Aktuell bietet der Windenergiesektor die größten Marktchancen. Investitionen in grünen Wasserstoff sind geplant.
Der Energiebedarf der Türkei steigt und die Abhängigkeit von Gas- und Kohleimporten ist hoch. Um dem entgegenzusteuern und den Bedarf zu decken, setzt die Regierung auf erneuerbare Energien, den Bau von Atomkraftwerken, die effizientere Nutzung von lokaler Braunkohle und die Suche nach Erdöl- und Erdgasvorkommen.
Insbesondere bei der Stromerzeugung ist das Land in hohem Maße auf Importe angewiesen. Mehr als 90 Prozent des Erdöls und fast das gesamte Gas kommen aus dem Ausland, vor allem aus Russland. Ganze 60 Prozent der eingesetzten Kohle werden importiert.
Erneuerbare Energien sind wichtige Stromquelle
Im Zeitraum zwischen 2000 und 2022 hat sich die Zusammenstellung des Strommixes stark in Richtung erneuerbare Energien verschoben. Die Türkei plant künftig, die Hälfte ihres Energiebedarfs daraus zu decken. Im Jahr 2020 machten erneuerbare Energien inklusive Wasserkraft rund 39 Prozent der Stromerzeugung aus.
Der erste Atomreaktor steht kurz vor der Fertigstellung
Die Arbeiten am ersten Kernkraftwerk des Landes in Akkuyu bei Mersin begannen 2018. Es besteht aus vier Reaktoren mit Kapazitäten von je 1,1 Gigawatt. Das Projekt in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar wird in Zusammenarbeit mit Russland (Rosatom) umgesetzt. Der erste Reaktor soll bald ans Netz gehen. Berichten zufolge könnte sich die Inbetriebnahme verzögern, ebenso wie die weitere Entwicklung des Akkuyu-Projekts. Ein Grund dafür sollen die Sanktionen gegen Russland und daraus folgende Finanzierungsprobleme sein. Zwei weitere Atomkraftwerke sind in der Türkei geplant. Die Suche nach Investoren läuft.
Hohe Investitionen in Windkraft erwartet
Die türkische Energieerzeugung durch Windenergie wächst. In den nächsten Jahren ist mit einem regen Projektangebot zu rechnen. Dies eröffnet auch Geschäftschancen für deutsche Anbieter entsprechender Technik oder Dienstleistungen. Ende des Jahres 2021 waren in der Türkei 20 Windkraftanlagen mit einer Gesamtkapazität von 800 Megawatt im Bau.
Die Branche für Windenergie in der Türkei ist gut entwickelt. Der Markt ist grundsätzlich offen für internationale Anbieter. Jedoch gibt es strikte Local-Content-Anforderungen, die beachtet werden müssen. Zahlreiche internationale Anbieter haben angesichts des Marktpotenzials in den letzten Jahren mit lokalen Partnern Fertigungen aufgebaut. Es wird nicht nur für den Inlandsmarkt, sondern auch für den Export produziert.
Im März 2022 fand über die deutsche Exportinitiative Energie eine virtuelle Geschäftsreise in die Türkei statt, bei der sich kleine und mittelständische deutsche Unternehmen über Geschäftsmöglichkeiten in der Branche für Windenergie informieren konnten.
Exportinitiative Energie
- Was? Die Exportinitiative Energie unterstützt Unternehmen aus den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz, intelligente Netze beziehungsweise Speichertechnologien.
