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Bericht Wirtschaftsumfeld Serbien Außenwirtschafts-, Industriepolitik

Serbiens Wahlen entscheiden über wirtschaftliche Perspektive

Serbien wählt am 3. April einen neuen Präsidenten. Aleksandar Vučić steht vor der Wiederwahl. Was bedeutet das für die Wirtschaft?

Von Martin Gaber | Belgrad

Serbiens Bevölkerung stimmt am 3. April über einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament ab. Zudem gibt es in einigen Städten Kommunalwahlen. Dazu gehört auch Belgrad. Die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Aleksandar Vučić gilt laut Umfragen als sicher. Die serbische Wahlkommission RIK hat am 18. März die acht Kandidatinnen und Kandidaten bekannt gegeben.

Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2022 in Serbien

Kandidatin/Kandidat

Koalition/Partei/Bewegung

Miša Vacić

Srpski patriota

Prof. Dr. Biljana Stojković

Moramo

Branka Stamenković

Suverenisti

Zdravko Ponoš

Grupa Gradjana za ujedinjenu, pravednu i stabilnu Srbiju

Milica Đurđević Stamenkovski

Srpska stranka Zavetnici

Aleksandar Vučić

SNS-SPS-SVM-VMSZ

Dr. Miloš Jovanović

Koalicija za Kraljevinu Srbiju

Boško Obradović

DVERI - POKS

Quelle: Wahlkommission Serbiens (Republička izborna komisija, RIK)

Sowohl Vučić als auch seine Partei, die Serbische Fortschrittspartei SNS (Srpska napredna stranka), sind nicht unumstritten. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) Freedom House hat Serbien in ihrem "Nations in Transit-Bericht 2020" herabgestuft: Statt einer Demokratie wird das Land nun als hybrides Regime geführt. Die SNS habe die politischen Rechte und die bürgerlichen Freiheiten kontinuierlich ausgehöhlt und Druck auf unabhängige Medien, die politische Opposition und Organisationen der Zivilgesellschaft ausgeübt, so die NGO weiter. Der "Bertelsmann Transformation Index 2022" unterstreicht, dass Serbiens politisches System auf fast allen Ebenen von nur einer Partei dominiert wird.

"Nach dem Sturz von Slobodan Milošević im Oktober 2000 hat Serbien Fortschritte auf seinem Weg zur Demokratie und zur europäischen Integration gemacht. Der Sieg der SNS im Jahr 2012 war ein Wendepunkt. Obwohl der Erfolg von Aleksandar Vučić darauf beruhte, die Lager der Serbischen Radikalen Partei mit dem Narrativ des EU-Beitritts zu vereinen, haben wir zu wenig politischen Willen gesehen, den notwendigen Reformprozess für den EU-Beitritt Serbiens voranzutreiben," sagt Dr. Max Brändle, Leiter der Fiedrich-Ebert-Stiftung in Belgrad.

Vučić setzt Schwerpunkt auf die Wirtschaft

Wirtschaftlich hingegen hat sich Serbien zum Motor auf dem westlichen Balkan entwickelt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird 2022 voraussichtlich real um 4 bis 5 Prozent zulegen. Der Ausblick unterliegt derzeit aber großer Unsicherheit. Serbiens Wirtschaft hatte in 2021 das Vorkrisenniveau schnell übertroffen.

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Für den wirtschaftlichen Aufschwung im Balkanstaat lässt sich vor allem Aleksandar Vučić feiern. Der amtierende Präsident hat die Wirtschaft in den vergangengen Jahren immer wieder in den Fokus seiner Politik gestellt. Vor allem ausländische Direktinvestitionen und Infrastrukturprojekte waren Kern seiner Strategie. Entsprechend selbstbewusst lautet seine Kampagne "Die Ergebnisse sprechen für sich" (Dela govore). Tatsächlich gab es in seiner Amtszeit größere Ansiedlungen. Darunter auch deutsche Unternehmen, vor allem aus dem Automobilzulieferbereich.

Ziel ist konstantes Wirtschaftswachstum

Für Investoren bedeutete Vučić bislang vor allem Stabilität. Das nimmt auch seine neue Wahlwerbung auf und titelt: Friede. Stabilität. Vučić (Mir. Stabilnost. Vučić.). Tatsächlich liefen Investitionsprojekte häufig direkt über den Tisch des Präsidenten. Auch die Eröffnung der Betriebe übernahm er persönlich.

„Die zahlreichen Anfragen seit Jahresbeginn bestätigen das hohe Interesse deutscher Unternehmen an dem Investitionsstandort Serbien. Ich gehe davon aus, dass die serbische Regierung nach den Wahlen die Ansiedlung ausländischer Investoren weiterhin nachhaltig fördern wird,“ sagt Gert Rabbow, Geschäftsführer der Deutsch-Serbischen Wirtschaftskammer. Auch für eine mögliche weitere Wahlperiode steht die Wirtschaft im Fokus der Politik von Aleksandar Vučić. Anders als in Deutschland gibt es in Serbien keine Wahlprogramme. Dennoch hat Vučić zehn strategische Ziele definiert. Darunter große Infrastrukturvorhaben, eine neue Industriepolitik und die Erhöhung der Wertschöpfung in der Landwirtschaft.

