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Entwicklungen im Gesundheitswesen
Die Pandemie treibt kurzfristig die Gesundheitsausgaben nach oben. Die langfristigen Ziele bleiben unverändert, Bereiche wie Psychologie und Altenpflege bekommen aber mehr Mittel.
15.11.2021
Von Michał Woźniak | Stockholm
Die schwedische Coronapolitik - ohne Lockdowns, mit nur punktueller Maskenpflicht, begrenzter Testkampagne und kaum Einreisebeschränkungen aus der Europäischen Union (EU)- zog weltweit eine Flut an Kommentaren nach sich. Die Pandemiebilanz gibt der für die entsprechenden Empfehlungen verantwortlichen Behörde für öffentliche Gesundheit nur begrenzt recht: Bis Anfang November 2021 zählte Schweden pro Einwohner eine etwa doppelt so hohe Fallzahl und um ein Viertel höhere Todeszahl wie Deutschland. Im Vergleich zu den beiden, sehr strenge Maßnahmen ergreifenden, Nachbarländern Dänemark und Norwegen war der Verlauf um ein Vielfaches gravierender.
Indikator | Wert |
---|---|
Einwohnerzahl (2020 in Mio.) | 10,4 |
Bevölkerungswachstum (2020 in %) | 0,5 |
Altersstruktur der Bevölkerung (2020) | |
Anteil der unter 14-Jährigen (in %) | 16,5 |
Anteil der über 65-Jährigen (in %) | 19,1 |
Durchschnittseinkommen (2020 in Euro) 1) | 3.443 |
Gesundheitsausgaben 1) 2) | |
pro Kopf (2020 in Euro) | 5.235 |
öffentlich (2020 in Mrd. Euro) | 46,0 |
privat (2020 in Mrd. Euro) | 8,1 |
Anteil der Gesundheitsausgaben 2) | |
am BIP (2020 in %) | 11,4 |
Medikamente (2020 in %) | 9,2 |
Anzahl Krankenhäuser (2020), davon | 100 |
öffentlich (in %) | 85 |
privat (in %) | 15 |
Ärzte/1000 Einwohner (2019) | 4,3 |
Krankenhausbetten/1000 Einwohner (2019) | 2,1 |
Entsprechend zwang die Belastung des Gesundheitswesens die Regierung vertraglich festgehaltene Obergrenzen der Arbeitszeit des medizinischen Personals auszusetzen. Das europaweit kleinste Angebot an Krankenhausbetten pro Einwohner führte zum Bau eines provisorischen Krankenhauses an der Stockholmer Messe. Allerdings blieben Danteske Szenen aus, der Rückbau der 600 Betten fing kaum mehr als zwei Monate nach der Eröffnung an.
Haushaltplan 2022 zeigt kurzfristige Anpassungen auf
Andererseits wurden zwischen März 2020 und Juli 2021 über 50.000 Operationen weniger durchgeführt als in den drei Jahren zuvor. In der Tageschirurgie war der Ausfall von Operationen doppelt so hoch. In beiden Fällen hat sich die Situation seit Mitte 2021 normalisiert, laut dem Zentralamt für Gesundheits- und Sozialwesen können die Rückstände aber noch nicht abgebaut werden. Damit helfen sollen zusätzliche über 600 Millionen Euro, die die Regierung 2022 zur Bewältigung des Nachholbedarfs in der Gesundheitspflege bereitstellen will. Daneben fanden sich mehr Mittel für eine Verbesserung der Dienstleistungen rund um die Schwangerschaft - vom pränatalen Stadium, über die Geburt bis zur Nachsorge. Ferner soll die Ausbildung von Krankenpflegepersonal gefördert werden, auch im Hochschulbereich. Für diese sollen auch mehr Berufsbildungsplätze in Krankeneinrichtungen bereitgestellt werden.
Nochmal gestärkt wurde der Bereich Psychologie, Psychiatrie und Suizidprävention. Die bereits in den Vorjahren stark gestiegenen Ausgaben - aus dem Zentralbudget hat sich der Zuschlag zwischen 2016 und 2020 verdoppelt - sollen nun zusätzlich die mentalen Folgen der Pandemie reduzieren. Bis 2024 sollen deswegen pro Jahr über 200 Millionen Regierungs-Euro die regionalen Mittel ergänzen. Gestärkt werden sollen vor allem die psychische Fürsorge seitens der Hausärzte, aber auch die Kinder- und Jugendarbeit. Die schwedischen Regionen, wie Östergötland mit der dritten Phase in Linköping, investieren daneben in den Ausbau der Einrichtungen.
