik Tatarstan | Einstellung der lokalen Lkw-Produktion, geplanter Abstoß der 15%-Beteiligung an Kamaz |
Renault | Mehrheitsbeteiligung am russischen Autokonzern AwtoVAZ (Lada) sowie Kfz-Produktionswerk in Moskau | Einstellung der Produktion in Russland; Veräußerung der 68%-Beteiligung an AwtoVAZ |
Hyundai / Kia | Zwei Pkw- und Motoren-Produktionswerke in Sankt Petersburg sowie Auftragsfertigung bei Awtotor im Gebiet Kaliningrad | Einstellung der Produktion sowie der Lieferung von Pkw nach Russland |
Toyota / Lexus | Pkw-Produktionswerk in Sankt Petersburg | Einstellung der Produktion und von Importen von Pkw nach Russland |
Stellantis | Pkw- und LCV-Produktionswerk im Gebiet Kaluga | Einstellung der lokalen Produktion |
Nissan | Pkw-Produktionswerk in Sankt Petersburg | Einstellung der lokalen Pkw-Produktion und des Imports nach Russland |
General Motors | Exporte von Pkw nach Russland | Einstellung der Lieferung von Pkw nach Russland |
Ford | LCV-Produktionswerk i.R.e. Joint-Ventures mit Sollers in der Sonderwirtschaftszone Alabuga in der Republik Tatarstan | Einstellung der Produktion und Lieferung von Pkw und LCV nach Russland |
Mazda | Pkw-Produktion im Rahmen eines Joint-Ventures mit Sollers in der Region Primorje | Einstellung der Pkw-Lieferung nach Russland; Produktion läuft weiter |
Volvo | Lkw-Produktionswerk im Gebiet Kaluga | Einstellung der Produktion und Verkäufe von Lkw |
Continental | Produktionswerk für Reifen im Gebiet Kaluga | Einstellung der lokalen Produktion und von Importen |
Bridgestone | Produktionswerk für Reifen im Gebiet Uljanowsk | Einstellung der lokalen Produktion und von Importen sowie Aussetzung von Investitionen |
Michelin | Produktionswerk für Reifen im Gebiet Moskau | Einstellung der lokalen Produktion und von Importen |
Nokian Renkaat | Produktionswerk für Reifen im Gebiet Leningrad | Aussetzung von Investitionen |
Pirelli | Produktionswerke für Reifen in den Gebieten Woronesch und Kirow | Einstellung der lokalen Produktion und Aussetzen von Investitionen |
Steyr Automotive | Kooperation mit GAZ im Gebiet Nischni Nowgorod | Einstellung der Zusammenarbeit |
Yokohama | Produktionswerk für Reifen im Gebiet Lipezk | Einstellung der lokalen Produktion |