Strategische Ziele Aleksandar Vučić

Konstantes jährliches Wachstum der Gehälter und Renten bei konstantem Wirtschaftswachstum.

Politische Stabilität, Klärung offener Fragen in der Region und Suche nach einer Kompromisslösung in der Kosovo-Frage. Serbiens Mitgliedschaft in der EU bei gleichzeitiger Stärkung der Partnerschaften mit Russland, China und den Vereinigten Staaten.

Neue Industriepolitik mit Fokus auf die Entwicklung neuer Technologien, Digitalisierung, Produktionsautomatisierung, Entwicklung von Energiespeichersystemen, intelligente Fabriken und Gebäude. Serbien muss fortschrittliche IT-Technologien entwickeln und seine zukünftige Entwicklung darauf aufbauen.

Entwicklung des Infrastrukturnetzes und Fertigstellung der wichtigsten Straßenkorridore: Moravski-, Fruškogorski-Korridor und Korridor XI.

Modernisierung der Eisenbahninfrastruktur: Belgrad-Budapest, Belgrad- Niš, Belgrad-Bar.

Investitionen von einer Milliarde Euro in Gesundheitsversorgung, Krankenhäuser und Ausrüstung.

Sicheres Serbien: Investitionen und Reformen im Bereich der inneren Sicherheit.

Landwirtschaft als Entwicklungschance für Serbien: Entwicklung der Lebensmittelindustrie, Erhöhung der Subventionen und staatlicher Hilfen. Bereitstellung zusätzlicher Mittel für dünn besiedelte Gebiete.

Bevölkerungspolitik: Abwanderung entgegenwirken.

Bildung: Ausrichtung der Bildungspolitik an den Bedürfnissen der Wirtschaft.

Quelle: Webseite Aleksandar Vučić (vucic.rs, Stand: 18.03.2022)

EU-Annäherung soll vorankommen

Die EU-Annäherung des Balkanstaats hingegen ist ins Stocken geraten. Internationale Kritik gab es inbesondere für Projekte, die mit China oder Russland umgesetzt wurden. Derzeit sind 22 der 34 EU-Beitrittskapitel eröffnet. Nur zwei bisher abgeschlossen. Ein mögliches Datum für einen EU-Beitritt Serbiens steht damit in den Sternen. Den Beitritt hat Vučić zum strategischen Ziel gemacht. Gleichzeitig soll die Partnerschaft mit China, den Vereinigten Staaten und Russland gestärkt werden. "Das ist die traditionelle Schaukelpolitik Serbiens. Die Beschlüsse der UN-Vollversammlung werden mitgetragen, die Sanktionen aber nicht," so Michael Roick, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Belgrad. Auch die Kosovo-Frage soll laut Vučićs Zielen zu einer Kompromisslösung kommen. Wie diese aussehen könnte, wird nicht genannt. Damit steht der amtierende Präsident fast alleine da. Alle anderen aussichtsreichen Kandidaten haben einer Lösung für Kosovo eine Absage erteilt. Das wäre mit einer Absage an die Beitrittsbemühungen des 7-Millionen-Einwohner-Landes gleichzusetzen.

Serbische Fortschrittspartei wohl auch im Parlament vorne

Allen Umfragen zufolge wird auch im Parlament die serbische Fortschrittspartei die Mehrheit stellen. Allerdings hatten anhaltende Proteste für Unruhe gesorgt. Die Demonstrationen hatten sich gegen die Umweltauswirkungen einer Lithium-Mine in Jadar gerichtet. Serbien werde um jeden Preis an ausländische Investoren verkauft, so der Vorwurf der Demonstranten. Das könnte die Partei nun einige Stimmen kosten. Die Zusammensetzung des Parlaments könnte sich in diesem Jahr also offener gestalten.

Die jetzigen Parlamentswahlen wurden vorgezogen. Eigentlich hatte Serbien bereits 2020 ein neues Parlament gewählt, mitten in der Coronapandemie. Die Wahlen wurden von der Opposition boykottiert. "Die zunehmend autokratische Regierung von Präsident Vučić mit seiner Partei SNS hat die Wahlbedingungen nicht verbessert. Trotzdem hat die politische Opposition entschieden ihre Boykott-Haltung aus 2020 aufzugeben und bei den Wahlen auf allen drei Ebenen anzutreten. Besonders das neue Wahlbündnis "Moramo" ist interessant. "Moramo" trägt der zuletzt stark angestiegenen Relevanz von umweltpolitischen Fragestellungen in der Bevölkerung Rechnung," so die Einschätzung von Simon Ilse, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Belgrad.


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