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Branchen | Russland | Pharmasektor
Die Folgen der Coronapandemie bestimmen immer noch das Geschehen in Russlands Pharmaindustrie. Die staatlichen Einkäufe legen überdurchschnittlich zu, der Apothekenmarkt stagniert.
06.12.2021
Von Gerit Schulze | Moskau
Der russische Markt für Arzneimittel zeigt weiterhin eine solide Wachstumsdynamik. Das Umsatzvolumen ist nach Berechnungen des Beratungsunternehmens DSM Group in den ersten acht Monaten 2021 auf Rubelbasis um 10 Prozent gestiegen. Mit einem Plus von 29 Prozent legten die staatlichen Einkaufe besonders stark zu. Der Apothekenmarkt wuchs nominal nur um 1,4 Prozent, bei einer Inflationsrate von 4,7 Prozent.
Für das Gesamtjahr 2021 erwartet der Branchendienst einen Anstieg um 8 Prozent auf 2,2 Billionen Rubel (25,9 Milliarden Euro, Wechselkurs der EZB am 26. November 2021: 1 Euro = 84,97 Rubel). In den beiden Folgejahren soll sich das Wachstum auf 7 und 5 Prozent abschwächen, sodass der Markt bis 2023 ein Volumen von 2,5 Billionen Rubel erreicht.
In den Berechnungen sind Nahrungsergänzungsmittel sowie arzneimittelnahe Erzeugnisse (Parapharmazeutika) enthalten.
Besonders Nahrungsergänzungsmittel sind ein starkes Wachstumssegment. Ihr Anteil an den Apothekenverkäufen liegt bereits bei fast 6 Prozent, das Marktvolumen für 2021 wird auf rund 1 Milliarde Euro geschätzt.
2018 | 2019 | Veränderung | |
Marktvolumen 2) | 13,5 | 17,7 | 31,2 |
Exporte 3) | 0,4 | 0,5 | 13,6 |
Importe 3) | 6,9 | 9,3 | 36,2 |
Produktion 4) | 7,1 | 8,9 | 25,3 |
Anmerkungen zur Tabelle:
1) Umgerechnet zum jeweiligen Jahreswechselkurs der EZB; 2) Inlandsproduktion plus Importe minus Exporte. Die Marktforschungsfirma DSM Group schätzt das Marktvolumen für 2019 auf 25 Milliarden Euro; 3) SITC-Position 542; 4) Produktionsangaben von Rosstat (Arzneimittel und medizinische Materialen).
Das steigende Umsatzwachstum täuscht darüber hinweg, dass das physische Volumen des russischen Pharmamarktes stagniert. Die Zahl der verkauften Verpackungen schrumpfte 2020 um 4 Prozent auf 6,02 Milliarden. Im 1. Halbjahr 2021 setzte sich der Rückgang mit einem Minus von 14 Prozent fort, was vor allem am schwachen Apothekengeschäft lag.
Das Marktwachstum entsteht durch die größeren Medikamentenpackungen, die sich auch im höheren Preis widerspiegeln. Kostete eine Schachtel im Juni 2020 durchschnittlich 214 Rubel (2,74 Euro), so lag der Wert im Juni 2021 laut DSM Group bei 247 Rubel (2,82 Euro).
Der Pro-Kopf-Verbrauch an Medikamentenverpackungen ist seit Jahren relativ stabil bei rund 40 Schachteln.
Die in Russland angesiedelten Pharmahersteller wachsen schneller als die ausländischen Lieferanten. Im Jahr 2020 entfielen 69 Prozent der verkauften Arzneiverpackungen auf im Inland produzierte Waren. Ein Jahr zuvor waren es erst 61 Prozent. Beim Wertvolumen lagen importierte Medikamente 2020 mit einem Anteil von 56 Prozent aber immer noch vor einheimischen Medikamenten.
Eine besondere Rolle für die Marktentwicklung spielt das Verzeichnis der "lebensnotwendigen Arzneimittel" (russische Abkürzung ЖНВЛП), auf die rund die Hälfte des Marktvolumens entfällt. Die Preise für diese Medikamente dürfen in Russland nicht höher sein als der niedrigste Preis in Referenzländern wie Frankreich, Rumänien und Belgien sowie im Herstellerland.
Die Liste wird jährlich aktualisiert und umfasst rund 800 Präparate, neu sind Medikamente zur Behandlung von Sars-Cov-2 sowie Corona-Impfstoffe. Die Preisobergrenzen lassen sich in der Datenbank des Gesundheitsministeriums recherchieren.
Aufgrund der niedrigen Festpreise beteiligen sich einige Hersteller nicht mehr an den Beschaffungsrunden für lebensnotwendige Arzneimittel, weil sie mit den Erlösen ihre Produktionskosten nicht decken könnten.
