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In Russland gibt es bislang kaum Infektionen mit dem Coronavirus. Dennoch wird die Pandemie Moskaus Konjunkturpläne ausbremsen.
18.03.2020
Von Gerit Schulze, Edda Wolf | Moskau
Moskau beobachtet genau die Ausbreitung des Coronavirus in China, der Europäischen Union und anderswo. Das asiatische Nachbarland ist der wichtigste Handelspartner, gefolgt von Deutschland (Platz 2) und den Niederlanden (Platz 3). Bis 18. März gab es in Russland 147 offiziell bestätigte Krankheitsfälle. Doch vorsichtshalber schließt Russland seine Grenzen für Ausländer vom 18. März bis 1. Mai 2020.
Dramatischer sind die Auswirkungen auf die Konjunktur. Jeden Tag verliert Russland wegen der Viruskrise im Handel mit China 1 Milliarde Rubel (rund 14 Millionen Euro, Wechselkurs der EZB am 26. Februar 2020: 1 Euro = 71,23 Rubel), schätzt Finanzminister Siluanov. Premierminister Michail Mischustin richtete eine Kommission zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen ein.
Die kumulierten negativen Effekte der Coronaviruskrise und des Ölpreiskriegs lassen in diesem Jahr alle Hoffnungen auf Wachstum schwinden. Die russische Wirtschaft wird nicht um 1,8 Prozent zulegen, sondern im besten Fall um 0,3 bis 0,8 Prozent und im schlechtesten Fall um 3,5 bis 5 Prozent schrumpfen. Bei einem Ölpreis von 35 US-Dollar pro Fass und einem durchschnittlichen Wechselkurs von 72 Rubel pro US-Dollar (US$) wird der russische Staatshaushalt etwa 3 Billionen Rubel verlieren und ein Defizit von knapp unter 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verbuchen. Das prognostizierte Alexej Kudrin, Leiter der Rechnungskammer, Anfang März.
Sollte sich der Ölpreis im Jahresdurchschnitt bei 40 US$ pro Fass einpendeln, sähe die Situation etwas besser aus. Dennoch bliebe das Wirtschaftswachstum weit unter den ursprünglichen Erwartungen, so Kudrin.
Der Finanzdienstleister Citigroup prognostiziert, dass allein die geringere chinesische Nachfrage nach Öl und Gas verbunden mit niedrigeren Preisen das Wachstum des russischen Bruttoinlandsproduktes 2020 um 0,28 Prozentpunkte verringern wird. Hinzu kommt nun ein drastischer Nachfragerückgang in Europa bei Öl und Gas. Die Exporterlöse von Gazprom fielen im Januar 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 41,1 Prozent und die Liefermenge um 11 Prozent.
Die wirtschaftlichen Folgen der Coronaviruskrise lassen weltweit die Rohstoffnachfrage und -preise sinken und damit auch Russlands Exporterlöse. Dass sich Russland und Saudi-Arabien nicht auf eine Drosselung der Erdölförderung einigen konnten und stattdessen nun die Produktion hochfahren, drückt den Ölpreis weiter. So verbilligte sich die russische Erdölsorte Urals infolge der Krise um mehr als 25 US$ auf 27,40 US$ je Barrel (Stand: 18. März 2020). Die Einnahmen des Staatshaushaltes für 2020 sind jedoch mit einem Ölpreis von 42,40 US$ kalkuliert.
Bei einem Ölpreis von 35 US$ entgehen dem russischen Staatshaushalt im Gesamtjahr Einnahmen von etwa 3 Billionen Rubel (rund 34,6 Milliarden Euro; Wechselkurs der Europäischen Zentralbank am 17.03.2020: 1 Euro = 82,35 Rubel), erklärte Finanzminister Siluanov am 18. März. Bliebe der Preis für Rohöl mehrere Jahre lang deutlich unter der Marke von 42,40 US$, würden dem Staatshaushalt sogar Einnahmen im dreistelligen Milliarden-Euro-Bereich fehlen.
Diese Verluste müssen durch den Nationalen Wohlstandsfonds kompensiert werden. Dessen finanzielle Reserven reichen laut Finanzministerium aus, um eine Ölpreisspanne zwischen 25 und 30 US$ (in Preisen von 2017) über sechs bis zehn Jahre auszugleichen. Die Regierung könne auch bei einem anhaltend niedrigen Ölpreis sämtlichen Verpflichtungen nachkommen und alle geplanten Ausgaben tätigen, versicherte Finanzminister Siluanov am 9. März 2020.
