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Branchen | Ukraine | Industrieproduktion & IT-Branche

Industrie verlagert Produktion in die Westukraine

Ukrainische Unternehmen müssen im Krieg ihre Belegschaft schützen, Aufträge abarbeiten und Lieferengpässe vermeiden. Abhilfe erhoffen sie sich zunehmend von Produktionsverlagerung.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

Raketen- und Bombenangriffe, Kampfhandlungen im Osten und Süden sowie zerstörte Infrastruktur im ganzen Land: Die Folgen des russischen Angriffskrieges treiben zahlreiche ukrainische Unternehmen in die Flucht. Vor allem die Gebiete Donezk, Luhansk, Tschernihiw, Charkiw, Sumy, Mykolajiw, Odessa, Saporischschja und Dnipropetrowsk sind von der Abwanderung von Firmen betroffen. Die Unternehmen siedeln sich in den vergleichsweise sicheren Landesteilen - den Gebieten Lwiw, Iwano-Frankiwsk, Transkarpatien, Ternopil, Chmelnyzykj, Tscherniwzi, Riwne und Wolyn - im Westen des Landes an.

Rund 500 Betriebe haben ihre Produktion verlagert

Mitte März 2022 beschloss die Werchowna Rada ein Umsiedlungsprogramm. Das Angebot stehe Firmen aller Größen und Branchen aus den umkämpften Gebieten offen, erklärt Wirtschaftsministerin Julia Swiridenko. Unternehmen erhalten Unterstützung bei der Auswahl der künftigen Betriebsflächen, beim Umzug der Angestellten sowie bei der Anwerbung von Mitarbeitern in der neuen Region. Um den kostenlosen Umzug der Maschinen und Anlagen kümmern sich die Staatsbahn Ukrzaliznytsya sowie die staatliche Post Ukrpotschta. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 10 Millionen Hrywnja (rund 320.000 Euro) entscheiden sich für einen Neuanfang im Westen.

Bis Mitte Mai 2022 konnten bereits 510 Betriebe erfolgreich umgesiedelt werden, gibt das zuständige Wirtschaftsministerium bekannt. Weitere 500 Firmen wählten Flächen zum Neuaufbau ihrer Produktion aus. Insgesamt liegen dem Ministerium aktuell mehr als 1.630 Anträge zur Verlagerung der Produktion nach Westen vor.

Die wirtschaftlichen Impulse der Umsiedlungskampagne sind immens. Allein in Lwiw rechnet die Gebietsregierung nach konservativen Schätzungen mit einem Gesamtumsatz der umgesiedelten Unternehmen von rund 10 Milliarden Hrywna pro Jahr. Dies entspricht etwa 5 Prozent des Bruttoregionalprodukts (BRP) der Region.

Onlineportal soll zügige Antragsbearbeitung garantieren

Um die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen zu können, muss das umsiedlungswillige Unternehmen einen Antrag per Onlineportal ausfüllen und Angaben zur Anzahl der Mitarbeiter, zum Produktportfolio, zu den Produktionsflächen und Lagerhallen sowie zur benötigten Infrastruktur am neuen Standort machen. Abhängig von der Betriebsgröße, der Anzahl der Maschinen und dem Aufwand zur Demontage, Montage und neuen Inbetriebnahme kann der Umzug bis zu drei Monaten dauern.

Auch die Zielregionen setzen Hilfsprogramme auf und bieten den sich ansiedelnden Firmen Unterstützung bei der Suche nach Wohnraum für ihre Mitarbeiter und Familien, der Auswahl der Produktionsfläche sowie beim Anschluss von Strom, Wasser und Gas. Die Gebietsregierung in Lwiw gewährt diesen Unternehmen einen einmaligen Zuschuss von 100.000 Hrywnja (das entspricht aktuell rund 3.200 Euro). Werden mindestens 20 Arbeitsplätze geschaffen, verdoppelt sich diese Summe. Zudem bezuschusst das Gebiet Ausgaben für Energie, Marketing und Zertifizierung. Mitte April 2022 lagen der Administration rund 350 Umsiedlungsanträge vor.

