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Branchen | Türkei | Arzneimittel, Diagnostika

Die türkische Pharmaindustrie wächst wieder

Inlandsabsatz und Produktion ziehen an, trotzdem bleiben Schwierigkeiten bestehen. Internationale Pharmaunternehmen bauen ihr Engagement aus.

Von Katrin Pasvantis | Istanbul

Der Absatz und die Produktion von Arzneimitteln in der Türkei legten 2021 nach den Rückgängen im Vorjahr wieder zu und der Wachstumstrend dürfte anhalten. Aber die Herausforderungen bleiben: Die letzten beiden Jahre waren für die türkische Pharmaindustrie schwierig und viele Probleme halten an. Die Produktions- und Lieferkosten sind gestiegen und es kam zu Störungen der internationalen Lieferketten. Die Importabhängigkeit bei Rohstoffen ist hoch. Die Preise für Energie, Transport, Verpackungsmaterialien sowie pharmazeutische Wirkstoffe und Hilfsstoffe zogen weltweit deutlich an. Unternehmen, die vor allem Lira-Einnahmen erzielen, leiden wegen des starken Kursverfalls der türkischen Lira (TL) besonders, da diese Vorprodukte in der Regel in US-Dollar (US$) gehandelt werden. Zunehmend sind wegen der Euroschwäche gegenüber dem US$ auch exportorientierte Pharmafirmen mit Euroeinnahmen betroffen. 

Der staatlich regulierte Wechselkurs für Medikamente ist zur Belastung für die Pharmaindustrie ist geworden, weil er den starken Wechselkursverfall der letzten Monate nicht berücksichtigt. Die Inlandspreise liegen deshalb deutlich unter den Marktpreisen. Außerdem bereitet die seit zwei Jahren anhaltende Überlastung der Arzneimittelzulassungsverfahren dem Arbeitgeberverband der türkischen Arzneimittelindustrie IEIS zufolge weiter Schwierigkeiten. Vor 2020 wurden jahresdurchschnittlich noch 740 Lizenzen vergeben, im Jahr 2020 waren es nur 191 Stück.

Inlandsabsatz auf Lira-Basis steigt um 30 Prozent

Der türkische Pharmamarkt legte 2021 wertmäßig um 1,4 Prozent auf 7,3 Milliarden US$ zu. Der starke Wechselkursverfall der Lira verzerrt die Daten. Auf Lira-Basis wuchs der Inlandsabsatz um fast 30 Prozent zu. Es sind noch nicht alle Daten für 2021 veröffentlicht, wie etwa zur Produktion.

Entwicklung des türkischen Pharmamarktes nach Absatzmenge (in Milliarden US-Dollar)

2017

2018

2019

2020

2021

Inlandsabsatz

7,0

6,6

7,4

7,2

7,3

Produktion

3,1

3,1

3,7

3,5

 k.A.

Exporte

1,0

1,3

1,4

1,8

 1,9

Importe

3,6

3,3

3,4

3,4

k.A. 

Durchschnittlicher Wechselkurs 1 US$ = …TL

3,651

4,818

5,676

7,016

8,893

Quelle: Arbeitgeberverband der türkischen Arzneimittelindustrie IEIS 2022, Datenbank IQVIA 2022, Türkische Agentur für Arzneimittel und Medizinprodukte TITCK 2022

Entwicklung des türkischen Pharmamarktes nach Absatzmenge (in Milliarden Stück Verpackungen)

2017

2018

2019

2020

2021

Inlandsabsatz

2,3

2,4

2,4

2,3

2,4

Produktion

1,8

1,8

2,1

2,1

k.A.

Importe

0,4

0,4

0,3

0,3

k.A.

Die Daten zum Inlandsabsatz wurden 2022 aktualisiert, zu den übrigen Zahlen liegen nach 2021 noch keine aktualisierten Werte vor.Quelle: IEIS 2022, IQVIA 2022, TITCK 2022

Generika machen ein Drittel des Marktes aus

Generika machten 2020 rund 32 Prozent (2015: 31 Prozent) der in der Türkei verkauften Arzneien gemessen am Wert aus und bezogen auf die Menge der verkauften Abpackungen 60 Prozent (56 Prozent). Ihr Anteil hat damit gegenüber dem Niveau von 2015 nur leicht zugelegt. In dem betrachteten Zeitraum ist der Markt insgesamt jedoch stark gewachsen und der Umsatz mit Generika hat sich wertmäßig verdreifacht. Die Nachfrage wird vor allem über die heimische Produktion gedeckt.

Türkische Hersteller setzten die meisten Arzneien ab

Etwa 90 Prozent des Medikamentenbedarfs im Inland werden über die lokale Produktion gedeckt. Deutlich anders sieht es beim Blick auf den Verkaufswert aus, hier entfallen auf Importe und lokal hergestellte Produkte in etwa gleiche Anteile (48 und 52 Prozent). Denn importiert werden vor allem höherpreisige neue oder Hightech-Medikamente.

Das höchste Umsatzvolumen in der Türkei generierten 2021 entzündungshemmende und antirheumatische Mittel sowie Schmerzmittel (Analgetika) mit je rund 22 Prozent, gefolgt von Anti-Thrombose Mitteln (15 Prozent).

Emiratischer Investmentfond kauft Birgi Mefar

M&A Aktivitäten bekommen nach einer Pause infolge von Unsicherheiten wegen der Coronapandemie wieder Schwung. So kündigte der Investmentfond ADQ aus Abu Dhabi am 13. Juni 2022 den Kauf der türkischen, pharmazeutischen CDMO (Contract Development and Manufacturing Organization) Birgi Mefar Group an.

