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Ein Zehntel der tschechischen Pkw-Produktion sind Elektroautos
Der Halbleitermangel bremst die Erholung der Autoindustrie und verschärfte Emissionsziele erfordern Anpassungen. Die Regierung verhandelt, um ein Batteriezellenwerk anzusiedeln.
09.09.2021
Von Miriam Neubert | Prag
Nach einem außergewöhnlich starken Jahresauftakt hat die Autoherstellung in Tschechien wieder an Tempo eingebüßt. Im 1. Halbjahr 2021 liefen nach Auskunft des Verbandes der Automobilindustrie AutoSAP gut 663.000 Pkw von den Bändern der drei Hersteller Škoda, Hyundai und Toyota. Das war ein Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum, aber ein Zehntel weniger als vor Corona.
Stop and Go durch Halbleitermangel
Es ist die weltweite Knappheit an Halbleitern, die die Branche seit Jahresbeginn in Atem hält, zu Unterbrechungen und weniger Schichten führt. Häufig verlassen unfertige Fahrzeuge die Werke und müssen später komplettiert werden, wenn die Komponenten vorliegen. Steigende Preise für Rohstoffe und Materialien sowie der Fachkräftemangel sind weitere Probleme. "Ohne das Chipproblem könnte die Produktion um circa 5 Prozent höher liegen und den Vorkrisenzeiten näher sein", schätzt Zdeněk Petzl, Geschäftsführer des Branchenverbandes. AutoSAP rechnet 2021 mit einer Produktion von circa 1,3 Millionen Pkw. Das wäre ein Ergebnis zwischen dem von 2019, als es über 1,4 Millionen waren und 2020 mit weniger als 1,2 Millionen Einheiten.
Entwicklung der Pkw-Produktion in der Tschechischen Republik (Stückzahl; Veränderung in Prozent)
Pkw-Hersteller | 2019 | 2020 | Veränderung 2020/19 | 1. Halbjahr 2021 | Veränderung 2021/201) |
---|---|---|---|---|---|
Škoda Auto | 907.942 | 749.579 | -17,4 | 420.838 | 24,7 |
Hyundai Motor Manufacturing Czech (HMMC) | 309.500 | 238.750 | -22,9 | 142.400 | 47,7 |
Toyota Motor Manufacturing Czech Republic (TMMCZ)2) | 210.121 | 164.572 | -21,7 | 99.777 | 43,3 |
Summe | 1.427.563 | 1.152.901 | -19,2 | 663.015 | 31,7 |
Unabhängig von den Verzerrungen durch Pandemie und Halbleitermangel hat ein ganz grundsätzlicher Wandel eingesetzt: die unaufhaltsame Abkehr vom Verbrennungsmotor. Für das Autoland Tschechien, seine Kraftfahrzeughersteller und den breiten Zuliefersektor kommt das einem tektonischen Umbruch gleich. Im Rahmen des europäischen Grünen Deals haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) das Ziel gesetzt, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Als Zwischenetappe sollen schon bis 2030 die CO2-Emissionen um mindestens 55 Prozent unter ihr Niveau von 1990 fallen.
Verschärfte Klimaziele machen Druck
Um Nägel mit Köpfen zu machen, hat die Europäische Kommission im Sommer 2021 das Paket „Fit für 55“ vorgestellt. Es soll die Rechtsvorschriften zu Klima, Energie und Verkehr an dieses Ziel anpassen. Für die Autoindustrie lautet der Vorschlag für die Neuflottenproduktion: bis 2030 Senkung der Emissionen von Pkw um 55 Prozent, ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen.
Damit ist der Termin für das Auslaufen der Dieselfahrzeuge und Benziner in der EU gesetzt, auf die sich der tschechische Kraftfahrzeugsektor noch vorrangig konzentriert. Verbrennungsmotoren wären danach auf dem gemeinsamen Markt allenfalls für alternative Brennstoffe möglich. Schon 2026 soll der Straßenverkehr in das Emissionshandelssystem einbezogen werden. Das verteuert die Verschmutzung und setzt den Anreiz, umweltfreundlichere Kraftstoffe und Technologien zu nutzen.
