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Special | Russland | Wasserstoff
Russland will zu einem Schlüsselakteur auf dem Weltmarkt für Wasserstoff werden und orientiert sich dabei stark an Deutschland. Das eröffnet Chancen für deutsche Technologieanbieter.
15.12.2020
Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau
Die neue Energiestrategie der russischen Regierung gibt erstmals konkrete Ziele für die Produktion und den Export von Wasserstoff vor. Von welchen Faktoren die russische Wasserstoffwirtschaft abhängen wird und welche Chancen sie deutschen Unternehmen bietet, erklärt Fares Kilzie, Vorstandsvorsitzender der Energiegesellschaft Creon Group, die seit 20 Jahren Energieprojekte in Russland und Europa begleitet und mitfinanziert.
1. Die russische Regierung will laut ihrer neuen Energiestrategie bis 2035 die Produktion von Wasserstoff steigern. Außerdem wurden ambitionierte Vorgaben zur Lokalisierung ausländischer und Entwicklung eigener Technologien sowie zum Export gemacht. Für wie realistisch halten Sie die Umsetzung dieser Ziele?
Russland hat seine Energiestrategie kurz nach dem Erscheinen der deutschen Wasserstoffstrategie veröffentlicht. Das ist kein Zufall. Russland hat damit signalisiert, dass es die gute und langbewährte Energiepartnerschaft mit Deutschland trotz aller politischen Differenzen weiter ausbauen möchte.
Ob diese Ziele auch umgesetzt werden können, hängt in erster Linie vom Markt ab. Deutschland wird die Nachfrage nach „grünem“ Wasserstoff aus eigener Produktion erst mittelfristig decken können. Bis dahin werden die Bundesrepublik und die EU auf große Importmengen von Wasserstoff oder dessen Ausgangsstoffen angewiesen bleiben. Für den Transport könnte unter anderem das bestehende Gaspipelinenetz zwischen Russland und Europa genutzt werden. Parallel müsste ein EU-weites flächendeckendes Pipelinenetz nur für Wasserstoff aufgebaut werden.
Um das Potenzial der entstehenden Wasserstoffwirtschaft in Russland voll auszuschöpfen, braucht es ein Mindestexportvolumen, damit sich der Aufbau einer Wasserstoffproduktion lohnt. Deutschland kann dabei definitiv eine Schlüsselrolle spielen. Russische Beamte haben das Exportpotenzial des Energieträgers auf jeden Fall erkannt, für Europa wie für Asien.
2. Zur Realisierung der Ziele werden immer wieder die staatlichen Holdings Rosatom und Gazprom sowie Novatek und Sibur ins Spiel gebracht. Liegt der Fokus russischer Hersteller also vorerst auf „blauem“ oder „türkisem“ Wasserstoff?
Alle genannten Konzerne können sowohl als Technologielieferant als auch Abnehmer auftreten. Um ihre jeweilige Zielsetzung, Angebotspalette und - ganz wichtig - die Bedingungen für eine langfristige Partnerschaft zu verstehen, sollte jede Firma einzeln betrachtet werden.
Tatsächlich spielt für Russland derzeit „blauer“ Wasserstoff, der aus Synthesegas gewonnen wird, eine primäre Rolle. Parallel stellt man sich auch auf weitere Marktentwicklungsszenarien ein. So will etwa Rosatom aus Atomenergie „gelben“ Wasserstoff erzeugen. Die Energieholding RusHydro und der japanische Kawasaki-Konzern wollen im Gebiet Magadan ein Elektrolysewerk errichten, das die Asien- und Pazifikregion mit Wasserstoff beliefern soll. Den Strom dafür soll das Wasserkraftwerk Ust-Srednekan liefern.
Kurzum: Russland kann im Gegensatz zu anderen globalen Akteuren die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft in verschiedenen Weltregionen mitgestalten. Dazu müssen alle beteiligten Parteien jedoch nicht nur staatliche Konzerne, sondern von Beginn an auch die Privatwirtschaft einbinden. In Russland gibt es viele Ölraffinerien, Wasserkraftwerke, Flüssiggaserzeuger und petrochemische Unternehmen, die Ammoniak herstellen. Sie alle könnten Wasserstoff in den verschiedenen „Farben“ produzieren. Sollte es jedoch wieder zu einer Monopolbildung kommen, so wäre das kontraproduktiv für alle.
