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Russlands Werften stehen unter zunehmendem Druck, Aufträge an lokale Zulieferer zu vergeben. Das erschwert deutschen Unternehmen das Geschäft.
23.02.2021
Von Gerit Schulze | Moskau
Moskaus Politik der Importsubstitution erfasst auch den Schiffbau. Dafür nutzt die Regierung verschiedene Instrumente wie Zolltarife, Präferenzen bei öffentlichen Ausschreibungen oder direkte Subventionen für Forschungs- und Produktionseinrichtungen. Unternehmen, die bislang importierte Schiffskomponenten nun lokal herstellen, können mit niedrigeren Steuersätzen rechnen. Außerdem bekommen sie zinsgünstige Kredite für Investitionen.
Als sehr effektiv erweist sich das Staatsprogramm „Quoten gegen Investitionen“ mit der Regelung, Fischfangquoten vorrangig Unternehmen zu erteilen, die Fang- und Verarbeitungsschiffe bei einheimischen Werften ordern. Die föderale Fischfangagentur Rosrybolowstwo rechnet damit, dass die Branche in den nächsten fünf Jahren mehr als 100 Fang- und Verarbeitungsschiffe benötigt. Die Hälfte davon ist nach Angaben der Behörde bereits in Auftrag gegeben. Größere Ordereingänge verzeichneten zuletzt die Wostotschnaja werf in Wladiwostok und die Nachodka Schiffsreparaturwerft.
„Die Politik der Importsubstitution wird eher noch zunehmen“, glaubt Dmitri Stojanow, Leiter des Zentrums für Importsubstitution und Lokalisierung von Schiffskomponenten AO ZNII Kurs. Es soll ausländischen Unternehmen dabei helfen, eine lokale Produktion aufzubauen. Das Zentrum informiert über Staatshilfen, benötigte Produktkategorien und stellt Kontakte zu den Werften her.
Bei einer Online-Veranstaltung der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer zur Zusammenarbeit im Schiffbau verwies Stojanow im Februar 2021 auf Erfolgsbeispiele für die Ansiedlung von Zulieferern:
Unternehmen | Herkunftsland | Schiffbauzulieferungen |
---|---|---|
PhoenixContact | Deutschland | Elektrokomponenten auch für den Schiffbau |
Rockwool | Dänemark | Isoliermaterial |
Denizsan | Türkei | Anker und Vertäuausrüstung |
Azcue pumps | Spanien | Pumpen |
Jotun Paints | Norwegen | Schiffsfarben |
Das Industrieministerium lässt im Internetkatalog Zentr SKO alle im Inland hergestellten Zulieferteile für den Schiffbau erfassen. Als möglichen Standort für die Produktion von Schiffskomponenten empfiehlt Dmitri Stojanow den Industriepark Bolschoi Kamen im Fernen Osten. Er liegt in der Nähe der neuen Großwerft Swesda und bietet Investoren Zoll- und Steuerpräferenzen.
Die zunehmenden Lokalisierungsanforderungen in Russland „sind für viele deutsche Firmen eine immense Hürde“, erklärt Hauke Schlegel, Geschäftsführer der AG Marine Equipment and Systems beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). „Achtzig Prozent der deutschen Zulieferer sind mittelständisch und oft familiengeführt. Flexibilität, Innovationsgeschwindigkeit und Kundenorientierung sind ihre Pluspunkte. Doch für Unternehmen dieser Größe ist es nicht leicht, Produktionen in anderen Ländern aufzubauen.“ Da ungewiss sei, welche Komponenten und welche Stückzahlen Russland auf längere Frist benötigt, bedeute eine lokale Produktion für die meisten Unternehmen ein zu großes Risiko.
Deutschland gilt als weltweit wichtigster Zulieferer von Schiffbauprodukten. Etwa fünf Prozent der Exporte gehen laut VDMA nach Osteuropa (ohne EU), vor allem nach Russland.
Die Produktpalette ist sehr groß, „schließlich steckt in einem Schiff alles drin, was eine Kleinstadt braucht“, so Branchenexperte Schlegel. Russische Werften kauften vor allem Antriebs- und Automatisierungstechnik, Propeller und Komponenten für die Kraftübertragung, Elektronik, Armaturen und Navigationstechnik. „Außerdem sind deutsche Hersteller führend bei Ausrüstungen für Eisbrecher und andere Spezialschiffe, die in arktischen Regionen zum Einsatz kommen.“
Dass Russland selbst ohne Produktion vor Ort ein interessanter Absatzmarkt bleibt, liegt auch an den technologischen Umbrüchen im Schiffbau. Hauke Schlegel zählt dazu die Digitalisierung der Schifffahrt, die steigenden Anforderungen an Effizienz und Kostenreduktion und die Nachhaltigkeit maritimer Produkte. Werften und Reedereien müssen heute den gesamten Lebenszyklus von der Kiellegung bis zum Abwracken im Blick haben.
