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Logistikbranche hält Wirtschaft der Ukraine am Laufen

Der Krieg stellt die ukrainische Transportlogistik vor große Herausforderungen. Die Branche arbeitet an neuen Lösungen für den Warenexport per Bahn, Lkw und Schiff.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges muss die ukrainische Transportlogistik ihr Geschäftsmodell dem veränderten Umfeld anpassen. Beschädigte oder zerstörte Verkehrsknotenpunkte, Fuhrparks und Logistikzentren beeinträchtigen die Lieferketten. Mit dem Verlust der Häfen am Asowschen Meer müssen alternative Transportwege auf dem Landweg nach Westeuropa für den Export etabliert werden. Der Rückgang des Frachtaufkommens schmälert die Einnahmen. Hohe Treibstoffkosten, Zahlungsausfälle und Vorkasse verschärfen Liquiditätsengpässe. Neuinvestitionen liegen vorerst auf Eis.

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Eisenbahn bleibt Rückgrat der Transportlogistik

Die Staatsbahn Ukrzaliznytsya trägt die Hauptlast beim Gütertransport in der Ukraine. Die Hälfte des Frachtaufkommens von 621,3 Millionen Tonnen entfiel im Jahr 2021 auf die Schiene. Im Juli 2022 beförderte die Staatsbahn mit 10 Millionen Tonnen rund 40 Prozent der Vorkriegsmenge - Tendenz steigend. Transportiert werden hauptsächlich Treibstoff, Kohle und Feldfrüchte.

Vor allem das Getreide muss nach der Erntesaison schnellst möglich exportiert werden. Die erst kürzlich deblockierten Schwarzmeerhäfen bringen jedoch nur einen Teil der Menge außer Landes. Mit aktuell 70 Prozent des bewegten Getreides trägt die Staatsbahn die Hauptlast beim Transport landwirtschaftlicher Produkte.

Die Grenzübergänge nach Polen, Ungarn und Rumänien kommen durch die Mehrbelastung an ihre Kapazitätsgrenzen. Als Hauptproblem erweist sich die unterschiedliche Spurbreite zwischen dem europäischen (Schmalspur 1435 Millimeter) und ukrainischen (Breitspur 1520 Millimeter) Schienennetz. Die Fracht muss entweder umgeladen oder das Fahrgestell der Waggons ausgetauscht werden.

Ukrzaliznytsya erwägt daher, Gleise in der europäischen Spurbreite zu weiteren Umschlagterminals im Hinterland zu verlegen. In Tschop wurde Anfang August 2022 ein Logistikhub mit Schmal- und Breitspur zum Be- und Entladen landwirtschaftlicher Produkte in gedeckte Waggons, Gondel- und Tankwagen in Betrieb genommen.

Zahlreiche ukrainische Güterwaggons entsprechen zudem nicht den EU-Vorschriften hinsichtlich Größe und Gewicht. Dadurch ist ihr Betrieb auf dem europäischen Netz eingeschränkt.

Zur Steigerung der Transportkapazitäten setzt die Ukraine auf transnationale Partnerschaften. Am 9. August 2022 nahm Ukrzaliznytsya den Testbetrieb auf der Trasse von Mohiljew-Podilskyj durch Moldawien zur Hafenstadt Reni auf. Künftig sollen auf der Transitstrecke täglich sechs Güterzüge verkehren. Die Fahrtzeit verkürzt sich von fünf Tagen auf nur noch 30 Stunden. Aus Uschhorod im Gebiet Transkarpatien soll eine neue Bahnverbindung entlang der rumänischen Grenze über Rachiw nach Iwano-Frankiwsk führen.