- Für Wen? Kleine und mittlere Unternehmen mit Sitz in Deutschland
- Wie? Geschäftsreisen in die Türkei, Leistungsschauen in der Türkei, Sondermesseprogramme, Informationsveranstaltungen und –reisen in Deutschland für Unternehmen aus der Türkei
- Wer? Auftraggeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Partner in der Türkei: Auslandshandelskammer Türkei
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Türkei will Wasserstoffwirtschaft aufbauen
Die türkische Regierung arbeitet an einer nationalen Wasserstoffstrategie, die im Jahr 2022 veröffentlicht werden soll. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft steht noch am Anfang. Für die Gewinnung von grünem Wasserstoff könnten sich künftige Überkapazitäten aus Windkraftanlagen anbieten. Grüner Wasserstoff könnte exportiert und für die Dekarbonisierung der türkischen Industrie genutzt werden. Dies könnte insbesondere den Branchen zugutekommen, die durch die geplante Einführung des europäischen CO2-Grenzausgleichssystems Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) bei Lieferung in die Europäische Union am stärksten von der CO2-Bespreisung beeinträchtigt sein werden: Zement, Eisen, Stahl, Aluminium und Strom.
Geschäftschancen für deutsche Unternehmen
Deutschland hat im Jahr 2020 im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie 2 Milliarden Euro für internationale Partnerschaften bereitgestellt. Der Fokus liegt auf grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien. Die Türkei wäre ein potenzieller Lieferant. Deutsche Unternehmen können die Türkei bereits heute bei der Einführung und Implementierung von Wasserstofftechnologien unterstützen:
„Potenziale für eine Zusammenarbeit und den Markteintritt sind vor allem in den Bereichen Wasserstofftechnologien, Machbarkeitsuntersuchungen sowie der Projektentwicklung gegeben“,
bestätigt Dr. Thilo Pahl, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer (AHK Türkei) und Delegierter der Deutschen Wirtschaft in der Türkei. Außerdem biete der türkische Markt mit seiner breiten Industriebasis und den positiven Standortfaktoren gute Voraussetzungen für den Aufbau von industriellen Fertigungs- und Produktionsstätten im Zuge des Aufbaus einer lokalen Wasserstoffwirtschaft.
Die Türkei hat großes Potenzial für grünen Wasserstoff
Eine kürzlich veröffentlichte Studie des türkischen Thinktanks Shura zum Potenzial für die Produktion von grünem Wasserstoff zeigt, dass die Türkei bis 2050, ausgehend von jährlichen Investitionen zwischen 3 Milliarden und 4 Milliarden US-Dollar, 3,4 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff herstellen könnte. Damit könnte das Land sowohl zur Dekarbonisierung der heimischen Industrie beitragen als auch Lieferant für Europa werden. Nachdem die inländische Nachfrage gedeckt wäre, blieben der Untersuchung zufolge etwa 1,5 Millionen bis 1,9 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff für den Export. Die Studie entstand im Rahmen der Deutsch-Türkische Energiepartnerschaft.
Deutsch-Türkische Energiepartnerschaft
- Was? Die Energiepartnerschaft unterstützt die Türkei bei der Transformation des Energiesystems. Schwerpunkt: Ausbau erneuerbarer Energien und deren Integration in das Stromsystem
- Für wen? Akteure aus Politik und Wirtschaft beider Länder
- Wie? Erfahrungsaustausch und Initiierung konkreter Projekte
- Wer? Auftraggeber: Bundesministerium für Energie und Klimaschutz (BMWK); Partnerministerium: Ministerium für Energie und natürliche Ressourcen der Türkei; durchführende Organisation für BMWK: Deutsche Energie-Agentur (dena); Energie-Sekretariat in der Türkei: Deutsch-Türkische Industrie- und Handelskammer
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Die erste grüne Wasserstoffanlage ist in der Planung
Die Entwicklungsagentur der Süd-Marmara Region hat eine Initiative gestartet, um die Herstellung von grünem Wasserstoff zu fördern. Die Region ist das Windkraftzentrum des Landes. Mit dem Ziel, die erste Produktionsanlage der Türkei für grünen Wasserstoff zu bauen, haben sich unter der Führung der Entwicklungsagentur der private Stromanbieter Enerjisa Üretim, der Speichertechnik-Anbieter Aspilsan Energy, das staatliche Bergbauunternehmen Eti Maden sowie das staatliche Forschungszentrum Tübitak-MAM (Marmara Research Center) zusammengeschlossen. Als Standort ist Balikesir angedacht.
Von Katrin Pasvantis
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Istanbul