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Die deutsche Wirtschaft blickt mit Sorge auf die Geschäftsentwicklung in Russland. Die Mehrheit der Unternehmen erwartet 2021 ein schwieriges Jahr und will nicht investieren.
13.12.2020
Von Gerit Schulze | Moskau
Die Coronapandemie hat in der traditionellen Geschäftsklima-Umfrage der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) und des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft ihre Spuren hinterlassen. Nur ein Drittel der befragten Firmen glaubt an eine positive Entwicklung der Konjunktur in Russland im Jahr 2021. Ähnlich niedrig ist der Anteil jener Unternehmen, die ihre eigene Geschäftslage im Land zurzeit noch als gut bis sehr gut beschreiben. Steigende Exporte erwarten nur 23 Prozent der Unternehmen.
Für Rainer Seele, den Präsidenten der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer, sind die Ergebnisse ein deutlicher Hinweis „auf das schwierige Umfeld, in dem Russland sich befindet.“ Neben der Pandemie habe das Land vor allem mit der Energiekrise und dem Verfall der Öl- und Gaspreise zu kämpfen, sagte Seele bei der Präsentation der Umfrageergebnisse. Der Vorstandsvorsitzende des Öl- und Gaskonzerns OMV verweist angesichts der negativen Zahlen darauf, „dass Russland weitere Konjunkturimpulse benötigt“.
„Deshalb muss der Nationale Aktionsplan schnell umgesetzt werden“, erklärte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Oliver Hermes. Für einen erneuten Anstieg der deutschen Exporte seien eine Stabilisierung des Rubelkurses und ein Abbau von Handelsbarrieren nötig. Nach Einschätzung der deutschen Unternehmer stören während der Coronakrise vor allem die Reisebeschränkungen, der Nachfragerückgang und die Quarantäne der Beschäftigten das Geschäft.
Angesichts der trüben Ausgangslage wollen 2021 nur noch drei von zehn deutschen Unternehmen in Russland investieren. Immerhin 24 befragte Firmen haben ihre Investitionspläne für das laufende Jahr angegeben: Sie stecken insgesamt 432 Millionen Euro in den Ausbau ihrer Aktivitäten, vor allem im Großraum Moskau, in Sankt Petersburg und in Lipezk.
Die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der Coronafolgen lassen die US- und EU-Sanktionen als Störfaktoren im Russlandgeschäft in den Hintergrund treten. Als wichtigste Markthemmnisse nennen die deutschen Unternehmen nun den schwachen Rubelkurs, die Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung und die allgemeine Konjunkturflaute. Erst dann folgen in der Bewertung die Sanktionen vor Bürokratie, Einfuhrverfahren und Protektionismus. Eine große Mehrheit der Unternehmen spricht sich aber weiterhin für eine Abschaffung der Russlandsanktionen aus.
Trotz aller aktuellen Probleme sehen die deutschen Unternehmen viele Anknüpfungspunkte für verstärkte Kooperationen. Die Modernisierung der russischen Industrie, Angleichung von Normen und Standards sowie die Sanierung der Abfallwirtschaft stehen dabei ganz oben auf der Wunschliste. Mehr Zusammenarbeit wünschen sich die Manager auch bei den Themen Energie, Gesundheitswirtschaft und Digitalisierung.
„Die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland haben sich in den vergangenen Monaten dramatisch verschlechtert“, konstatiert Ostausschuss-Vorsitzender Hermes. „Dem dürfen wir aus wirtschaftlichen und historischen Gründen nicht tatenlos zusehen.“ Es müssten verstärkt gemeinsame Themen in der Industrie besetzt werden, unter anderem bei der Gewinnung von Wasserstoff und bei der digitalen Transformation.
Gerade bei der Digitalisierung ergänzten sich beide Länder hervorragend, glaubt Hermes, der auch Geschäftsführer des Pumpenherstellers Wilo ist. „Deutschland hat das Know-how für Industrie 4.0, die Digitalisierung der Produktions- und Logistikprozesse. Russland kennt sich gut aus mit digitalem Marketing und Kundenschnittstellen.“
Als wichtigen Schritt zu mehr Kooperationen sieht Hermes den deutsch-russischen Unternehmerrat, der am 11. Dezember 2020 gegründet wurde. Von deutscher Seite sind der Ost-Ausschuss und die AHK Moskau beteiligt, von russischer Seite das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung. Der Rat soll sich um Lokalisierungsprojekte deutscher Unternehmen und um russische Exporte nach Deutschland kümmern. Auch stehen die technische Regulierung, die Gesundheits- und Agrarwirtschaft sowie die duale Ausbildung in Russland auf der Agenda.
Außerdem startet Mitte Dezember 2020 das "Deutsch-Russische Jahr für Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung 2020-2022" mit den Themenschwerpunkten:
„Dieses neue Themenjahr eröffnet gerade bei der Zusammenarbeit im Klimaschutz viele Möglichkeiten“, glaubt Oliver Hermes. OMV-Chef Rainer Seele sieht beispielsweise bei der unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid (CO2) viel Potenzial. „In Deutschland gibt es dazu noch gar keinen Rechtsrahmen und viel Technologieskepsis. Russland dagegen hätte zahlreiche Lagerstätten verfügbar.“
Der Energiesektor gehört nach Einschätzung der deutschen Unternehmen zu den Branchen mit dem größten Wachstumspotenzial in Russland. Die stärkste Dynamik wird in Zukunft aber dem IT- und Telekommunikationssektor sowie der Land- und Ernährungswirtschaft zugetraut.
Die komplette Auswertung der Geschäftsklima-Umfrage finden Sie hier.