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Wirtschaftsumfeld | Serbien | Gas-, Ölversorgung, Pipelines

Serbien schaukelt weiter in Richtung Russland

Präsident Aleksandar Vučić ist für seine Schaukelpolitik zwischen Ost und West bekannt. Sein neuer Gasdeal vertieft die Abhängigkeit von Russland noch.

Von Martin Gaber | Belgrad

Serbien pflegt unter Präsident Vučić bereits seit Jahren enge Beziehungen zur Europäischen Union (EU) und treibt gleichzeitig Partnerschaften mit China und Russland voran. Infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verlangt die EU nun von Serbien, sich für ein politisches Lager zu entscheiden und die Sanktionen gegen Russland mitzutragen.

Hohe Energieabhängigkeit von Russland

Die engen Beziehungen zu Russland gefährden jedoch nicht nur den EU-Beitritt, sondern setzen auch Serbiens Wirtschaft hohen Risiken aus. Russland gehört zu den wichtigsten Handelspartnern und Investoren in dem Balkanstaat. Insbesondere Gas- und Öllieferungen aus Moskau machen das Land verwundbar.

Daher überrascht es wenig, dass die Regierung in Belgrad eine Teilnahme an den Sanktionspaketen der EU entschieden ablehnt. Diese hätten massive Auswirkungen, denn Serbien ist in Schlüsselsektoren von Russlands Wohlwollen abhängig. Der Balkanstaat hängt zum Beispiel bei Erdgas fast komplett auf Lieferungen aus Russland angewiesen. 

Mit einem neuen Gasvertrag will Präsident Vučić weiter Erdgas zum Freundschaftspreis beziehen. Besonders pikant: Im Juni 2022 wird Russlands Außenminister Sergej Lawrow wohl persönlich den Vertrag in Belgrad unterzeichnen. Die Höhe des Preises ist allerdings noch nicht bekannt. Bislang hatte Belgrad einen Preis von 270 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter gezahlt, obwohl der Weltmarktpreis bereits deutlich über 1.000 US-Dollar lag. Der neue Vertrag gilt für drei Jahre.

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Belgrad kündigt Diversifizierung von Gasimporten an

Belgrad hat angekündigt, seine Gaseinfuhren langfristig diversifizieren zu wollen. Dies soll bis 2050 umgesetzt werden. Eine Pipeline, die Serbien mit Bulgarien verbindet, befindet sich bereits im Bau. Bulgarien will sich in der Region als neuer Erdgas-Hub positionieren. Damit könnte Serbien einen Anschluss an das griechische Netz bekommen. So wäre es möglich, Gas aus Aserbaidschan oder Israel zu beziehen - perspektivisch auch von Gasfeldern vor Zypern, so die österreichische Zeitung Der Standard.

Außerdem gibt es laut Präsident Vučić Gespräche mit Ungarn, um dort bis zu einer halben Milliarde Kubikmeter Erdgas zu speichern. Serbien besitzt ebenfalls einen Erdgasspeicher in Banatski Dvor. An diesem ist aber Russlands Energiegigant Gazprom beteiligt.

Serbiens Ölindustrie liegt in russischer Hand

Russland ist zweitwichtigster Lieferant von Rohöl für Serbien, lag lange Zeit sogar auf Platz 1. Nur der Irak liefert aktuell mehr Rohöl in den Balkanstaat. Zudem hat es Russland über den Konzern Gazprom geschafft, in Serbien Anteile in Mineralölunternehmen zu übernehmen. Bei der Privatisierung des staatlichen Unternehmens NIS (Nafta Industrija Srbije) gingen Mehrheitsanteile an Gazprom. Zu NIS gehört auch Serbiens wichtigste Raffinerie in Pančevo. Ferner hält Gazprom über NIS Anteile am Hersteller für Petrochemikalien HIP Petrohemija.

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Außenhandel mit Russland legt zu

Der Außenhandel mit Russland hat 2021 zugelegt und ist auf fast 3 Milliarden US-Dollar gestiegen. Damit liegt Russland auf Platz 4 der wichtigsten Handelspartner Serbiens hinter Deutschland, China und Italien. Auf Russland entfallen rund 5 Prozent des serbischen Außenhandels. Zum Vergleich: Die EU ist wichtigster Handelspartner und macht rund 60 Prozent des Außenhandels aus.