Effekt eines Ölpreisschocks auf die Einnahmen des russischen Staatshaushalts in Abhängigkeit von Ölpreis und Dauer (in Prozent des BIP)
Preis für Rohöl der Marke Urals *) | 1 Jahr | 3 Jahre | 5 Jahre | 7 Jahre | 10 Jahre |
---|---|---|---|---|---|
40 US$ | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
35 US$ | -0,8 | -2,5 | -4,4 | -6,5 | -9,9 |
30 US$ | -1,6 | -5,0 | -8,9 | -13,2 | -20,4 |
25 US$ | -2,4 | -7,6 | -13,6 | -20,2 | -31,5 |
20 US$ | -3,4 | -10,7 | -19,0 | -28,3 | -43,6 |
15 US$ | -4,4 | -13,9 | -25,0 | -37,5 | -58,9 |
10 US$ | -5,0 | -16,1 | -29,1 | -44,1 | -70,4 |
*) pro Fass (Barrel) in Preisen des Jahres 2017
Quelle: Finanzministerium der Russischen Föderation
Mit dem Ölpreis sinkt der Rubelkurs. Für einen Euro mussten russische Unternehmen am 19. Februar 68,60 Rubel bezahlen, am 12. März waren es bereits 85 Rubel, laut Wechselkurs der Europäischen Zentralbank. Das Finanzministerium beginnt Devisen zu verkaufen, um den Rubel zu stützen und ausbleibende Exporterlöse zu kompensieren. Durch den Wertverlust des Rubels verteuern sich Importe erheblich. Um Devisen zu sparen, hat Ministerpräsident Mischustin eine verstärkte Importsubstitution in Industrie und Landwirtschaft angekündigt. Schlechte Nachrichten für deutsche Unternehmen.
Russischen Exporteuren bringt der aktuelle Rubelkurs wiederum Preisvorteile. Die Nahrungsmittelindustrie und die Landwirtschaft profitieren ebenfalls, denn ihre Erzeugnisse erlangen einen Preisvorteil gegenüber Einfuhren. Russische Goldproduzenten gewinnen auch: die Goldpreise stiegen wegen der Viruspandemie zuletzt deutlich.
Anders als in Westeuropa ist das verarbeitende Gewerbe in Russland weniger von Lieferungen aus China abhängig. Dank rechtzeitig aufgefüllter Lager gibt es bislang nur wenige Meldungen über Produktionsausfälle. Die Volkswagen Group Rus fährt allerdings wegen eines Lieferengpasses bei Rücklichtern die Produktion des Skoda Rapid in Kaluga zurück und verschiebt die Markteinführung des neuen Rapid-Modells auf Mai 2020. Volgabus im Gebiet Wladimir musste seine Bänder am 4. März stoppen, hat jedoch angekündigt, die Produktion am 20. März wieder aufzunehmen. Der Lkw-Hersteller Kamaz gab bekannt, ab Ende April möglicherweise die Produktion drosseln zu müssen.
Das Geschäftsleben erfährt zunehmend Einschränkungen. Große russische Unternehmen haben begonnen, ihre Mitarbeiter ins Homeoffice zu verlegen. Ausländer dürfen vom 18. März bis 1. Mai 2020 nur noch einreisen, wenn sie in Russland einen ständigen Wohnsitz haben. Nach der Einreise müssen sie sich für zwei Wochen in häusliche Quarantäne begeben. In Moskau und dem Umland dürfen keine Veranstaltungen mit über 50 Teilnehmern mehr stattfinden. In Sankt Petersburg und den Regionen (u.a. Kaliningrad, Lipezk) gelten ähnliche Regelungen.
Das für Juni geplante Internationale Wirtschaftsforum Sankt Petersburg wurde abgesagt, ebenso wie das Investitionsforum in Sotschi und das Krasnojarsker Wirtschaftsforum. Gleiches gilt für zahlreiche Messen.
Russlands Tourismusbranche verliert Milliarden infolge der Viruspandemie. Die Reisen von russischen Touristen ins Ausland gingen um 60 Prozent zurück, die Zahl der ausländischen Besucher in Russland sank um 25 bis 30 Prozent, beklagt die Föderale Agentur für Tourismus (Rostourismus). Reiseveranstalter für Inbound-Tourismus berichteten bereits vor dem Einreiseverbot für Ausländer von einem fast vollständigen Stopp des Verkaufs von Touren nach Russland. Ausländer kauften keine Reisen mehr und stornierten Aufträge im Wert von 500 Millionen Rubel, so der Verband russischer Reiseveranstalter (ATOR).
Chinesischen Touristen, Arbeitskräften und Studenten ist die Einreise seit 20. Februar 2020 und mindestens bis April 2020 komplett untersagt. Noch 2019 waren 2,3 Millionen Chinesen gekommen, darunter 1,5 Millionen Touristen, so die Grenzschutzbehörden. Ein chinesischer Besucher gibt im Durchschnitt etwa 600 US$ für Einkäufe und Unterhaltung in Russland aus, schätzen russische Reisebüros. Diese Kaufkraft fehlt dem russischen Einzelhandel nun, ebenso wie die anderer ausländischer Gäste. Im Jahr 2019 hatten mehr als 5 Millionen ausländische Touristen Russland besucht. Nach China stellen Deutschland und Südkorea die größten Besucherkontingente.
