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Branchen | Ukraine | Landwirtschaft, Transport und Logistik

Exportlogistik bleibt größtes Problem der ukrainischen Landwirte

Trotz erfolgreicher Aussaat und vollen Speichern kämpfen die ukrainischen Agrarbetriebe ums Überleben. Grund sind vor allem die ausbleibenden Exporterlöse.

Von Gerit Schulze | Berlin

Die Landwirtschaft sorgt in Friedenszeiten für ein Zehntel des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts und ein Drittel der Exporterlöse. Doch wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig leidet der Agrarsektor unter dem russischen Angriffskrieg: Die Exporthäfen sind blockiert, Felder vermint, Landtechnik und Silos zerstört, Treibstoff knapp, Personal geflüchtet oder an der Front. Und in den okkupierten Gebieten schaffen die Besatzer die Ernten außer Landes.

Preisverfall im Inland verringert die Erlöse

Indirekt erlitt der ukrainische Agrarsektor bereits Verluste von 23,3 Milliarden US-Dollar (US$). Das errechnete ein Team der Kiewer Wirtschaftshochschule KSE und des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums. Die Hälfte davon entfallen auf die gestörte Exportlogistik und den Preisverfall auf dem Binnenmarkt. Weitere 42 Prozent der Schäden entstehen durch die sinkende Pflanzenproduktion in den Kriegsgebieten. Die Autoren der Studie erwarten, dass die Ernte 2022 bei Weizen, Gerste und Mais im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel sinkt. 

Prognosen für die ukrainische Agrarproduktion

Produkt

Produktion 2022, in Mio. t (Prognose)

Veränderung 2022/2021 in %

Verkaufspreis in US$ / kg

Erwartete Verluste in Mio. US$

Weizen

21,54

-33

0,19

2027

Mais

34,70

-18

0,18

1296

Gerste

6,59

-30

0,20

564

Sonnenblumen

11,16

-32

0,46

2427

Kernobst

1,42

-2

0,21

35

Steinobst

0,50

-6

0,65

98

Milch

2,39

-13

0,35

0,3

Schweine (Anzahl in Mio.)

4,77

-14

1,34

327

Geflügel (Anzahl in Mio.)

176,64

-9

0,87

41

Eier (Mrd. Stück)

5,40

-22

81 US$/1.000 Stück

247

Quelle: Studie "Agricultural War Losses Review Ukraine. Rapid Loss Assessment", KSE Institute, Ministry of Agrarian Policy and Food of Ukraine, Juni 2022

Düngemittel und Diesel verteuern sich

Zu kämpfen haben die Landwirte außerdem mit gestiegenen Kosten. Laut KSE beträgt der Aufschlag bei Düngemitteln 2022 rund 117,50 US$ je Tonne, bei Diesel 0,39 US$ je Liter. In der Praxis kostet Treibstoff nun mehr als doppelt so viel und ist obendrein rationiert. 

Von den Kriegshandlungen betroffen sind auch deutsche Landwirte, die Agrarbetriebe in der Ukraine führen. Beim Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft in Berlin tauschten einige von ihnen im Juni 2022 ihre Erfahrungen nach vier Monaten Krieg aus.

"Diesel und Saatgut hatten wir zum Glück rechtzeitig eingekauft."

Dazu gehört das Unternehmen UIFK-Agro, das Getreide im Kreis Baryschiwka südöstlich von Kiew anbaut. "Schon kurz nach Kriegsbeginn waren die Nachbarorte unserer Felder von russischen Truppen besetzt", erzählt Geschäftsführer Dietrich Treis. „Wir haben die Straßenschilder zu unserem Werk demontiert und unsere Technik auf verschiedene Standorte verteilt, damit die Einschläge nicht alle Fahrzeuge auf einmal zerstören.“ Zwei Beschäftigte wurden zum Wehrdienst eingezogen. Zudem gab UIFK-Agro vier Lkw an die Armee ab, die nun bei der Ernte fehlen. "Diesel und Saatgut hatten wir zum Glück rechtzeitig eingekauft, sodass wir unsere Frühjahrsbestellung gleich nach dem Abzug der russischen Truppen vornehmen konnten", sagt Treis.

In den Silos des Unternehmens lagern noch 5.000 Tonnen Getreide der letzten Erntesaison. Treis sieht kaum Möglichkeiten, diese Vorräte exportieren zu können. „Auf dem Binnenmarkt verkaufen viele Betriebe zu Tiefstpreisen, um an Liquidität zu kommen“, erklärt der Agrarexperte.

Lange Standzeiten an den Grenzen ein großes Problem

Das Problem: Wegen der russischen Seeblockade bleibt für den Export nur der Landweg, der aber sehr teuer ist. Laut Bundesverband Agrarhandel kostet ein mit 26 Tonnen beladener Lkw pro Tag 450 bis 700 Euro. Allein die Stand- und Wartezeiten an der Grenze verteuern jede Tonne exportiertes Getreide um 100 Euro.

