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Wirtschaftsumfeld | Russland | Krieg in der Ukraine

Marktaustritt muss rechtlich sauber vorbereitet werden

Vor einem Rückzug aus Russland müssen zahlreiche rechtliche Hürden überwunden werden. Trotzdem gilt: Verträge sind zu erfüllen. Die Abwicklung eines Unternehmens kann Jahre dauern.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

Im Spannungsfeld zwischen internationalen Sanktionen gegen und vertraglichen Verpflichtungen in Russland gilt für deutsche Firmen nach wie vor der Grundsatz: Pacta sunt servanda. Die rechtlichen Bestimmungen bleiben für westliche Unternehmen vollständig in Kraft.

Abwandernde Firmen müssen Gewährleistungspflichten erfüllen

Deutsche Lieferanten von Maschinen und Anlagen sind ihren Kunden gegenüber gesetzlich dazu verpflichtet, eine Gewährleistung zu erbringen. Service- und Wartungsverträge für Maschinen und Anlagen werden meist über viele Jahre im Voraus geschlossen. Russische Herstellerpflichten sehen eine Versorgung mit Ersatzteilen für bis zu 10 Jahre nach Auslieferung einer Maschine vor. Auch wenn die Ware Sanktionen unterliegt, kann ein Lieferant aus russischer Perspektive nicht einfach seine vertraglichen Verpflichtungen zur Versorgung mit Ersatzteilen einstellen. Die Nichterfüllung drohen Schadenersatzansprüche und Vertragsstrafen. 

Ausländische Unternehmen können sich wegen des russischen Angriffskrieges oder der Verpflichtung zur Einhaltung westlicher Sanktionen im Regelfall nicht auf eine Force-Majeure-Klausel (Höhere Gewalt) berufen. „Nach der offiziellen Haltung der russischen Regierung gibt es im Land selbst kein Krieg. Zudem erkennt Russland die westlichen Sanktionen nicht an“, erklärt Florian Schneider, Partner bei der Wirtschaftskanzlei Dentons.

Das Arbitragegericht in Sankt Petersburg verurteilte Siemens dazu, seine Technik zur Wartung der Sapsan-Hochgeschwindigkeitszüge an die russische Staatsbahn RZD zu übergeben, weil die Geräte für die Erfüllung der Wartungsverträge gebraucht werden. Der russische Verbraucherverband OPI verklagte unter anderem Volkswagen und Daimler darauf, ihre Lieferungen nach Russland trotz der Sanktionen wieder aufzunehmen. Mit ihren Lieferstopps würden die Autokonzerne die Rechte russischer Autokäufer auf Reparatur oder Wartung verletzen.

Sonderinvestitionsverträge liegen derzeit auf Eis

Einige deutsche Firmen schlossen mit dem Industrieministerium (MinPromTorg) Sonderinvestitionsverträge (SPIK). Für die Verpflichtung zur Lokalisierung der Produktion in Russland erhielten sie präferierten Zugang zu staatlichen Beschaffungen, sowie Subventionen. „Es ist vorstellbar, dass der russische Staat Schadenersatz sowie eine Rückzahlung der Subventionen verlangen könnte“, warnt Rechtsanwalt Andreas Knaul. „Doch könnten sich die Firmen darauf berufen, dass ihnen aufgrund des Krieges und der Sanktionen die Geschäftsgrundlage weggebrochen ist und sie deshalb ihre Pflichten aus dem SPIK nicht mehr erfüllen können.“

Der dänische Hersteller von Windkraftanlagen Vestas will den 2018 mit der russischen Regierung abgeschlossenen SPIK aufkündigen und seine Rotorblattfabrik in Uljanowsk bis zum 31. Juli 2022 schließen. Im Rahmen des bis 2026 laufenden Vertrages hatte Vestas rund 2 Milliarden Rubel investiert.

Sonderfall Franchisenehmer

McDonalds, Burger King oder Subway - sie alle kündigten ihren Abschied aus Russland an. Doch bei der Umsetzung hakt es, denn ein Teil ihrer Filialen gehört Franchisenehmern. Weil die Schnellrestaurants von lokalen Unternehmern betrieben werden, ist es aufgrund der Franchise-Vereinbarung möglich, die Filialen weiter offenzuhalten. McDonalds fand schließlich einen Ausweg und veräußerte seine 850 Filialen an den Franchisenehmer Alexander Gowor, der die Schnellrestaurantkette in „Wkusno i Totschka“ (Lecker und Punkt) umfirmierte.

Russland droht abwanderungswilligen Firmen mit Enteignung

Neben den EU- und US-Sanktionen müssen deutsche Firmen, die Russland verlassen möchten, die russischen Gegenmaßnahmen beachten. Die Regierung will Produktionsstätten, die ausländische Firmen errichtet haben, unbedingt am Laufen halten. Dabei schreckt der Staat auch vor rabiaten Maßnahmen nicht zurück.

Mit dem in erster Lesung angenommenen Gesetzentwurf "Über die externe Verwaltung zur Leitung einer Organisation" vom 12. April 2022 will die Regierung Firmen, die sich aus Russland zurückziehen, nach einem beschleunigten Insolvenzverfahren unter Zwangsverwaltung stellen. Von der Enteignung betroffen sind Unternehmen, die sich zu mindestens 25 Prozent im Besitz einer Person aus einem nach russischer Lesart „unfreundlichen Staat“ befinden und die erhebliche Bedeutung für die Stabilität der russischen Wirtschaft haben. Darunter finden sich:

  • Hersteller lebenswichtiger Güter,
  • Konzerne mit einem großen Marktanteil in Russland, wie Volkswagen
  • Unternehmen aus dem Energiesektor, wie Uniper.

Russland macht seine Drohungen einer zwangsweisen Verstaatlichung bereits wahr. Anfang Juli 2022 unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein Dekret zur Übertragung der faktischen Kontrolle über das Öl- und Erdgasförderprojekt Sachalin II auf der gleichnamigen Pazifikinsel auf den russischen Staat. Die ausländischen Anteilseigner haben vier Wochen Zeit, um ihr Interesse an einer Beteiligung an dem neuen Unternehmen zu von Russland gesetzten Bedingungen zu bekunden. Sollten sie ablehnen, soll ihr Anteil verkauft werden. Dabei ist unklar, ob sie entschädigt werden. In naher Zukunft könnte die Regierung lokale Tochterunternehmen von bis zu 47 internationalen Konzernen in Russland enteignen, berichtet die US-Zeitung The Hill.

Wer Sanktionen befolgt, muss mit Strafen rechnen

Ein weiterer Gesetzentwurf der Kreml-Partei Einiges Russland sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren in einem Straflager oder eine Geldstrafe von bis zu 1 Million Rubel (rund 16.000 Euro) für ausländische und russische Manager vor, wenn diese westliche Sanktionen befolgen. Der Gesetzentwurf wurde zwar nicht mehr vor den Sommerferien der Duma verabschiedet. Doch hängt das Thema wie ein Damoklesschwert über Geschäftsführern deutscher Firmen.

Ende Mai 2022 nahm der Reifenhersteller Continental seine seit Anfang März ausgesetzte Produktion im Werk in Kaluga wieder auf und begründete dies mit harten strafrechtlichen Konsequenzen für lokale Mitarbeiter und Führungskräfte, sollten sie die lokale Nachfrage nicht bedienen.

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