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Ein neues Gesetz verpflichtet ausländische Geschäftsleute in Russland, sich strengen Gesundheitschecks zu unterziehen. Deutsche Manager sind entsetzt über die Anforderungen.
01.02.2022
Von Gerit Schulze | Moskau
Fingerabdrücke, Röntgenaufnahmen, pikante Fragen des Amtsarztes - das müssen deutsche Manager seit Ende 2021 über sich ergehen lassen, wenn sie in Russland arbeiten wollen. Kaum eine Rechtsverordnung hat in den letzten Jahren für so viel Unmut in der ausländischen Business-Community geführt wie das Föderale Gesetz Nr. 274-FS, das seit 29. Dezember 2021 gilt. Dieses verpflichtet Ausländer, die für mehr als 30 Kalendertage zu Arbeitszwecken nach Russland einreisen, zu regelmäßigen aufwändigen Gesundheitschecks. Bei anderen Einreisezwecken gilt die Verpflichtung ab 90 Kalendertagen.
Davon betroffen sind auch hochqualifizierte Spezialisten (HQS), also überdurchschnittlich gut bezahlte ausländische Staatsbürger, die bisher bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen und bei der Registrierung Vorteile genossen. "Dass hier ein schlecht durchdachtes Gesetz trotz frühzeitig geäußerter Bedenken seitens der AHK und anderer Wirtschaftsverbände auf den Weg gebracht worden ist, hat das Investitionsklima eindeutig beschädigt“, sagt Matthias Schepp, Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK). Wenn die Dinge so bleiben, drohe eine Abwanderung von Managern im großen Stil. Der Schaden für den Wissenschafts- und Studierendenaustausch sei ebenfalls beträchtlich, so der Delegierte der deutschen Wirtschaft in Russland.
Die medizinischen Untersuchungen müssen auch die in Russland lebenden Angehörigen von ausländischen Beschäftigten durchlaufen.
Für Unverständnis sorgen vor allem die Häufigkeit der medizinischen Untersuchungen, einschließlich der Röntgenaufnahmen, und der organisatorische Aufwand. Zunächst war unklar, ob die Tests nicht im Abstand von drei Monaten absolviert werden müssen. Das russische Gesundheitsministerium informierte jedoch am 26. Januar 2022 darüber, dass betroffene Personen nur einmal pro Jahr zum behördlichen Gesundheitscheck verpflichtet sind. Gemäß Anordnung Nr. 1079n vom 19. November 2021 müssen die medizinischen Dokumente innerhalb von drei Monaten bei den regionalen Behörden des Innenministeriums eingereicht werden.
Blut und Urinprobe |
Röntgenaufnahmen oder Computertomographie |
Nasen und Rachenabstriche |
Untersuchungen beim Lungen, Haut- und Infektionsarzt, beim Suchtmediziner, Allgemeinmediziner und Psychiater |
Tests auf Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Lepra, Syphilis, HIV und Covid-19 |
Die Gesundheitschecks führen spezielle staatliche Kliniken durch. Für die Stadt Moskau ist das Migrationszentrum Sacharowo zuständig, das sich 70 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt im südlichen Umland befindet. Dort können alle Untersuchungen zentral erfolgen. Einzelne Tests sind auch in Moskau möglich, unter anderem in den Filialen des Zentrums für Dermatovenerologie und Kosmetologie. Die AHK veröffentlichte am 1. Februar 2022 eine Liste der erlaubten Einrichtungen in Moskau, die um mehrere Privatkliniken erweitert wurde.
Quelle: AHK Russland |
Deutsche Unternehmer, die bereits im Migrationszentrum Sacharowo waren, berichten von langen Schlangen und schlechter Organisation bei den Medizintests. Bis die erhoffte Bescheinigung ausgestellt wird, sind mehrere Stationen zu durchlaufen: Zahlung der Gebühr am Bankschalter, Prüfung der Unterlagen, Ausstellung von Laufzetteln, medizinische Untersuchungen.
"Ich war in gut zwei Stunden durch“, erzählt Alexander Wagner, Chief Administrative Officer bei Rehau in Russland. "Der zeitaufwändigste und unangenehmste Part ist das enge Schlangestehen direkt am Eingang. Das Gebäude ist überfüllt und überheizt, in diesem Teil gibt es keine Toiletten. Vertraulichkeit ist nirgends gewährleistet, die Türen zu den Arztzimmern stehen teilweise offen. Bei einigen Stationen werden mehrere Personen gleichzeitig hereingebeten."
Ohne Russischkenntnisse oder russischsprachigen Begleiter dürfte es schwierig sein, immer die richtige Station zu finden und alle Formulare korrekt auszufüllen.
Wenn die Medizintests absolviert wurden, nehmen Dienststellen des Innenministeriums von den betroffenen Ausländern Fingerabdrücke ab und fertigen via Gesichtsscan biometrische Fotos an. Deutsche Unternehmen weisen darauf hin, dass das nur möglich ist, wenn eine notariell beglaubigte Übersetzung des Reisepasses und das Original vorgelegt werden. Welche Ämter dafür genau zuständig sind, ist nach Auskunft der AHK Russland noch nicht geregelt.
