Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Branchen | Russland | Gasexporte

Russland verliert wichtigsten Absatzmarkt für Erdgas

Erdgasimporte aus Russland unterliegen keinem Embargo. Dennoch verliert Gazprom sein Kerngeschäft mit Europa. Die Umorientierung auf neue Märkte ist langwierig und risikobehaftet.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

Russland ruiniert durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine in wenigen Monaten seinen über Jahrzehnte aufgebauten Ruf als zuverlässiger Energielieferant Europas. Vor dem 24. Februar 2022 deckten die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) rund 45 Prozent ihres Erdgasbedarfs aus dem größten Flächenland der Erde. Ende Oktober 2022 waren es nur noch rund 14 Prozent. Allein Deutschland importierte vor dem Krieg jährlich rund 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas per Pipeline aus Russland.

Aktuell kommt zwar mehr russisches Flüssiggas (LNG) auf den europäischen Markt. In den ersten drei Quartalen 2022 bezog die EU mit rund 15 Milliarden Kubikmeter LNG das Doppelte der Vorjahresmenge. Doch bis 2030 will der Staatenbund vollständig auf russisches Erd- und Flüssiggas verzichten. Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagentur (IEA) zieht Bilanz:

"Russland hat Europas Energiemarkt für immer verloren."

Drohung mit Lieferstopps geht nicht auf

Russland setzt Gaslieferungen strategisch ein, um die EU-Staaten gegeneinander auszuspielen. Im Juli 2022 nahm Gazprom mit Lieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 rund 180 Millionen Euro pro Tag ein. Im August drosselte der Staatskonzern seine Lieferungen zunächst auf 40 Prozent der Kapazität, später auf 20 Prozent. Anfang September 2022 kappte Gazprom den Gasfluss vollständig und fackelte stattdessen täglich Erdgas im Wert von rund 13 Millionen Euro ab, schätzt die norwegische Beratungsfirma Rystad Energy. Der Energiekonzern Uniper erwägt vor einem Schiedsgericht in Stockholm eine Schadenersatzklage gegen Gazprom in Milliardenhöhe wegen der ausgebliebenen vertraglich vereinbarten Gaslieferungen.

Über die Jamal-Pipeline durch Belarus und Polen fließt bereits seit Mitte Mai 2022 kein Erdgas mehr. Durch die Transgas-Pipeline über die Ukraine schickt Russland mit 42 Millionen Kubikmetern pro Tag nur rund ein Drittel der gebuchten Menge. Aktuell ist nur TurkStream mit einem Volumen von rund 16 Milliarden Kubikmetern pro Jahr voll ausgelastet.

Bild vergrößern

Anfang September 2022 erschütterten Explosionen drei der vier Röhren der beiden Nord-Stream-Pipelines mit einer Gesamtkapazität von 110 Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Das Bundeskriminalamt geht von gezielter Sabotage aus. Nord Stream 1 ist komplett funktionsunfähig. Die Bundesregierung rechnet nicht mehr damit, dass die Röhren jemals wieder einsatzbereit gemacht werden können. Von Nord Stream 2 ist nur noch ein Strang heil. Doch fehlt der Röhre nach wie vor die Betriebserlaubnis. Aktuell droht Russland damit, bei der Einführung eines Ölpreisdeckels die Gaslieferungen in die Länder einzustellen, die diese Maßnahme unterstützen.

Russland muss Fördermenge und Ausfuhren kürzen

Das westliche Technologieembargo stellt Russlands Erd- und Flüssiggasproduktion vor enorme Herausforderungen. In den ersten zehn Monaten 2022 sank die Produktion von Gazprom um 18,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf rund 344 Milliarden Kubikmeter. Die Erdgasexporte in Nicht-GUS-Staaten gingen im gleichen Zeitraum um 42,6 Prozent auf 91,2 Milliarden Kubikmeter zurück. Der heimische Markt kann die Überkapazitäten nicht aufnehmen. In der Folge wird die Produktion weiter sinken.

Erschwerend hinzu kommt der - teilweise erzwungene - Rückzug ausländischer Firmen aus Russland. Präsident Wladimir Putin enteignete per Dekret Shell, Mitsui und Mitsubishi. Die Konzerne hielten Anteile am Öl- und Gasförderprojekt Sachalin-2. Zudem übertrug das Staatsoberhaupt die Anteile am Projekt Sachalin-1 von Exxon Neftegaz (Tochter von Exxon Mobile) an den Staatskonzern Rosneft.

Der französische Konzern Total Energies stellt sein Russlandgeschäft freiwillig ein und verkaufte seinen 49-Prozent Anteil am Erdgasfeld Termokarstowoje an Novatek. Wintershall Dea hält vorerst an seinem Bestandsgeschäft fest, schrieb jedoch seine Beteiligung an Nord Stream 1 auf einen Restwert von 300 Millionen Euro ab.

Umlenkung der Gasexporte langwierig und teuer

Russland versucht alternative Absatzmärkte zu erschließen und will seine Gaslieferungen nach China und in andere asiatische Länder umlenken. Im Februar 2022 unterzeichneten Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping einen Vertrag über die Aufstockung der bisherigen Gaslieferungen um weitere 10 Milliarden Kubikmeter pro Jahr in den kommenden 30 Jahren. Schon jetzt ist Russland mit rund 17 Milliarden Kubikmetern pro Jahr der zweitgrößte Lieferant von Pipelinegas nach China. Ab 2024 soll die 2019 in Betrieb genommene Pipeline Sila Sibirii (Kraft Sibiriens) 1 auf Volllast fahren und jährlich 38 Milliarden Kubikmeter Gas nach China pumpen.

Bis 2030 soll die Pipeline Sila Sibirii 2 mit einer Kapazität von 50 Milliarden Kubikmetern pro Jahr durch die Mongolei gebaut werden. Zudem soll eine neue Röhre, Sila Sibiri 3, mit einer Kapazität von 10 Milliarden Kubikmetern von Wladiwostok in den Nordosten Chinas verlegt werden. Weiterhin will das größte Flächenland künftig mehr Flüssiggas nach China liefern.

Russland will die Türkei als neuen Gas-Verteilungs-Hub für Europa entwickeln. Dazu soll die Pipeline TurkStream mit einer Kapazität von 16 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr ausgebaut werden. Doch South Stream Transport, die Betreibergesellschaft von TurkStream, darf keine Stahlrohre mehr aus Europa beziehen. Aufgrund der Sanktionen gegen Russland war dem Unternehmen eine entsprechende Lizenz entzogen worden.

Mit der Iranian National Oil Company schloss Gazprom eine Absichtserklärung zur gemeinsamen Erschließung neuer Erdgasfelder und zum Bau von Pipelines in der Islamischen Republik.

Doch bevor Russland seine Erdgaslieferungen nach Osten umlenken kann, wird der Export nach Europa bereits zum Erliegen kommen. Der Bau neuer Pipelines wird voraussichtlich 10 Jahre dauern. Noch ist völlig unklar, wer die Investitionen von 150 Milliarden US-Dollar stemmt und die Technologie zum Bau neuer Röhren von den Gasvorkommen der Jamal-Halbinsel nach Asien liefert. Zudem zahlen asiatische Abnehmer keine so hohen Preise wie Europa.

Feedback

Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.