Hersteller elektrifizieren ihr Portfolio
Die Industrie muss sich neu definieren und hat begonnen, den Wachstumsmarkt emissionsarmer Antriebe zu ihrem eigenen zu machen. An vorderster Front sind das die Autohersteller selbst. Nach entsprechenden Investitionen werden seit 2020 in Tschechien erste rein batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) produziert. Škoda Auto fertigt im Stammwerk Mladá Boleslav den Enyaq iV, Hyundai in Nošovice den Kona Electric. Im 1. Halbjahr 2021 machte ihr Anteil an der tschechischen Gesamtproduktion 5,3 Prozent aus. Unter Einschluss der Plug-in-Hybride (PHEV) waren es 9,6 Prozent.
Produktion von Elektroautos in der Tschechischen Republik im 1. Halbjahr 2021 (Stückzahl; Anteil in Prozent)
Pkw | 1. Halbjahr 2021 | Anteil an Pkw-Produktion |
---|---|---|
Insgesamt, davon | 663.015 | 100 |
batterieelektrische Autos (BEV), davon | 35.115 | 5,3 |
Škoda Auto | 25.527 | 3,9 |
Hyundai Motor Manufacturing Czech | 9.588 | 1,4 |
Plug-in-Hybride (PHEV), davon | 28.225 | 4,3 |
Škoda Auto | 18.200 | 2,7 |
Hyundai Motor Manufacturing Czech | 10.025 | 1,5 |
Insgesamt Elektroautos | 63.340 | 9,6 |
Und das ist erst der Anfang. Škoda Auto will bis 2030 mit mindestens drei weiteren rein elektrischen Modellen sein Portfolio erheblich elektrifizieren. Das ist ein wichtiges Signal, da zwei Drittel der in Tschechien gefertigten Pkw aus den Werken von Škoda Auto stammen. Je nachdem, wie sich der Markt entwickelt, plant Tschechiens größter Autobauer, den Anteil vollelektrischer Modelle an seiner Palette in Europa auf 50 bis 70 Prozent auszubauen. Das soll dazu beitragen, die CO2-Emissionen der gefertigten Fahrzeugflotte um mehr als 50 Prozent zu reduzieren. „Mit unserer neuen Next Level-Škoda Strategie 2030 geben wir konkrete Antworten, wie wir Škoda Auto erfolgreich durch den Transformationsprozess steuern und sicherstellen, dass das Unternehmen 2030 noch stärker aufgestellt ist als heute“, erklärte der Vorstandsvorsitzende Thomas Schäfer. Den Heimatmarkt Tschechien will er zusammen mit Partnern zu einem Elektromobilitäts-Hub entwickeln.
Hoffnung auf eine Giga-Factory
In der Wertschöpfungskette elektrischer Mobilität ergeben sich ganz neue Konstellationen. So will der staatliche Energiekonzern ČEZ seine Rolle in dieser Richtung ausbauen und hat dabei ein mögliches Ass im Ärmel. Der Energieversorger bereitet ein Lithiumabbau-Projekt in Cínovec im Erzgebirge vor und könnte sich dadurch nicht nur als Strom-, sondern auch als Lithiumlieferant einbringen.
Ende Juli 2021 unterzeichneten die tschechische Regierung und ČEZ ein Memorandum, welches den Boden für das Projekt einer Batteriezellenproduktion für Elektrofahrzeuge bereiten soll. Sie bezeichneten es als „weiteren Schritt zum Aufbau einer Gigafactory“ und als Voraussetzung für Vereinbarungen mit weiteren möglichen Investoren aus der Auto- oder Batterieindustrie. Das mit einer jährlichen Produktionskapazität von bis zu 40 Gigawattstunden angedachte Vorhaben erfordert eine Investition von 52 Milliarden Tschechischen Kronen (umgerechnet rund 2 Milliarden Euro).
Die Regierung steht mit zwei potenziellen Investoren in Verhandlungen. Einer ist Pressemeldungen zufolge der Volkswagenkonzern, zu dem Škoda Auto gehört. Im Frühjahr hatte Volkswagen angekündigt, bis 2030 in Europa sechs Batteriezellenwerke für seine Elektroautos bauen zu wollen. Als weiterer Interessent wird der südkoreanische Elektronikkonzern LG gehandelt.
Ein solch strategisches Projekt mit seiner Wertschöpfungskette würde den Übergang der Fahrzeugbranche auf das neue, grüne Niveau unterstützen. Die Größe der tschechischen Autoindustrie ruft geradezu danach. Das Land war nach Angaben des Verbandes der europäischen Automobilhersteller ACEA 2020 drittgrößter Pkw-Hersteller in der EU, da Frankreich unter Corona schwächer abschnitt. Weltweit lag es auf Rang zehn.