Boehringer Ingelheim verlagert Produktion in die Türkei

Die Türkei profitiert zudem von den Nearshoring Bestrebungen der Unternehmen infolge der Coronapandemie. Ein Beispiel ist der deutsche Pharmariese Boehringer Ingelheim. Wie das Unternehmen im Oktober 2021 ankündigte, wird die türkische Pharmagröße Abdi İbrahim die Vertragsproduktion übernehmen. In fünf Jahren soll jedes zweite Medikament von Boehringer Ingelheim für die Humanmedizin aus der Türkei kommen. Großes Potenzial sieht das Unternehmen auch im türkischen Markt für Tierarzneimittel.

Start-ups in der türkischen Pharmaindustrie

Gesundheits-Start-ups in der Türkei erhielten 2021 insgesamt 5 Millionen US$ von nationalen und internationalen Kapitalgebern, verteilt auf 14 Geschäftsabschlüsse. Die deutsche CESMAS Holding GmbH investierte in Gotocura. Andere Start-ups, die 2021 Abschlüsse erzielten, waren Beije, Hiwell, Smartalpha und Innerjoy.


Verschiedene Accelerator-Programme fördern pharmazeutische Start-Ups, darunter: Bayer G4A Startup Acceleration Program (Organisator: Bayer), Pharm UP Entrepreneuership Program (Sanofi Turkey) und BIO Start-up (Research-Based Pharmaceutical Companies Association).

Türkischer Markt für Pharma-Biotech

Die Produktion von Biopharmazeutika steigt gemessen an der Anzahl der Abpackungen stetig. Der Wachstumstrend dürfte sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Denn es befinden sich Dutzende neue Biosimilars in der klinischen Prüfung durch türkische Unternehmen. Biosimilars sind Nachahmerprodukte von Biopharmazeutika, nach Auslaufen des patentrechtlichen Schutzes der Originalpräparate. In den letzten sechs Jahren haben türkische Firmen IEIS zufolge über 1,1 Milliarden US$ in die Entwicklung und Produktion von Biotech-Arzneien investiert, vor allem in Biosimilars. Im Juni 2021 arbeiteten sie an 32 Biotech-Arzneien, die bis 2024 auf den Markt kommen sollen (Biosimilars: 29, Originalarzneimittel: 2, Biosuperior/Biobetter: 1). Derzeit gibt es sechs Produktionsstätten für Biosimilars und neun Anlagen sollen die Produktion aufnehmen.

Türkische Nachfrage nach Biopharmazeutika wächst

Der Markt für biotechnologische Arzneimittel in der Türkei belief sich 2021 auf 1,3 Milliarden US$ (Marktanteil: 18 Prozent). Auf TL-Basis legte der Verkauf um 30 Prozent (US$: plus 3 Prozent) zu und mengenmäßig um 12 Prozent. Besonders gefragt waren biotechnologische Arzneien zur Behandlung von Diabetes (57 Prozent) und Thrombosen (36 Prozent).

Lokal produziert wurden 12,7 Millionen Abpackungen, rund 26 Prozent mehr als im Vorjahr. Wertmäßig stieg die Produktion auf TL-Basis um 65 Prozent (US$: plus 31 Prozent).

Entwicklung des türkischen Biotech-Arzneimittel-Marktes nach Wert (in Millionen US-Dollar)

2017

2018

2019

2020

2021

Inlandsabsatz

1.137

1.121

1.246

1.261

1.297

Produktion

30

33

73

91

119

Importe

1.106

1.088

1.172

1.171

1.177

Durchschnittlicher Wechselkurs 1 US$ = …TL

3,651

4,818

5,676

7,016

8,893

Quelle: IEIS 2022, IQVIA 2022, TITCK 2022

Entwicklung des türkischen Biotech-Arzneimittel-Marktes nach Absatzmenge (in Millionen Stück Verpackungen)

2017

2018

2019

2020

2021

Inlandsabsatz

27,6

28,3

29,3

34,0

38,2

Produktion

3,9

4,5

8,6

10,0

12,7

Import

23,7

23,8

20,7

24,0

25,6

Quelle: IEIS 2022, IQVIA 2022, TITCK 2022

Branchenstruktur

In der Türkei fertigen internationale Unternehmen wie Bayer, Pfizer, Novartis, Roche oder Sanofi. Rund 680 türkische und internationale Unternehmen sind im Vertrieb und in der Produktion von Pharmaerzeugnissen tätig: davon sind drei Viertel türkische Unternehmen und ein Viertel ausländische oder multinationale Unternehmen. IEIS zufolge produzieren derzeit 103 Unternehmen Pharmazeutika auf internationalem Niveau, dazu kommen 11 Rohstoffproduktionsstätten und 37 Forschungs- und Entwicklungszentren. Einige Unternehmen führen in der Türkei klinische Studien durch.

Die umsatzstärksten Unternehmen der türkischen Pharmaindustrie 2020 (in Millionen US-Dollar)

Unternehmen

Umsatz*

Export

Selcuk Ercza

2.997

12

S.S. Istanbul Eczacilar Koop

606

k.A.

Abdi Ibrahim Ilac

593

68

Sanofi Saglik Ilac

482

29

Bayer Kimya

372

k.A.

Gen Ilac

307

269

Nevzat Ecza Deposu

298

k.A.

Kocak Farma Ilac ve Kimya

268

k.A.

*) Durchschnittlicher Wechselkurs 2020: 1 US-Dollar = 7,016 Türkische LiraQuelle: Wirtschaftsmagazin Capital (8/2021)

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