3. Bei potenziellen Abnehmern russischen Wasserstoffs im Ausland liegt der Fokus eher auf „grünem“ Wasserstoff - Stichwort CO2-Grenzsteuer der EU. Welche Chancen sehen Sie für Russland, auch bei der Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff voranzukommen?
Zur Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff sind Investitionen der öffentlichen Hand in Milliardenhöhe nötig. Zudem ist eine sehr enge Abstimmung zwischen den beteiligten Ländern unerlässlich. Alle Seiten müssen eine klare Roadmap vereinbaren und die Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Rentabilität der einzelnen Erzeugungstechnologien prüfen. Russland ist prinzipiell dazu bereit, mit internationalen Partnern bei der Herstellung von Wasserstoff zusammenzuarbeiten, darunter auch bei „grünem“ Wasserstoff. Vorreiter sind hierbei die Konzerne Fortum (Finnland), Rosnano und Nowawind, ein Tochterunternehmen von Rosatom. Sie alle investieren bereits in den Aufbau von Windparks in Russland. Dort könnte mittelfristig auch „grüner“ Wasserstoff gewonnen werden.
Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die Produktion von „grünem“ Wasserstoff aus erneuerbaren Energien unter den gegebenen Rahmenbedingungen nur auf geringes Interesse bei potenziellen Investoren stößt. Das Endprodukt ist einfach noch zu teuer. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass zeitnah Technologien entwickelt werden, die die Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff wirtschaftlicher machen, vor allem im Hinblick auf die Betriebskosten. Für die Zwischenzeit wäre „türkiser“ Wasserstoff als Übergangslösung die beste Variante, um die CO2-Emissionen bis 2030 zu senken.
4. Wo ergeben sich beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Russland praktische Anknüpfungspunkte für deutsche Unternehmen? Welche Technologien sind besonders gefragt? Welches Vorgehen würden Sie deutschen Firmen raten?
In Russland existieren neben Gazprom weitere 18 unabhängige Gasproduzenten - ihr Marktanteil ist enorm. Wir arbeiten eng mit ihnen zusammen, unter anderem bei Projekten nach ESG-Kriterien und zur Senkung des CO2-Fußabdrucks. Jedes dieser Unternehmen lotet gerade eifrig die Möglichkeiten des Wasserstoffs aus. Wir stellen gern den Kontakt zu ihnen her.
Generell würde ich deutschen Firmen raten, die Ölverarbeitung, die Petrochemie, sowie die LNG- und Ammoniakerzeugung ins Auge zu nehmen. In diesen Branchen ist Wasserstoff ein altbekanntes Produkt, es existiert seit langem in ihrem Produktionszyklus. Bei „grünen“ Energieprojekten sind neben den genannten Unternehmen Fortum, Rosnano und Novawind noch Novatek, Inter RAO und die Russische Eisenbahn (RZD) zu nennen.
Als Kooperationsstandort für Projekte zu „grünem“ Wasserstoff bieten sich die Region um die Karasee und die russische Arktis an, wo derzeit ein Wasserstoff-Cluster aufgebaut wird. Ein weiterer Cluster entsteht auf der Insel Sachalin. Das sind alles sehr konkrete Anknüpfungspunkte für deutsche Technologieanbieter.
5. Die Creon Group finanziert neben Projekten im Öl- und Gasbereich sowie in der Chemieindustrie auch Vorhaben beim Aufbau von Windparks. Durch Windenergie könnte „grüner“ Wasserstoff erzeugt werden. Gibt es schon konkrete Vorhaben in diesem Bereich, bei deren Umsetzung Sie mit beteiligt sind?
Als internationaler Investmentfonds Creon Capital haben wir als Projektstandort Italien ausgesucht, konkret den Hafen Piombino am Ligurischen Meer. Dort gibt es eine energieintensive Stahlproduktion, die große Mengen Wasserstoff abnehmen kann. Denn das ist der entscheidende Punkt für jedes Wasserstoffprojekt: Ohne Abnehmer gibt es keinen Markt. Wir haben einen Pool von internationalen Unternehmen aufgestellt, die nach Ende der Coronapandemie mit der Entwicklung des Clusters beginnen werden.
Kontaktadresse:
Creon Group
Herr Dr. Fares Kilzie, Vorstandsvorsitzender
Mitglied des Russischen Rates für Internationale Angelegenheiten
Universitetskij Prospekt 9
119296 Moskau
T: +7 (0) 495-276-77-88
E: fares.kilzie@creon-group.com
Weitere Informationen im GTAI-Bericht:
Russland möchte bis 2035 Weltmarktführer bei Wasserstoff werden