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Branchenbericht | Ukraine | Russland | Luftfahrtindustrie

Westliche Flugzeugindustrie spürt die Kriegsfolgen

Der Krieg in der Ukraine bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die westliche Flugzeugindustrie. Mögliche Lieferengpässe bei Titan bereiten den Herstellern Sorgen.

Von Gerit Schulze | Berlin

Russlands Angriff auf die Ukraine hat die Lieferketten der Flugzeughersteller zerrüttet und beeinträchtigt den Luftverkehr. Engpässe bei der Materialbeschaffung erschweren die Produktion von neuen Luftfahrzeugen. Höhere Kerosinkosten und weite Umwege unter Umgehung Russlands und der umkämpften Ukraine verteuern Flüge.

Wachstum der Branche verlangsamt sich

"Das bereits durch die Covidpandemie stark verzögerte Wachstum der zivilen Flugzeugindustrie wird durch den Krieg zusätzlich belastet, findet aber dennoch statt", erwartet Thomas Belitz, Experte für Luftfahrtausrüstungen und Werkstoffe beim Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Das Nachfragepotenzial durch die anstehenden Flottenerneuerungen in Nordamerika und durch die Marktdynamik in Asien bleibe intakt.

Der BDLI und Regionalverbände hatten Ende März 2022 deutsche Unternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie nach den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf ihre Geschäfte befragt. Mehr als 60 Prozent der teilnehmenden Firmen hatten bislang keine Geschäftsbeziehungen in Russland, Belarus oder der Ukraine. Weitere 30 Prozent der 194 Umfrageteilnehmer gaben an, dass sie maximal 10 Prozent ihrer Umsätze in diesen Ländern erzielen.

Jede dritte deutsche Firma erwartet sinkende Umsätze

Der Wegfall des russischen Marktes dürfte damit vorerst nur wenig Auswirkungen auf die deutsche Luftfahrtindustrie haben. Indirekt könnte der Krieg die Geschäfte aber durchaus beeinträchtigen - durch steigende Preise, erschwerte Logistik, Engpässe bei der Material- und Rohstoffbeschaffung und Probleme im Zahlungsverkehr. Laut der BDLI-Umfrage rechnet jedes dritte Unternehmen mit sinkenden Umsätzen.

Als Herkunftsland für Vorprodukte spielte Russland für die deutsche Flugzeugindustrie zuletzt nur eine Nebenrolle. "Die Lieferungen von dort sind selten hochintegriert“, sagt Branchenkenner Belitz. „Oft handelte es sich um Rohstoffe, Energie und Halbzeuge, die nur wenig Wertschöpfung enthalten." Bei bestimmten Galvaniken zur Oberflächenbeschichtung hatten einige Unternehmen Veredelungsschritte in der Wertschöpfungskette nach Russland ausgelagert. "Das muss jetzt durch andere Werke substituiert werden, was die Kosten erhöht."

Titan ist die Achillesferse

Besonders abhängig von Russland sind westliche Flugzeugbauer bei Titan. Das Metall und Legierungen daraus sind besonders leicht, zugfest, hitze- und korrosionsbeständig. Deshalb kommt Titan bei Trieb- und Fahrwerken zum Einsatz. Laut Fachzeitschrift Aviation Week braucht die globale Flugzeugindustrie jährlich rund 100.000 Tonnen.

Vor Ausbruch des Krieges haben vorrangig vier Hersteller den Bedarf gedeckt: VSMPO-Avisma (Russland), Allegheny Technologies, Timet und Howmet (alle drei USA). Dabei gilt VSMPO-Avisma als größter Titanhersteller der Welt. Er deckte bislang 35 Prozent des Bedarfs bei Boeing, 50 Prozent bei Airbus und fast 100 Prozent bei Embraer.

Noch ist das zur staatlichen Industrieholding Rostec gehörende Unternehmen nicht mit Sanktionen belegt, kann also weiter westliche Kunden beliefern. Trotzdem haben einige Abnehmer ihre Geschäftsbeziehungen mit VSMPO-Avisma auf Eis gelegt.

Boeing beendet Joint Venture in Russland

Boeing betrieb mit VSMPO-Avisma seit 2009 das Joint Venture "Ural Boeing Manufacturing". Dort wurden mit sehr leistungsstarken Pressen Schmiede- und Stanzteile für die Modelle 787, 777 und 737 gefertigt. Nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar 2022 beendete Boeing das Engagement und stellte die Titanbezüge aus Russland ein. Stattdessen wollen die Amerikaner das Metall nun bei den japanischen Herstellern Toho Titanium und Osaka Titanium Technologies kaufen.