Außerdem führt das Gesundheitsministerium eine Liste der "14 hochpreisigen Nosologien". Damit bekommen über 200.000 Patienten, die an seltenen Krankheiten leiden, Zugang zu den nötigen Medikamenten. Zu den Krankheiten zählen Hämophilie, Mukoviszidose, bösartige Tumore, Multiple Sklerose und Morbus Gaucher. Für 2022 sind dafür im Staatshaushalt fast 800 Millionen Euro vorgesehen.
Die umsatzstärksten Segmente des russischen Pharmamarktes sind Krebsmedikamente sowie Präparate für den Verdauungstrakt und Stoffwechsel.
ATC-Gruppe | Umsatzanteil | Mengenanteil |
---|---|---|
A - Alimentäres System und Stoffwechsel | 15,5 | 15,6 |
L - Antineoplastische und immunmodulierende Substanzen | 15,1 | 1,3 |
J - Antiinfektiva für systemische Gabe | 12,5 | 9,4 |
C - Cardiovasculäres System | 10,2 | 12,3 |
N - Nervensystem | 9,1 | 14,8 |
R - Respirationstrakt | 8,9 | 13,1 |
B - Blut und blutbildende Organe | 7,4 | 7,6 |
M - Muskel- und Skelettsystem | 5,9 | 6,4 |
G - Urogenitalsystem und Sexualhormone | 5,3 | 1,8 |
D - Dermatika | 4,1 | 10,8 |
Das mit Abstand größte Marktsegment füllen Generika aus. Auf sie entfielen 2020 laut DSM Group 82,4 Prozent aller verkauften Medikamentenpackungen in Russland und 60,8 Prozent des Wertvolumens. Originalpräparate werden überwiegend bei staatlichen Beschaffungen gekauft.
Originalpräparate | 15,9 | Generika | 84,1 |
Russische Produktion | 68,6 | Importpräparate | 31,4 |
Rezeptfrei (OTC) | 54,9 | Rezeptpflichtig (RX) | 45,1 |
Lebensnotwendig Präparate | 53,2 | Sonstige Präparate | 46,8 |
Im Oktober 2021 stellte das Industrieministerium die Strategie "Pharma-2030" vor, deren Ziel es ist, mehr Originalpräparate in Russland zu entwickeln und die Exporterlöse zu steigern. Das Marktvolumen soll bis 2030 auf 12 Billionen Rubel zulegen (nach aktuellem Kurs rund 140 Milliarden Euro) und der Anteil russischer Hersteller mindestens 42 Prozent betragen.
Ein Schwerpunkt liegt auf dem Ausbau der Wirkstoffproduktion. Laut dem Consultingunternehmen RNC Pharma sind bei 75 Prozent der in Russland hergestellten Arzneimittel importierte Substanzen notwendig. Perspektivisch soll die Arzneimittelbranche bis zu 15 Prozent ihrer Umsätze in die Entwicklung neuer Produkte stecken. Dadurch würde auch der Export an Bedeutung gewinnen, hoffen die Autoren der Strategie. Bis zu einem Drittel der russischen Pharmaproduktion könnte demnach im Ausland verkauft werden.
Ein Achtungserfolg wurde im Sommer 2021 erzielt, als Bayer ein in Russland entwickeltes Medikament gegen Hämorrhoiden in sein Programm aufgenommen hat. Der deutsche Konzern bekommt dafür eine Verkaufslizenz des Herstellers NovaMedica.
Die Bedeutung der staatlichen Einkäufe von Arzneimitteln nimmt zu. In den ersten acht Monaten 2021 entfielen fast 37 Prozent des Marktvolumens auf die Beschaffungen der Krankenhäuser oder auf föderale und regionale Programme zur Versorgung mit Pharmaerzeugnissen. Kostenlose oder vergünstigte Medikamente bekommen in erster Linie sozial schwache Gruppen, kinderreiche Familien, Menschen mit Behinderungen und Rentner.
Segment | Januar bis September 2020 |
Apothekenverkäufe | 820 |
Beschaffungen der Krankenhäuser | 281 |
Beihilfen der Gebietskörperschaften | 88 |
Föderale Beihilfen | 96 |
Ein starkes Wachstumssegment ist der Onlinehandel. Sein Anteil an den Apothekenverkäufen stieg von 4,5 Prozent (2019) auf 8,4 Prozent (Januar bis August 2021). In Moskau erreicht der Marktanteil fast ein Fünftel. Bislang ist nur der Verkauf von rezeptfreien Präparaten erlaubt.
Im Juni 2021 hatte das Wirtschaftsministerium aber einen Gesetzesentwurf für den Onlineverkauf rezeptpflichtiger Medikamente veröffentlicht, der zunächst in drei Regionen getestet werden soll (Moskau, Moskauer Gebiet und Belgorod). Initiator des Projekts ist der Online-Marktplatz Ozon.ru. Der Start des Experiments wird für Anfang 2022 erwartet.
