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Wirtschaftsausblick | Russland
Russlands Wirtschaft schrumpft 2023. Der Angriffskrieg beeinflusst immer mehr Branchen. Die westlichen Sanktionen beeinträchtigen die Entwicklung des Landes dauerhaft.
01.12.2022
Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau
Russland ist infolge seines Krieges gegen die Ukraine aktuell das am stärksten sanktionierte Land der Welt. Seit Kriegsbeginn verhängte der Westen rund 8.800 Strafmaßnahmen, berechnete das Recherchezentrum Correctiv. Die Europäische Union (EU) arbeitet aktuell am neunten Sanktionspaket. Das EU-Parlament verabschiedete eine Resolution, die Russland als Terrorsponsor brandmarkt.
Die Handels- und Finanzsanktionen der G7-Staaten, das Technologieembargo und die Flucht junger Leute berauben die russische Wirtschaft dauerhaft ihrer Wachstumsperspektive. Im Jahr 2023 wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sinken, schätzt der Internationale Währungsfonds. Damit setzt sich die Rezession aus dem Jahr 2022 (minus 3,4 Prozent) fort.
Die Kriegskosten von rund 82 Milliarden US-Dollar (US$) in den ersten neun Monaten reißen ein tiefes Loch in den Staatshaushalt. Dieser weist trotz hoher Erlöse aus dem Rohstoffexport seit Juni 2022 ein Defizit auf. Zur Deckung entnimmt der Staat Gelder aus seinen nicht eingefrorenen Reserven von rund 300 Milliarden US$. Das Ölembargo der EU und der geplante Ölpreisdeckel der G7 zielen auf die Einnahmen, die Russland aus dem Export seines wichtigsten Devisenbringers erzielt. Die Regierung rechnet in den nächsten drei Jahren mit einem Haushaltsdefizit von rund 2 Prozent des BIP.
Die Zentralbank stabilisiert den Rubelkurs auf einem hohen Niveau und dämpft damit die Inflation, die im Oktober bei 12,6 Prozent lag. Die Währungshüterin will den Leitzins 2023 auf seinem aktuellen Niveau von 7,5 Prozent belassen.
Unternehmen in Russland müssen sich dauerhaft auf eine Kriegswirtschaft umstellen. Jeder dritte Betrieb leidet unter der Teilmobilmachung und der Flucht gut ausgebildeter Fachkräfte. Bis zu einer Million Spezialisten sind dem Arbeitsmarkt dauerhaft entzogen. Ein Koordinierungsrat unter Vorsitz von Ministerpräsident Mischustin soll die Wirtschaft des Landes für die Bedürfnisse des Militärs mobilisieren. Noch mehr Staatsdirigismus, Protektionismus und eine höhere Staatsquote (aktuell 56 Prozent) sind die Folgen.
Indikator | 2020 | 2021 | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. Euro) | 1.293,1 | 1.503,3 | 4.224 |
BIP pro Kopf (Euro) | 8.846,7 | 10.328 | 50.771 |
Bevölkerung (Mio.) * | 144,1 | 143,4 | 83,2 |
Wechselkurs (Rubel je 1 Euro, Jahresdurchschnittskurs der EZB) | 82,72 | 87,15 |
Das Wirtschaftsministerium rechnet für 2023 mit einem realen Rückgang der Bruttoanlageinvestitionen um 1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, nach einem Minus von 2 Prozent im Jahr 2022. Staatliche Gelder fließen vor allem in den militärisch-industriellen Komplex. Private Firmen können sich infolge der Sanktionen auf internationalen Finanzplätzen nur noch eingeschränkt refinanzieren und verschieben geplante Projekte.
Westliche Firmen gehörten zu den größten Investoren in Russland. Der Bestand von Direktinvestitionen (FDI) aus den USA betrug zum 1. Januar 2022 rund 6,2 Milliarden US$, so die Zentralbank. Deutsche Unternehmen investierten in den letzten 30 Jahren rund 27 Milliarden Euro, meldet die Bundesbank. Von Januar bis September 2022 flossen rund 4,7 Milliarden Euro an deutschen FDI aus Russland ab. Weitere Desinvestitionen von Unternehmen, die ihren Rückzug aus Russland angekündigt haben, werden in den nächsten Monaten folgen.