Airbus hat die Lieferbeziehungen mit Russland noch nicht eingestellt, setzt aber für den Notfall auf seine Titanlagerbestände. Damit sei der Konzern "kurz- und mittelfristig abgesichert". Während der Coronapandemie wurden weniger Großraumflugzeuge mit breitem Rumpf (twin-aisle) bestellt, für die besonders viele Titanelemente notwendig sind. Darum haben die Flugzeughersteller zurzeit große Titanvorräte. Airbus-Konzernchef Guillaume Faury warnte dennoch davor, russische Titanlieferungen zu sanktionieren. Dies wäre für die europäische Luftfahrtindustrie ein schwerer Schlag.

Triebwerkshersteller suchten frühzeitig neue Bezugsquellen

Nur zum Teil abhängig von russischen Zulieferungen sind die westlichen Triebwerkshersteller. GE Aviation und Pratt & Whitney hatten schon vor Kriegsausbruch weitgehend auf russische Bezüge verzichtet, berichtete die Aviation Week. Safran und Rolls-Royce sollen etwa 20 Prozent ihres Titanbedarfs durch VSMPO-Produkte decken. Sie können aber auf alternative Lieferanten ausweichen. Rolls-Royce kündigte an, vorerst kein Titan mehr bei VSMPO-Avisma einzukaufen.

Bei der Produktion von Fahrwerken für große Flugzeuge könnte der Ausfall Russlands nicht so leicht kompensiert werden. Für die Komponenten sind riesige Pressen notwendig, von denen es weltweit nur wenige gibt. VSMPO betreibt die weltweit zweitgrößte hydraulische Schmiedepresse mit einer Kraft von 75.000 Tonnen. „Tatsächlich ist Russland bei Spezialpressen und einigen Werkzeugen wichtig. Es gibt aber Ausweichmöglichkeiten, die jedoch höhere Kosten und Zeitaufwand verursachen“, sagt BDLI-Vertreter Thomas Belitz.

Die Tier-1- und Tier-2-Zulieferer der Flugzeugbauer (System- und Komponentenhersteller) hatten schon nach der Annexion der Krim 2014 ihre Titanbezüge diversifiziert. Japanische und chinesische Lieferanten sprangen in die Lücke.

Der Ausfall russischer Lieferanten stellt also für die westlichen Flugzeughersteller eine Herausforderung dar, die aber lösbar ist.

Auch die Ukraine ist ein wichtiger Player

Titanschwamm

Russland hat mit VSMPO-Avisma zwar den wichtigsten Erzeuger von Titanprodukten, das Land ist aber nicht der größte Lieferant des Rohstoffs. Bei Titanschwamm, einem wichtigen Ausgangsstoff für die Titanproduktion, erreichen China  (2020: 138.000 Tonnen) und Japan (50.000 Tonnen) höhere Volumina. Russland lag 202o mit 44.000 Tonnen auf Platz 3. Auch die Ukraine und Kasachstan sind mit jeweils 10.000 Tonnen Jahresproduktion führende Erzeuger. Sie erreichen zusammen einen größeren Ausstoß als die USA (16.000 Tonnen). Das  ukrainische Unternehmen ZTMC aus Saporischschja ist ein bedeutender Lieferant von Titanbarren und Titanschwamm.

Abbau von Titanmineralien

Auch bei der Förderung von Titanmineral spielt die Ukraine eine wichtige Rolle. Sie lag mit einem Volumen von 300.000 Tonnen 2020 auf Platz 5 der größten Förderländer. Nach Angaben des World Bureau of Metal Statistics betrug die weltweite Fördermenge 4,7 Millionen Tonnen. Russland dagegen hat nur überschaubare Reserven und taucht in den Top 10 der größten Förderländer gar nicht auf. Ausgerechnet aus der Ukraine bezog das Land 2021 das meiste Titanmineralkonzentrat. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat nach der Invasion im Februar 2022 für das Titaneisenerz Ilmenit ein Exportverbot nach Russland verhängt.

Quelle: World Bureau of Metal Statistics, Statista

Förderung von Titanmineral nach Ländern (2020)

Land

Förderung in 1.000 Tonnen

Australien

1.116

Südafrika

616

Kanada

504

Madagaskar

316

Ukraine

300

Mosambik

291

Senegal

285

Kenia

224

Norwegen

220

Vietnam

180

Quelle: World Bureau of Metal Statistics, Statista

Die weltweite Nachfrage nach Titan wird laut Erhebungen des Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung bis 2040 deutlich steigen. Das hängt vor allem mit dem erhöhten Bedarf der Flugzeugindustrie für den Bau von Rumpfteilen zusammen.

Entwicklung des weltweiten Titanbedarfs für ausgewählte Technologien (in Tonnen)

Technologie

2018

2040

Legierungen für Airframe-Leichtbau

57.000

80.000

Meerwasserentsalzung

12.500

6.300

Superlegierungen

5.000

8.000

Additive Fertigung von Metallbauteilen (3D-Drucker)

308

7.000

Wasserelektrolyse

4

3.900

Feststoffbatterien

0

4.400

Quelle: Erhebung „Rohstoffe für Zukunftstechnologien 2021“ (Fraunhofer ISI), Statista

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