Rezeptfreie Arzneimittel dürfen seit Mai 2020 online bestellt und von lizenzierten Händlern ausgeliefert werden. Ausgenommen sind Narkotika, Psychopharmaka und Präparate ab 25 Prozent Alkoholgehalt.
Die Produktion von Arzneimitteln und medizinischen Materialien ist seit einigen Jahren der wachstumsstärkste Zweig der verarbeitenden Industrie. Die Statistikbehörde Rosstat ermittelte 2020 einen Umsatzzuwachs der Branche von 29 Prozent. In den ersten neun Monaten 2021 lag das Plus bei 54 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode.
Laut der Herbstprognose 2021 des Wirtschaftsministeriums könnte der Produktionswert bis 2024 jährlich um jeweils über 8 Prozent steigen.
Ein wichtiger Treiber der Pharmaindustrie sind Impfstoffe gegen Sars-Cov-2. Bislang dürfen nur die drei im Inland entwickelten Vakzine in Russland verimpft werden (Sputnik, EpiVacCorona und CoviVac). Nach einem Bericht der Tageszeitung Kommersant hat das Gamaleja-Institut für seinen Impfstoff Sputnik V von Januar bis August 2021 elf Verträge über ein Produktionsvolumen von 90 Millionen Dosen abgeschlossen. Zu den Auftragnehmern gehören Farmstandard, Generium, Biokad und R-Farm.
R-Pharm stellt in Lizenz auch den Impfstoff von AstraZeneca her, der von Russland aus in 40 Länder geliefert wird. Nach Angaben der Zollstatistik verkaufte Russland von Januar bis August 2021 Impfstoffe für über 800 Millionen US-Dollar im Ausland.
Das Investitionsklima der Branche ist weiterhin positiv. Laut Wirtschaftsministerium haben russische Hersteller von Arzneimitteln und medizinischen Materialien 2020 ihre Bruttoanlageinvestitionen um 85 Prozent auf 105 Milliarden Rubel gesteigert (1,3 Milliarden Euro).
Nanolek eröffnete im September 2021 südlich von Moskau ein Labor zur Erforschung von Medikamenten-Molekülen. In den kommenden fünf Jahren will das Unternehmen 23 Millionen Euro für die Entwicklung von Arzneimitteln ausgeben und die Produktion von Impfstoffen gegen Humane Papillomviren lokalisieren.
Stada kündigte an, einen Teil seiner europäischen Produktionskapazitäten nach Russland zu verlagern und dafür in den nächsten drei Jahren 10 Millionen Euro zu investieren.
Die Stadt Moskau hat mit Endopharm einen Vertrag abgeschlossen, der den Aufbau einer Prodiktion von 20 Präparaten in der Stadt vorsieht, darunter Antidepressiva und Neuroleptika. Außerdem plant Endopharm im Gebiet Brjansk bis 2023 eine Produktionsstätte für Opiate wie Morphin und Codein.
Pharmasynthez hat den Bau von zwei neuen Werken angekündigt: Im Gebiet Kaluga sollen Infusionslösungen zur intravenösen Verabreichung produziert werden, bei Tjumen kardiologische Präparate.
Das Pharmawerk THFZ in Tjumen wird modernisiert und die Produktpalette um bislang importierte Präparate erweitert. Die Investitionen sollen bis Ende 2022 abgeschlossen sein.
Die japanische Takeda baut bis 2027 ihr Werk in Jaroslawl aus und investiert dafür 27 Millionen Euro.
In Dubna bei Moskau will das Unternehmen Rusbiopharm rund 35 Millionen Euro in neue Produktionslinien für Krebspräparate und Arzneiwirkstoffe stecken.
Fleischkonzern Miratorg plant laut Zeitungsberichten die Produktion des Wirkstoffs Heparin und ist dafür beim Kursker Unternehmen Geparinus eingestiegen. Dort soll bis Ende 2022 für 17 Millionen Euro ein Werk für die Produktion von Arzneiwirkstoffen entstehen.
Unternehmen | Apothekenumsatz 2020 *) | Marktanteil |
---|---|---|
Bayer | 51,6 | 4,6 |
Novartis | 47,0 | 4,2 |
OTCPharm | 44,3 | 3,9 |
Sanofi | 41,4 | 3,7 |
Stada | 40,9 | 3,6 |
Teva | 38,0 | 3,4 |
Servier | 34,2 | 3,0 |
Krka | 30,9 | 2,7 |
Menarini (Berlin-Chemie) | 30,7 | 2,7 |
GlaxoSmithKline | 28,7 | 2,6 |