Produzierendes und verarbeitendes Gewerbe knüpft an Industrietradition an

Der Großteil der Firmen, die ihre Produktion nach Westen verlagern, kommt aus dem Maschinen- und Anlagenbau, der Metallurgie, der Leichtindustrie sowie der Ernährungs- und Bauwirtschaft. Den Neuanfang erleichtert die Industrietradition des Gebiets Lwiw. In zahlreichen Brownfield-Anlagen steht die notwendige Infrastruktur für eine Modernisierung des Betriebs bereits zur Verfügung. Daneben überzeugt Lwiw viele Industriebetriebe mit Investitionen in Verarbeitungs-, Lager- und Logistikkapazitäten und seiner geografischen Nähe zu den Absatzmärkten der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU).

Die Maschinenbaufirma Corum Group (gehört zur Holding SCM des Oligarchen Rinat Achmetow) verlagert einen Teil ihrer Kapazitäten zur Produktion von Bergbautechnik aus Druschkiwka im Gebiet Donezk in das Gebiet Chmelnyzkyj. Die Fertigung von Ersatzteilen für Bergbaumaschinen, die bisher im Gebiet Charkiw erfolgte, wird im Gebiet Wolyn neu anlaufen.

Das Kramatorsker Werk für Schwermaschinenbau verlagert die Full-Cycle-Produktion von Windkraftanlagen aus dem Gebiet Donezk in das Gebiet Lwiw.

Das Unternehmen Poschmaschina aus dem Gebiet Tschernihiw siedelte 40 Prozent seiner Kapazitäten zur Herstellung von Feuerwehrfahrzeugen und Getreidelastern in das Gebiet Lwiw um. Auch nach dem Kriegsende soll der neue Standort erhalten bleiben.

In der Region Transkarpatien entsteht ein neuer Automobilbau-Cluster. Hier sollen zahlreiche Zulieferer angesiedelt werden, erklärte die verantwortliche Managerin Olga Trofymowa.

Dukor, ein Hersteller von Textilien, Kissen und Sitzsäcken, zog aus dem Umland der Hauptstadt Kiew in das Gebiet Iwano-Frankiwsk.

Der Hersteller von Mayonnaise, Saucen und Sonnenblumenöl, TM "Gulyai-polje" aus dem Gebiet Saporischschja, verlegte seine Ausrüstung in die Region Ternopil.

Transkarpatien wird neues Herz der ukrainischen IT-Industrie

Die ukrainische IT-Branche gehört zu der größten Gruppe von Antragstellern. Rund die Hälfte der IT-Spezialisten verließ nach Kriegsbeginn ihre Heimatregionen und siedelte in vergleichsweise sichere Gebiete über. Besonders beliebt sind die touristisch attraktiven Gebiete Lwiw und Transkarpatien, die die Anzahl ihrer IT-Spezialisten auf rund 20.000 verzwanzigfachen konnten.

Die IT-Firma CHI Software aus Charkiw zog mit ihren mehr als 300 Mitarbeitern nach Lwiw um. Auch der größte ukrainische IT-Konzern EPAM verlagert rund 30 Prozent seiner Arbeitsplätze in den Westen des Landes. Sigma Software eröffnet neue Büros in den Gebieten Luzk, Iwano-Frankiwsk, Ternopil, Tscherniwzi und Transkarpatien.

Der ukrainischen IT-Industrie gelingt es dank der weniger aufwändigen Standortverlagerung besonders gut, sich an die schwierigen Bedingungen im Land anzupassen. Im Jahr 2021 war der Export ukrainischer IT-Dienstleistungen um 36 Prozent auf 6,8 Milliarden US-Dollar gestiegen.

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