Die touristische Hochsaison in den beiden wichtigsten Zielen Moskau und Sankt Petersburg beginnt zwar erst im Frühjahr. Doch sollte das Einreiseverbot für Ausländer den Sommer über anhalten, drohen russischen Reiseveranstaltern enorme Einnahmeausfälle. Allein das Ausbleiben chinesischer Touristen bis zum Ende der Sommersaison würde die Branche 450 Millionen Euro kosten, meldet die Wirtschaftszeitung RBK Daily.
Auch Hotellerie und Gastronomie verzeichnen erhebliche Einbußen. Der Umsatz russischer Restaurants ging infolge des Coronavirus im März 2020 um 30 bis 90 Prozent zurück, die Auslastung der Hotels um mehr als die Hälfte, berichtet die Föderation der Gastronomen und Hoteliers.
Die Fluggesellschaften leiden unter den strikten Reisebeschränkungen. Seit 1. Februar 2020 ist der Flugverkehr nach China stark reduziert worden, seit 1. März auch nach Südkorea. Seit 13. März sind die Flugverbindungen in die Länder der Europäischen Union, die Schweiz und nach Norwegen drastisch eingeschränkt. Einzig Flüge zwischen Moskau und den jeweiligen Hauptstädten dürfen noch stattfinden. Ab 20. März entfallen die meisten Verbindungen in die USA, nach Großbritannien und in die Vereinigten Arabischen Emirate.
Die Fluggesellschaften könnten aufgrund der Beschränkungen etwa 100 Milliarden Rubel (umgerechnet 1,2 Milliarden Euro) verlieren, wenn die Reiseverbote bis Jahresende bestehen bleiben, schätzt Rosaviazia. Das Finanzministerium will einheimische Fluggesellschaften mit etwa 23 Millionen Euro für die Verluste auf den Chinastrecken entschädigen.
Die russische Eisenbahn RZD stellte den Passagierverkehr von und nach China und Nordkorea am 3. Februar 2020 ein. Die Bahnverbindungen nach Italien, Österreich und in die Mongolei wurden am 5. März ausgesetzt. Außerdem fahren keine Passagierzüge mehr nach Tschechien, Polen, Deutschland, Frankreich (15. März), Litauen (16. März), Lettland, Moldawien, Kasachstan, Ukraine (17. März), sowie nach Kirgisistan, Tadschikistan und Finnland (18. März).
China ist Russlands wichtigster Handelspartner, denn infolge der EU- und US-Sanktionen orientiert sich Moskau seit 2014 verstärkt nach Osten. Nach Angaben der russischen Zollbehörde wickelt Russland ein Sechstel seines Außenhandels mit der Volksrepublik ab; 2019 stieg der Warenaustausch um fast 3 Prozent auf über 108 Milliarden US-Dollar (US$). Russischen Exporten von 56,8 Milliarden US$ standen 2019 Importe von 54,1 Milliarden US$ gegenüber.
Bei vielen Investitionsprojekten in Russland sind chinesische Unternehmen beteiligt. In Murmansk bauen sie ein Kohleterminal, im Gebiet Kaliningrad einen Tiefwasserhafen, in Tatarstan ein Waschmaschinenwerk. Zu den größten Vorhaben gehören eine Gasverarbeitungsanlage in Blagoweschtschensk für 19 Milliarden Euro und ein Methanolwerk bei Chabarowsk für 10 Milliarden Euro. Im Fernen Osten Russlands ist die Volksrepublik sehr aktiv bei Investitionen in die Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Holzindustrie. Solche Vorhaben könnten bei einem anhaltenden Abschwung in China auf den Prüfstand kommen.
Außerdem arbeiten viele chinesische Bauleute auf wichtigen Baustellen. Im Jüdischen Autonomen Gebiet kommt die Hälfte der Beschäftigten in der Landwirtschaft aus China, wie die Zeitung Kommersant berichtet. Diese Arbeitskräfte könnten künftig fehlen.
Bei den Getreideexporten rechnet das Zentrum für Agraranalysen im laufenden Landwirtschaftsjahr mit einem Rückgang um mindestens 1 Million Tonnen. Gleichzeitig steigen wegen der fast komplett geschlossenen Landgrenze zu China die Preise für Obst und Gemüse. Die russischen Krabbenfischer befürchten Einbußen von bis zu 80 Millionen US$; China ist für sie ein wichtiger Absatzmarkt.
Tipps:
Mehr Informationen zu den wirtschaftlichen Folgen der Coronaviruskrise bietet unser Bericht "Corona-Pandemie reißt Russland in die Rezession".
Informationen dazu, wie die russische Regierung die Folgen der Coronaviruskrise abzumildern versucht, lesen Sie im Bericht "Russische Regierung beschließt Plan gegen Corona-Krise".
Informationen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronaviruskrise in Ländern weltweit finden Sie in unserem Special zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus-Krise auf Auslandsmärkte.