"Der Schiffbau braucht mehr Systemlieferungen statt einzelner Komponenten."
Außerdem werden die Schiffe größer und komplexer. „Immer mehr gebraucht werden daher Systemlieferungen und Pakete statt einzelner Komponenten.“ Eine einzelne Werft könne diesen Prozess schwer allein bewältigen. „Deshalb sind internationale Kooperationen nötig“, sagte Schlegel beim Online-Webinar der AHK Russland.
Auch Ilja Pomylew vom russischen Industrieministerium betonte, dass Deutschland ein wichtiger Partner für die Werften im Land bleibe. Er leitet die Abteilung für zivilen Schiffbau und Meerestechnik. Anknüpfungspunkte für eine Kooperation sieht Pomylew bei den Themen Ökologie, Digitalisierung und autonome Schifffahrt.
Die staatliche Schiffbauholding OSK arbeitet bereits an autonom fahrenden Schiffen und will in drei Jahren die ersten Prototypen vorstellen. In zehn bis fünfzehn Jahren soll die Technik marktreif sein.
Die Regierung genehmigte Ende 2020 ein Experiment zur Erprobung selbstfahrender Schiffe unter realen Bedingungen. Daran nehmen ein Tanker teil, der zwischen Murmansk und der Ölplattform Priraslomnaja verkehrt, ein Massengutfrachter auf Flüssen im Süden Russlands sowie ein Schleppkahn und Schwimmbagger im Schwarzmeerhafen Kawkas.
Auch Nachhaltigkeit im Schiffbau wird zunehmend thematisiert. Bereits seit 2014 werden in Russland Schiffe mit Flüssiggasantrieb (LNG) entwickelt. OSK arbeitet an der Flussfähre Sotalija, die Platz für 30 Passagiere bietet und mit Diesel, Flüssiggas oder elektrisch betrieben werden kann.
Wichtigste Schiffbaumesse in Russland: NEVA in Sankt Petersburg Deutscher Gemeinschaftsstand 2021 erstmals seit vielen Jahren wieder mit Bundesförderung. Termin: 21. bis 24. September 2021 Ort: Messegelände Lenexpo Geschäftsanbahnungsreise zum Thema Schiffbau und maritime Wirtschaft Zeitraum: zweite Jahreshälfte 2021 Orte: Sankt Petersburg und Nischni Nowgorod Informationen zum BMWi-Markterschließungsprogramm auf dem Außenwirtschaftsportal iXPOS |
Produkt / Zolltarifnummer | 2013 | 2018 | 2019 | Veränderung 2013/2019 in % |
---|---|---|---|---|
Schiffsschrauben und Schraubenflügel dafür / 848710 | 6.558 | 11.444 | 10.928 | 67 |
aus Deutschland | 3.145 | 48 | 0 | -100 |
Schiffsanker, Draggen, Eisen / 7316 | 1.535 | 922 | 2.405 | 57 |
aus Deutschland | 2 | 0 | 0 | -100 |
Dieselmotoren für den Antrieb von Wasserfahrzeugen / 840810 | 84.824 | 72.881 | 70.077 | -17 |
aus Deutschland | 43.162 | 18.081 | 10.276 | -76 |
Fischereifahrzeuge sowie Fabrikschiffe und andere Schiffe für das Verarbeiten oder Konservieren von Fischereierzeugnissen / 890200 | 21.448 | 35.650 | 252.124 | 1.076 |
aus Deutschland | 124 | 0 | 73.993 | 59.572 |
Feuerlöschschiffe, Schwimmbagger, Schwimmkrane, Schwimmdocks, Förderplattformen / 8905 | 89.827 | 419.353 | 122.637 | 37 |
aus Deutschland | 14.813 | 2.923 | 0 | -100 |
bietet der Bericht "Gute Auftragslage bei russischen Werften". Russlands Schiffbau fährt gut durch die Coronakrise. Die Auftragsbücher der einheimischen Werften füllen sich. Bis 2035 soll die Produktion kräftig zulegen.