Die ausgestellten Gesundheitsgutachten müssen in der zuständigen lokalen Migrationsbehörde persönlich abgegeben werden. Die AHK Russland will erreichen, dass das künftig auch mit einer Vollmacht durch dritte Personen möglich ist.
Eine beantragte oder vorhandene Arbeitsgenehmigung kann ihre Gültigkeit verlieren. |
Die Aufenthaltsdauer des Ausländers kann verkürzt werden. |
Der Ausländer kann abgeschoben werden. |
Gegen den Ausländer kann eine Einreisesperre verhängt werden. |
Die AHK Moskau betont, dass Ausländer, die sich weniger als 30 Kalendertage in Russland aufhalten, keine Medizintests machen müssen. Das habe das Innenministerium der Kammer bestätigt.
Für Inhaber einer vorübergehenden ("Rasreschenije na wremennoje proschiwanije“) oder ständigen Wohnsitzerlaubnis ("Wid na schitelstwo“) ist der Medizintest nur einmalig für den Erhalt dieser Bescheinigung nötig.
Kinder unter 6 Jahren |
Belarussische Staatsangehörige |
Amtsträger internationaler, regierungsgebundener Organisationen |
Ausländer, die sich zu Arbeitszwecken weniger als 30 Kalendertage in Russland aufhalten (zum Beispiel Techniker und Monteure) |
Ausländer, die sich zu Nicht-Arbeitszwecken weniger als 90 Kalendertage in Russland aufhalten |
Ausländer, die ihre Arbeitserlaubnis vor dem 31. Oktober 2021 erhalten haben und seit dem 29. Dezember 2021 nicht erneut nach Russland eingereist sind – bis zum Erhalt der nächsten Arbeitserlaubnis oder bis zur nächsten Wiedereinreise nach Russland |
Quelle: AHK Russland |
In Sankt Petersburg und dem Leningrader Gebiet ist das Prozedere etwas einfacher. Dort können Ausländer beim Einheitlichen Dokumentenzentrum nahe des Moskauer Bahnhofs alle Tests und medizinischen Untersuchungen vornehmen lassen und die Ergebnisse später einreichen. Außerdem nimmt das Zentrum Fingerabdrücke und erstellt die Fotos. Dafür sind aber zwei Besuche notwendig. Die medizinischen Untersuchungen in dem Zentrum kosten bei fünf Tagen Bearbeitungszeit 5.700 Rubel (66 Euro, Wechselkurs der Europäischen Zentralbank vom 20. Januar 2022: 1 Euro = 86,90 Rubel). Ausführliche Informationen zum Verfahren in der Newametropole hat die AHK-Filiale Nordwest zusammengestellt.
Die internationale Business-Community in Russland protestiert heftig gegen die neuen Regelungen. Ausländische Wirtschaftsverbände diskutieren mit der Regierung folgende Vorschläge zur Abmilderung des Gesetzes:
Das Wirtschaftsministerium prüft bereits diese Initiativen.
Das russische Innenministerium hat den ausländischen Wirtschaftsverbänden in Moskau mitgeteilt, dass hochqualifizierte Spezialisten (HQS), die vor dem 31. Oktober 2021 ihre Arbeitsgenehmigung bekommen haben, die neuen Medizintests nicht absolvieren müssen. Alle anderen HQS könnten die Gesundheitschecks in jeder beliebigen Region durchführen. Die AHK Russland weist aber darauf hin, dass diese Ausnahmen bislang nicht rechtlich verankert wurden und daher mit Vorsicht zu betrachten sind.
Die Auslandshandelskammer steht in engem Kontakt mit der russischen Regierung, um Klarheit zu schaffen und die Auswirkungen des Gesetzes für deutsche Geschäftsleute abzumildern. Ein Hauptziel ist es, die HQS-Manager von den Gesundheitschecks auszunehmen. Laut AHK gibt es erste Signale von Regierungsvertretern, dass die Vorschläge der Wirtschaftsverbände berücksichtigt werden. "Wir sind dem Wirtschaftsblock in der Regierung mit Industrie- und Handelsminister Denis Manturow und Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow dankbar, dass sie sich dafür einsetzen, die Regelung zu kippen“, sagt AHK-Chef Schepp.
Hannes Postel, Geschäftsführer bei der Bau- und Immobilienberatung Hausman & Partners in Moskau: |
Christian Tegethoff, Geschäftsführer CT Executive Search, Moskau: |
Alexander Wagner, Chief Administrative Officer bei Rehau in Russland: |
Andreas Knaul, Managing Partner Russland und Zentralasien bei Rödl & Partner in Moskau: |
Georg Wießmeier, Leiter Forschung und Innovation bei einem russischen Chemiekonzern: |
Quelle: Befragung von Germany Trade & Invest |