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Wirtschaftsausblick | Tunesien

Wirtschaft und Politik Tunesiens in der Krise

Der Präsident der Republik suspendiert das Parlament und entlässt den Premierminister. Die Folgen für die Wirtschaft sind noch offen.

Von Peter Schmitz | Tunis

Die tunesische Wirtschaft befindet sich bereits seit Jahren in einer schwierigen Lage. Während in dem Jahrzehnt von 2003 bis 2012 das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) durchschnittlich mit real 3,9 Prozent pro Jahr zulegte, sind es seither meist nur 1 bis 2, höchstens knapp 3 Prozent. Im Coronajahr 2020 gab es gar ein Minus von 8,8 Prozent. Für das laufende Jahr prognostiziert der IWF ein Plus von knapp 4 Prozent, andere Beobachter rechnen eher mit 3 Prozent.

Präsident entlässt Parlamentarier und Regierung

Jetzt hat sich auch die politische Lage zugespitzt. Am 25. Juli 2021 hatte Staatspräsident Kais Saied die Regierung entlassen und das Parlament für 30 Tage suspendiert. Die Immunität der Abgeordneten wurde dadurch vorläufig aufgehoben. Saied berief sich dabei auf Artikel 80 der tunesischen Verfassung, der es dem Präsidenten erlauben würde, im Falle einer unmittelbaren Gefahr für die Existenz, Sicherheit und Unabhängigkeit des Staates die Regierung abzuberufen.

Starker Einbruch der Wirtschaft durch Coronakrise

Die politische Krise ist auch eine Folge der schwierigen wirtschaftlichen Lage. Wegen Corona kamen letztes Jahr 78 Prozent weniger Touristen. Auch der Export verarbeiteter Güter brach zwischenzeitlich massiv ein. Das hatte auch erhebliche Folgen für den Außenhandel mit Deutschland. Deutschland ist nach Frankreich und Italien der wichtigste Absatzmarkt Tunesiens.

Die deutschen Importe aus Tunesien fielen 2020 um 10,2 Prozent auf 1,7 Milliarden Euro, während umgekehrt die deutschen Exporte sogar um 14,8 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro zurückgingen. In den ersten fünf Monaten 2021 immerhin stiegen die deutschen Tunesien-Ausfuhren wieder um 19 Prozent auf 576 Millionen Euro, die Einfuhren legten gar um 33 Prozent auf 821 Millionen Euro zu.

Noch keine stabilen politischen Institutionen

Tunesien war 2011 das erste arabische Land, in dem es zu politischen Protesten und schließlich auch zu Reformen gekommen war. Im Jahr 2015 hatte das sogenannte nationale Dialogquartett – ein Gewerkschaftsverband, ein Arbeitgeberverband, die Menschenrechtsliga und die Anwaltskammer – sogar den Friedensnobelpreis gewonnen. Stabile politische Institutionen konnten sich jedoch in den vergangenen Jahren nicht entwickeln, die Regierung war wenig handlungsfähig.

Der vormalige Verfassungsrechtler Kais Saied, der vor zwei Jahren als politischer Außenseiter zum Präsidenten gewählt wurde, erfährt immer noch eine sehr hohe Zustimmung. Seine Entscheidung, das Parlament zu suspendieren, wurde zwar von Regierung, Parlamentariern, einzelnen Parteien und zivilgesellschaftlichen Akteuren kritisiert, in der Bevölkerung jedoch fand sein Vorgehen größtenteils Zustimmung. Vorangegangen war ein monatelanger Machtkampf zwischen Saied, (Ex-)Premierminister Hichem Mechichi und Parlamentspräsident Rachid Ghannouchi.

Das Verfassungsgericht, das über die Rechtsmäßigkeit des Vorgehens des Präsidenten entscheiden könnte, ist auch sieben Jahre nach Inkrafttreten der Verfassung noch nicht zusammengetreten. Nun bleibt abzuwarten, ob Tunesien nach Ablauf der 30 Tage Parlaments-Suspension zur verfassungsgemäßen Normalität zurückkehrt. Kritiker befürchten, dass Saied die Macht des Parlaments dauerhaft einschränken und ein Präsidialsystem etablieren möchte. Optimisten hoffen, dass die politische Blockade durch einen nationalen Dialog aufgebrochen wird. Der einflussreiche Gewerkschaftsdachverband UGTT signalisierte bereits, sich am weiteren politischen  Prozess zu beteiligen.

Tunesien ist auf Unterstützung des IWF angewiesen

In einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des tunesischen Wirtschafts- und Industrieverbandes UTICA deutete Präsident Saied an, dass er den Kampf gegen Korruption verstärken würde. Zudem forderte er insbesondere den Groß- und Einzelhandel auf, die Preise zu senken, nachdem die Inflation zur Jahresmitte auf 5,7 Prozent gestiegen war.

Der Staat selbst steht vor dem finanziellen Kollaps. In den kommenden Monaten muss Tunesien weitere Schulden zurückzahlen, und es kam bereits zu Verzögerungen bei Gehaltszahlungen von Staatsbediensteten. Gespräche mit dem IWF über ein Hilfsprogramm standen in den letzten Wochen still. Per Pressemitteilung signalisierte der IWF nun zwar, man stehe für Hilfe weiterhin zur Verfügung, die Vergabe eines 4-Milliarden-US-Dollar-Kredits mit einer Laufzeit von drei Jahren ist aber an Reformzusagen geknüpft. Zudem erwartet der IWF konkrete Hilfen für bedürftige Familien. Dass neben dem Premierminister weitere Regierungsbeamte entlassen wurden, dürfte die Gespräche mit dem Fonds erschweren.  

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