Das führt zu paradoxen Situationen: „Wir haben Käufer für unseren Mais in Polen, bekommen die Ware aber nicht dorthin“, erzählt Geschäftsführer Treis. „Die Bahn nimmt keine neuen Lieferungen mehr an, und für Lkw-Transporte fehlt der Diesel.“ Die Abfertigung an der polnischen Grenze dauere oft unnötig lange, weil der Zoll dort häufig neue Dokumente verlangt.

Deutscher Agrarhandel schlägt Alarm

Aufgrund der mangelnden Transportkapazitäten kann die Ukraine Getreide und Ölsaaten deshalb kaum vermarkten. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Liquidität der Agrarbetriebe, schrieb der Bundesverband Agrarhandel Mitte Juni 2022 in einer Pressemitteilung. Nur wenn die Ernteprodukte aus der Ukraine zügig und preiswert in die EU kommen, könne die Lebensmittelversorgung in den Getreideimportländern erhalten werden, mahnt der Verband in einem offenen Brief an die Bundesregierung an. Die ukrainischen Betriebe bräuchten eine effiziente Versorgung mit Treibstoff, Saatgut und anderen Betriebsmitteln.

Deutsche Unternehmen organisieren bereits Transporte per Lkw, Bahn oder Schiffscontainer. Die Flaschenhälse in der Logistik durch lange Standzeiten an den Grenzen, die Umspurung von Breit- auf Normalspur, Engpässe bei Waggons, Gleiskapazitäten und Lkw-Fahrern bleiben dennoch bestehen. "Es müssen schnell effektive Solidaritätskorridore geschaffen werden, um den massiven Einbrüchen in der landwirtschaftlichen Produktion der Ukraine entgegenzuwirken", betonte Christof Buchholz, Geschäftsführer des Bundesverbands Agrarhandel.

Vorschläge zur Entspannung der Transportengpässe für ukrainische Agrarprodukte
  • Einrichtung einer nationalen, zentralen Koordinierungsstelle zur Bereitstellung von Getreidewaggons und zur Organisation der Züge
  • Beschleunigung der Abfertigung an den EU-Außengrenzen: Aussetzen von Phyto- und Veterinärzertifikaten und Vorsortierung der Lkw mit Priorität für Getreidetransporte
  • den in der Ukraine üblichen Lkw mit Euro-II-Norm zeitlich begrenzten Verkehr auf EU-Straßen erlauben
  • zulässiges Gesamtgewicht der Lkw in Deutschland vorübergehend von 40 auf 44 Tonnen erhöhen
  • Zulassung von weiteren Waggontypen für Getreideexporte, die in anderen Teilen Europas in großer Zahl zur Verfügung stehen
  • dezentrale Versorgung mit Diesel durch IBC (Intermediate Bulk Container; mit fünf IBC auf einem Lkw auf dem Rückweg in die Ukraine lassen sich 100 Hektar Agrarland bewirtschaften)
  • Schaffung von befristeten Lagerkapazitäten mit Silobags und Siloschläuchen direkt am Feldrand oder bei den Agrarbetrieben
  • Versicherung von EU-Fahrzeugen, die 10 bis 15 Kilometer in die Ukraine hinein zum Umladen fahren

Quelle: Offener Brief "Getreideexporte aus der Ukraine erfordern konzertierte Aktion aus Politik und Wirtschaft", 8. Juni 2022

Ackerflächen in den Kampfgebieten häufig vermint

Neben den schwierigen Exportlieferungen kämpfen die ukrainischen Agrarbetriebe noch mit anderen Herausforderungen. "Auf den Ackerflächen liegen jetzt viele Kampfmittelreste. Wegen der zerstörten Brücken müssen unsere Fahrzeuge lange Umwege fahren. Außerdem wurden Schützengräben auf den Feldern ausgehoben und Panzersperren errichtet", berichtet Alexander Zein, Produktionschef bei UIFK-Agro.

Minen wurden vor allem am Feldrand und auf den Wegen vergraben. Der ukrainische Katastrophenschutz hatte im Mai zwar alle Flächen abgesucht und wieder freigegeben. "Trotzdem haben wir für unsere Mitarbeiter kugelsichere Westen angeschafft und sind die Felder zur Kontrolle mit Drohnen abgeflogen", sagt Zein.

Solche Probleme kennt Klaus Heeschen bislang nicht. Sein ukrainischer Agrarbetrieb Agro-Swoboda liegt nahe der ungarischen Grenze, die Front ist derzeit weit weg. Dennoch spürt er die Auswirkungen des Krieges. "Die neuen Logistikrouten drücken deutlich auf die Preise in den angrenzenden EU-Ländern und somit auch in der Westukraine", sagt Heeschen. "Unternehmen, die Zugkapazitäten vorgehalten haben, erziehen nun deutlich erhöhte Margen." Sein Unternehmen plant daher ein neues Umschlagterminal und will Absatzrouten Richtung Adria ausprobieren. "Die Grenzübergänge nach Ungarn und in die Slowakei sind noch nicht so überlaufen", erklärt der Landwirt.

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