Mehr als 1.000 ausländische Unternehmen, die etwa 40 Prozent des russischen BIP erwirtschaften, kündigten bereits ihren Rückzug aus Russland an, analysierte die Yale-University. Darunter sind Schwergewichte wie Siemens Energy, Volkswagen und BASF. Die Regierung erschwert ausländischen Firmen den Markt zu verlassen, verbietet Transaktionen und erwägt die Enteignung ausländischer Investoren.
Die Intransparenz in der russischen Wirtschaft nimmt zu. Als Reaktion auf die westlichen Sanktionen geben Staat und Unternehmen immer weniger Daten preis:
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Die galoppierende Inflation drückt auf die Kauflaune russischer Verbraucher. Neuanschaffungen werden auf bessere Zeiten verschoben. Der Einzelhandelsumsatz sank von Januar bis September 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,5 Prozent auf 31,2 Billionen Rubel (443,4 Milliarden US$), meldet Rosstat. Lohn- und Rentenerhöhungen können die Inflationsverluste nur zum Teil ausgleichen.
Die Verbraucher lassen ihre Rücklagen, welche die Zentralbank auf rund 85 Milliarden US$ schätzt, unangetastet. Die Nachfrage nach Verbraucherkrediten brach seit der Teilmobilisierung Ende September 2022 um rund ein Viertel ein. Zwei Drittel der Befragten wollen sparsamer leben, ergab eine Umfrage des Konsumforschungsinstituts NielsenIQ. Gespart wird vor allem bei Freizeit und Unterhaltung (58 Prozent), Kleidung (56 Prozent), Nahrung und Beauty-Dienstleistungen (31 Prozent).
Um das Warenangebot stabil zu halten, verlängert die Regierung die Genehmigung für Grauimporte bestimmter sanktionierter Konsumgüter bis Ende 2023. Seit Kriegsbeginn wurden rund 1,6 Millionen Tonnen Waren im Wert von 12,6 Milliarden US$ ohne Zustimmung der Hersteller nach Russland geliefert, meldet der Zolldienst.
Russland erwirtschaftet 2022 durch hohe Erlöse beim Export von Energieträgern einen Leistungsbilanzüberschuss von bis zu 240 Milliarden US$ - doppelt so viel wie im Rekordjahr 2021. Damit dürfte es 2023 vorbei sein. Bezog Deutschland vor Kriegsbeginn noch rund 55 Prozent seines Gases aus Russland, sind es aktuell nur noch 7 Prozent (via Transgas-Pipeline). Die Bundesrepublik führte in den ersten neun Monaten Waren im Wert von 30,1 Milliarden Euro aus Russland ein - ein Plus von 29,5 Prozent. Doch seit August sinken die Importe im Wert. Im September lag das Minus bei 37,4 Prozent. Die deutschen Ausfuhren gingen in den ersten neun Monaten 2022 um 40,9 Prozent auf 11,5 Milliarden Euro zurück, meldet Destatis.
2020 | 2021 | Veränderung 2021/2020 | |
---|---|---|---|
Importe | 239,6 | 293,4 | 22,4 |
Exporte | 333,4 | 491,6 | 47,4 |
Handelsbilanzsaldo | 93,8 | 198,2 | 111,3 |
Russland setzt als alternative Handelspartner vor allem auf Indien und China und forciert die Bezahlung in nationalen Währungen. Der russisch-chinesische Warenaustausch stieg zwischen Januar und Oktober 2022 um ein Drittel auf 154 Milliarden US$. Das Reich der Mitte wird 2022 die EU als größten Handelspartner Russlands ablösen, kann jedoch Europa als Technologielieferant vorerst nicht ersetzen.