Wichtigste Exportprodukte nach Russland sind Gemüse und Früchte. Es folgen Reifen und Medikamente. Auch deutsche Firmen liefern aus Serbien nach Russland. Für Hemofarm, eine Tochter der Stada-Gruppe, macht der russische Markt rund 15 Prozent der Verkäufe aus, so eine Unternehmenssprecherin gegenüber BBC.

Serbische Exporte nach Russland verzeichnen im Zeitraum Januar bis April 2022 eine erste Delle und liegen etwas unter dem Vorjahresniveau, so die Statistikbehörde. Außerdem berichtet das serbische Logistikunternehmen Milšped, dass unter anderem aufgrund neuer Lieferwege die Transportzeiten und -kosten deutlich gestiegen sind.

Wichtigste Exporte Serbiens nach Russland (2021, in Millionen US-Dollar)

Produkt

Volumen

Gemüse und Früchte

186,9

Bekleidung und Bekleidungszubehör

93,9

Kautschukwaren

92,8

Maschinen, Apparate und Geräte und Teile davon

73,7

Medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse

69,4

Papier und Pappe und Waren daraus

50,0

Elektrische Maschinen, Apparate und Geräte und Teile davon

43,3

Metallwaren

39,0

Ätherische Öle, Körperpflege- und Reinigungsmittel

34,6

Milch, Milchprodukte und Eier

34,3

Gesamtexporte nach Russland

996,2

Kategorisiert nach SITC-Abschnitten; verkürzte BenennungQuelle: Serbische Statistikbehörde

Russland investiert weiter

Russland gehört nicht nur zu den wichtigsten Handelspartnern Serbiens, sondern auch zu den größten Investoren im Land. Die Bestände der russischen Direktinvestitionen von 2011 bis 2020 liegen laut serbischer Nationalbank bei über 2 Milliarden Euro. Allerdings verteilen sich die Investitionen auf nur wenige Schultern. Wichtigster Investor ist Gazprom. Der russische Energiekonzern und Mehrheitseigentümer von NIS investiert vor allem in die Modernisierung der Raffinerie Pančevo. Allein für 2022 sind rund 220 Millionen Euro veranschlagt, vor allem für Umweltmaßnahmen.

Russland und China bauen Serbiens Schienennetz

Russland treibt gemeinsam mit China den Infrastrukturausbau in Serbien voran. Dazu gehört auch das Schienennetz. Verschiedene Streckenabschnitte wurden bereits modernisiert, weitere sind in Planung. Russland finanziert zudem ein neues Eisenbahnbetriebswerk und liefert Lokomotiven. Für diese Vorhaben stellt Moskau Kredite von rund 1 Milliarde Euro zur Verfügung.

Russlands strategische Investitionen in Serbien
  • Mineralölunternehmen NIS: JAD Gazprom Neft und JAD Gazprom Energoholding halten rund 56 Prozent der Anteile; zu NIS gehören kleinere Öl- und Gasfelder, ein Tankstellennetz sowie die Ölraffinerie in Pančevo.
  • Erdgasspeicher Banatski Dvor: Gazprom hält 51 Prozent der Anteile, den Rest Serbiens staatlicher Gasversorger JP Srbijagas.
    Erweiterungen des Erdgasspeichers und Bau einer Pipeline sind in Planung.
  • Bau des gasbetriebenen Wärmekraftwerkes in Pančevo (TE-TO Pančevo) für 180 Millionen Euro durch Gazprom Energoholding.
  • Beteiligung (21 Prozent) und Investitionen in HIP Petrohemija durch NIS; HIP Petrohemija ist Serbiens wichtigster Produzent von Petrochemikalien.
  • Kredite für den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur und Lieferung von Lokomotiven, Umsetzung der Projekte durch eine Tochter der russischen Eisenbahngesellschaft RZD.

Fragezeichen hinter möglichem EU-Beitritt bleibt groß

Serbien will die engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland auch weiterhin pflegen, beteuert zugleich jedoch, den europäischen Weg gehen zu wollen. Das ist derzeit nur schwer vereinbar. Seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine legen Spitzenpolitiker aus Brüssel und Berlin einen stärkeren Fokus auf den Westbalkan. Der Beitrittsprozess war in den letzten Jahren ins Stocken geraten. Nun ist die EU bemüht, die Perspektive wieder deutlicher zu gestalten. Serbiens Bevölkerung hatte sich bei einer aktuellen Umfrage mehrheitlich gegen einen EU-Beitritt ausgesprochen. Ob und wann Serbien wieder in Richtung EU schaukelt, bleibt also offen.

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