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Die Regierung will die Exportmenge erhöhen und die Abhängigkeit vom EU-Markt verringern. Neue Pipelines und LNG-Liefervereinbarungen sollen Russlands Marktanteil in China ausbauen.
26.03.2021
Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau
Gas gehört zu den wichtigsten Exportgütern Russlands. Die Ausfuhren von Erd- und Flüssiggas sorgen für etwa 9,5 Prozent der jährlichen Exporterlöse Russlands. Die Perspektiven sind gut. Nach Berechnungen der Beratungsgesellschaft McKinsey wird der weltweite Bedarf bis 2035 jährlich um 0,9 Prozent wachsen. Die Nachfrage nach Flüssiggas dürfte sich bis 2035 auf etwa 700 Millionen Tonnen verdoppeln, schätzt die Analyseagentur Wood Mackenzie.
Der lange und kalte Winter auf der Nordhalbkugel ließ zum Jahreswechsel 2020/2021 die Nachfrage nach russischem Gas explodieren. In den ersten beiden Monaten 2021 stiegen die Ausfuhren im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 32,9 Prozent auf 34,5 Milliarden Kubikmeter. In Asien kletterten die Spotmarktpreise für LNG mit zeitweise mehr als 800 US-Dollar für 1.000 Kubikmeter auf ein neues Allzeithoch. Um von den hohen Preisen profitieren zu können, wurden sogar für Europa bestimmte LNG-Lieferungen nach Asien umgeleitet. Novatek schickte am 5. Januar 2021 einen LNG-Tanker der Eisklasse 7 entlang des Nördlichen Seewegs nach China, so früh in einem Kalenderjahr wie noch nie zuvor.
Europa wird vor allem über die Pipelines Nord Stream und Turkish Stream mit Erdgas versorgt. Der Marktanteil Russlands an den Gasimporten der EU betrug 2020 rund 37 Prozent. Gazprom verzichtete im Februar 2021 auf eine Erhöhung der Fördermenge, um keine zusätzlichen Transitkapazitäten über die Ukraine buchen zu müssen. Stattdessen leert Russlands größter Gaskonzern seine Speicher. Damit soll ein starker Preisverfall im Sommer verhindert werden, wenn die Preisrallye in Asien endet. In Europa sind die Speicher aktuell zu rund einem Drittel gefüllt.
Im Jahr 2020 führte die weltweite Rezession zu einem Rückgang der Nachfrage nach Gas. Zeitweise lagen die Spotmarktpreise unter der Rentabilitätsgrenze von etwa 100 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter. Die Exporteinnahmen von Gazprom brachen um 39,6 Prozent auf 25,3 Milliarden US-Dollar ein. Die Erlöse aus LNG-Exporten sanken im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent auf 6,75 Milliarden US-Dollar.
Russlands Gasausfuhren sollen der "Energiestrategie bis 2035" zufolge um zwei Drittel auf bis zu 324 Milliarden Kubikmeter zulegen. Gazprom, im Land größter Erdgaserzeuger und Monopolist für den Export von Gas via Pipelines, erwartet 2021 im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg der Gasexporte um etwa 5 Prozent auf 210 Milliarden Kubikmeter und kalkuliert einen Preis von etwa 200 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter. Die Ausfuhren von LNG sollen sich bis 2035 auf 128 Milliarden Kubikmeter in etwa verdoppeln.
Die Regierung will die Gasausfuhren diversifizieren, erklärte Ministerpräsident Michail Mischustin Mitte Januar 2021. Bisher ist die Europäische Union (EU) der wichtigste Exportmarkt für russisches Gas. Etwa drei Viertel der Ausfuhren strömten 2020 in Richtung EU. Wegen der geplanten Einführung des „Green Deal“ rechnet die Regierung mittelfristig jedoch mit einem Rückgang der Nachfrage aus Europa.
Die Gasexporte in die Türkei, Russlands zweitwichtigsten Absatzmarkt, stiegen 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 5,8 Prozent auf 16,4 Milliarden Kubikmeter. Der Marktanteil betrug somit rund 7 Prozent. Die Aussichten sind jedoch unsicher. Ende 2021 läuft ein Liefervertrag zwischen Gazprom und dem türkischen Gashändler Botas über 8 Milliarden Kubikmeter Gas aus. Das entspricht einem Viertel der vereinbarten Menge. Zudem arbeitet die Türkei mit Hochdruck an der Erschließung eigener Gasfelder und setzt verstärkt auf Importe aus Aserbaidschan und Iran.
Die größten Hoffnungen ruhen auf China, wo russisches Gas derzeit einen Marktanteil von 2 Prozent einnimmt. Bis 2030 steigt in China die Nachfrage auf 300 Milliarden bis 500 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, schätzt Anatoli Gorschij von der Hochschule für Finanzmanagement. Der Großteil wird über die Pipeline "Power of Siberia" geliefert. Gazprom schloss mit der China National Petroleum Corporation (CNPC) einen Vertrag über die Lieferung von 38 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr bis 2050.
Um die Exportmenge nach China zu steigern, begann Gazprom im November 2020 mit dem Bau des zweiten Abschnitts der Pipeline "Power of Siberia". Das Unternehmen Stroytransneftegaz des Oligarchen Igor Rotenberg übernimmt bis 2022 für rund 1,8 Milliarden Euro die Verlegearbeiten im 800 Kilometer langen Abschnitt zwischen den Gasfeldern Kowyktinskoje im Gebiet Irkutsk und Tschajandinskoje in der Republik Sacha (Jakutien).
Russlands größter Gaskonzern nahm im Mai 2020 die Planungs- und Erkundungsarbeiten für die Pipeline "Power of Siberia 2" auf. Dazu wurde die Projektgesellschaft Gasoprowod Sojus Wostok gegründet, um bis 2022 eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. Die Pipeline soll jährlich bis zu 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas von der Jamal-Halbinsel über die Mongolei nach China liefern. Zudem ermöglicht die Trasse auch den Anschluss an eine West-Ost-Verbindung. Gazprom kann damit kurzfristig auf Nachfrageschwankungen reagieren und die Durchleitung nach China erhöhen.
Daneben erwägt Gazprom den Bau einer weiteren Gaspipeline mit einer Kapazität von 30 Milliarden Kubikmeter von den Feldern Westsibiriens nach China. Der Konzern gab im Oktober 2020 bekannt, mit der chinesischen Holding CNPC über die Vertragsbedingungen zu verhandeln.
Novatek schloss Anfang März 2021 mit dem spanischen Konzern Repsol einen Fünfzehnjahresvertrag über die Lieferung von 1 Million Tonnen Flüssiggas aus dem Projekt Arctic-LNG-2. Ende Februar 2021 vereinbarte Russlands größtes privates Gasunternehmen mit der chinesischen Shenergy Group die Lieferung von über 3 Millionen Tonnen LNG bis 2036.
Gazprom will den Export von Flüssiggas bis 2025 auf etwa 15 Millionen Tonnen mehr als verdoppeln. Wichtigster Umschlaghafen soll Ust-Luga im Gebiet Leningrad werden. Dort entsteht ein Verladeterminal mit einer Kapazität von 13 Millionen Tonnen.