Lkw-Verkehr bringt Grenzabfertigung an die Belastungsgrenze

Mit 224 Millionen Tonnen entfiel rund ein Drittel des ukrainischen Frachtaufkommens im Jahr 2021 auf den Transport per Straße. Durch die Umorientierung der Ausfuhren nach Westen steigt die Zahl der Lastwagen, die in Richtung Polen und Rumänien unterwegs sind. Diesem Ansturm sind die Grenzübergänge nicht gewachsen. Schon vor Kriegsbeginn chronisch überlastet, stellt der Mangel an Umschlagskapazitäten, Grenzübergangs- und Zollkontrollstellen die Lkw-Fahrer auf eine harte Probe. Wartezeiten von bis zu fünf Tagen sind keine Seltenheit. Ende Juli 2022 belief sich der längste Stau auf 23 Kilometer. In Rawa-Ruska blockierten Lkw-Fahrer am 4. August den Grenzübergang nach Polen aus Protest gegen lange Wartezeiten.

Kurzfristig nimmt das Ende Juni 2022 angelaufene Projekt „Offene Grenze“ den Druck von der Grenze nach Polen. Am Kontrollpunkt Krakowets-Kortschowa gelang es, mit mehr Beamten, neuen Terminals für Pkw und Busse und zehn statt bisher vier Fahrspuren, die Abfertigungszeit von einer Woche auf einen Tag zu verkürzen. Auch an den Grenzübergängen Jagodin, Ustiluh und Hrushiw stieg durch eine Reorganisation die Durchlaufgeschwindigkeit um rund ein Fünftel.

Mittelfristig sollen elektronische Warteschlagen die Abfertigung weiter entzerren. Lkw-Fahrer können sich online registrieren und zu einem bestimmten Zeitpunkt vorfahren. In Transkarpatien läuft bereits ein Pilotprojekt einer elektronischen Warteschlange. Krakowets zieht im Herbst nach.

Schiffe nehmen Getreideexporte wieder auf

Vor dem Krieg wurden rund 90 Prozent der für den Export vorgesehenen landwirtschaftlichen Produkte über Seehäfen abtransportiert. Durch die monatelange Blockade der Häfen durch Russland stiegen die Lagerbestände in den Getreidesilos auf rund 30 Millionen Tonnen, meldet der Ukrainische Getreideverband.

Anfang August 2022 ankerten in ukrainischen Häfen 68 Handelsschiffe, beladen mit 1,2 Millionen Tonnen Fracht, davon zwei Drittel mit Getreide. Nach Abschluss des Getreideabkommens Ende Juli 2022 in Istanbul ist die Ausfuhr von Feldfrüchten wieder angelaufen. Bis zum 18. August sind aus Odessa, Tschornomorsk und Piwdenny 25 Frachter mit rund 630.000 Tonnen landwirtschaftlicher Produkte ausgelaufen.

Ab September 2022 will die Ukraine die Ausfuhrmenge auf dem Seeweg auf bis zu vier Millionen Tonnen erhöhen. Das entspricht rund zwei Drittel des Vorkriegsniveaus.

Das Exportvolumen über die Donauhäfen ist sehr gering. Kleine Flusshäfen wie Reni oder Ust-Dunajsk müssen erst ausgebaut und die Fahrrinnen vertieft werden, um die Kapazität zu steigern.

Digitalisierung macht Lieferketten sicherer

Ukrainische Logistikunternehmen beschleunigen die Digitalisierung ihrer Prozesse. Die Einführung von ERP-Systemen und EDI-Datenaustauschstandards sowie Warehouse Management- (WMS) und Transport Management Systemen (TMS) läuft auf Hochtouren. Sie ermöglichen es, Daten in Echtzeit zu empfangen und zu verarbeiten. Mit Hilfe von maschinellem Lernen, Geolokation sowie künstlicher Intelligenz können Schwachstellen in Lieferketten frühzeitig prognostiziert werden. Plattformlösungen helfen, Hersteller, Transportunternehmen und Händler besser zu vernetzen. Die Transformation der Branche erleichtert der hohe Digitalisierungsgrad des osteuropäischen Landes.

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