Langzeitfokus auf Altenpflege
Noch stärker ins Scheinwerferlicht rückte Covid-19 die Altenpflege. Das kommunal verwaltete System wird als einer der Hauptgründe für die vergleichsweise hohe Sterberate gesehen: Von den bis Anfang November 2021 an Coronafolgen verstorbenen 15.000 Personen, lebte laut Socialstyrelsen mehr als ein Drittel in Senioreneinrichtungen. Eine auf öffentlichen Druck hin gebildete Sonderarbeitsgruppe, die Corona-Kommission, soll Ende Februar 2022 einen Endbericht mit Verbesserungsvorschlägen liefern. Für das "Scheitern der Strategie zum Schutz älterer Menschen", hat sie bereits erste Gründe genannt: zersplitterte Organisation; zu geringe Personalressourcen mit unzureichenden Qualifikationen; unzureichender Rechtsrahmen; Hürden bei der Beschäftigung von Ärzten und dem Zugang zur medizinischen Ausrüstung; späte und unangemessene Entscheidungen und Maßnahmen.
Bereits 2020 wurden deswegen Zusatzmittel für den Pflegebereich erhöht. Nun wurde die Initiative zur Lohnfortzahlung für Ausbildungsmaßnahmen während der Arbeitszeit bis mindestens 2023 verlängert. Auch Sprachkurse werden finanziert und auf weitere Beschäftigtengruppen ausgeweitet. Erhöht wurde ferner die Investitionsförderung für Seniorenwohnungen. Die Errichtung einer einheitlichen, digitalen Sozialinfrastruktur - zur Stärkung des Informationsaustausches zwischen öffentlichen Akteuren und Freisetzung von Ressourcen in der Wohlfahrt - will sich die Regierung in den Jahren 2022 bis 2024 jährlich etwa 5 Millionen Euro kosten lassen. Geringfügig mehr Geld ist im gleichen Zeitraum eingeplant für die Umsetzung der EU-Verordnung über das zentrale digitale Zugangstor.
Digital in die Zukunft
Der digitale Aspekt ist auch einer der Eckpunkte der langfristigen schwedischen Gesundheitspolitik. Die Vision E-Health 2025 wurde bereits 2016 vorgestellt. Viele Maßnahmen laufen bereits. Das Rückgrat des Systems bildet das landesweite Gesundheitsportal 1177. Viele Funktionen, wie Arzttermine, Gesundheitsdatenabrufe, Gesundheitsinformationen, Onlinebehandlungspläne, Rezeptverwaltung und -Erneuerung oder momentan auch das Corona-Impfprogramm werden bereits darüber abgewickelt. Weitere Vorhaben sind aber nach wie vor im Implementierungsstadium. Dazu zählt vor allem die Anbindung der regionalen IT-Lösungen an das Zentralsystem; die Übertragung und Zusammenführung vorhandener Spezifikationen und Dokumentation im Gesundheitssektor zu einem landesweiten System unter der Behörde E-Hälsomyndigheten; die Anbindung der inländischen E-Rezept-Lösung an die weiteren EU-Staaten; vor allem aber Fragen der Cybersicherheit.
E-Health wird auch bei der Strategie zur "nära vården", also in etwa der nahen Betreuung, unumgänglich sein. Ihre Ziele:
- Koordination innerhalb oder zwischen Leistungserbringern zu stärken,
- die Erreichbarkeit zu verbessern,
- Patientenverträge einzuführen,
- die Kontinuität und Partizipation für Patienten und Angehörige erhöhen,
- Gesundheitsförderungs- und Präventionsarbeit zu leisten.
Der Patient soll zukünftig dank besserer Informationen mehr für seine Gesundheit und Krankheitsprävention tun und somit das System entlasten. Muss der Patient es dennoch nutzen, sollen Qualität und Komfort wesentlich höher sein.