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Branchen | Ukraine | Medizintechnik

Marktentwicklungen und -trends

Die Ukraine deckt den Großteil ihres Bedarfs an Medizintechnik aus Importen. Treiber der Nachfrage sind höhere staatliche Gesundheitsbudgets und der expandierende Privatsektor.

Von Fabian Nemitz | Kiew

Nach dem Einbruch in den Krisenjahren 2014/15 weist die Nachfrage nach Medizintechnik in der Ukraine seit 2016 nach oben. Im Jahr 2020 hatte der Markt ein Volumen von knapp 0,9 Milliarden US-Dollar (US$). In den Coronajahren 2020 und 2021 hat sich das Wachstum beschleunigt. Nach dieser Sonderkonjunktur könnten die Zuwächse künftig wieder abflachen, der positive Trend dürfte sich aber fortsetzen. Fitch Solutions rechnet im Zeitraum 2020 bis 2025 mit Zuwächsen der Nachfrage nach Medizintechnik im mittleren einstelligen Bereich.

Treiber des Wachstums sind der große Modernisierungsbedarf der staatlichen Kliniken, die Expansion des privaten Gesundheitssektors und höhere staatliche Gesundheitsausgaben. Ausländische Anbieter können von der wachsenden Nachfrage nach Medizintechnik profitieren. Rund 90 Prozent ihres Bedarfs deckt die Ukraine aus Importen.
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Deutschland ist zweitwichtigstes Lieferland

Durch Covid-19 sind die Importe von Medizintechnik in die Ukraine deutlich gestiegen. China ist das wichtigste Lieferland. Im Jahr 2020 bezifferten sich die Importe auf rund 216 Millionen US$. Deutschland steht an zweiter Stelle (108 Millionen US$), gefolgt von den USA (81 Millionen US$), Japan (71 Millionen US$) und Italien (54 Millionen US$).

Einfuhr ausgewählter medizintechnischer Produkte in die Ukraine (in Millionen US-Dollar, Veränderung nominal in Prozent)

HS

Produktgruppe

2019

2020

Januar bis August 2021

Veränderung *)

davon aus Deutschland (2020)

9018.11 bis .20

Elektrodiagnoseapparate und -geräte

66,6

95,0

63,9

60,8

11,5

9022

Röntgenapparate etc.

105,7

147,9

129,3

173,6

14,8

8419.20

Sterilisierapparate

4,8

5,5

4,9

79,0

0,8

8713

Rollstühle

13,6

10,1

4,6

7,1

0,5

9018.41, .49

Zahnmedizinische Instrumente; a.n.g.

23,8

26,2

19,5

83,1

4,8

9018.31 bis .39

Spritzen, Nadeln, Katheter, Kanülen etc.

50,5

49,9

39,9

55,2

2,8

9018.50

Ophthalmologische Instrumente

10,2

10,1

7,8

39,6

2,0

9018.90

Andere Instrumente, Apparate und Geräte

128,6

172,5

107,8

38,9

39,6

9019, 9020

Therapiegeräte, Atmungsgeräte etc.

39,4

159,7

74,4

71,8

18,1

9402

Medizinmöbel etc.

14,0

22,7

21,3

135,4

1,3

9021

Orthopädietechnik, Prothesen etc.

110,2

100,6

65,8

32,5

12,2

Summe

567,3

800,2

539,3

70,9

108,2

*) Veränderung Januar bis August 2021 im Vergleich zu Januar bis August 2020Quelle: DerzhStat


Covid-19 stellt Gesundheitssystem auf harte Probe

Im Herbst 2021 durchlebt die Ukraine die vierte und bislang heftigste Coronawelle. Bei den Todesfällen pro Kopf liegt das Land aktuell weit über dem europäischen Durchschnitt. Gründe hierfür sind die Schwächen des Gesundheitssystems und die niedrige Impfquote, nicht zuletzt bei den Risikogruppen.

Allerdings profitiert die Ukraine im Kampf gegen Covid-19 von der 2017 gestarteten Gesundheitsreform, die die Effizienz und Handlungsfähigkeit des Sektors erhöht hat. Hierzu zählt auch der vermehrte Einsatz von Digital Health-Lösungen. In der Pandemie hat der Staat die Zahl von Krankenhausbetten mit Sauerstoffanschluss deutlich ausgeweitet. Unterstützung erhält die Ukraine von internationalen Organisationen, ausländischen Regierungen und lokalen Firmen.

Privater Gesundheitssektor expandiert

Der größte Teil des Gesundheitsmarkts in der Ukraine entfällt auf den öffentlichen Sektor. Doch die Bedeutung privater Anbieter steigt. Laut Angaben der Marktforschungsagentur Pro-Consulting kamen Private 2018 auf einen Anteil von 14,3 Prozent (2016: 12 Prozent) am Gesamtmarkt. Besonders groß ist ihre Bedeutung in den Segmenten Zahn- und Augenmedizin sowie Magnetresonanz- und Computertomografie. Das geringe Vertrauen der Bevölkerung in das staatliche Gesundheitswesen und die steigende Kaufkraft der städtischen Mittelschicht spielen dem Privatsektor in die Hände.

Die größten privaten Anbieter sind in dem Verband APMI vereinigt. Das Engagement privater Kliniken konzentriert sich bislang auf die größten Städte des Landes. Führender Anbieter ist Dobrobut, der in den jüngsten Jahren die Ketten Borys und Doctor Sam übernommen hat. Firmen-Miteigner Ihor Mazepa sieht weiter großen Nachholbedarf an qualitativ hochwertigen Dienstleistungen. Expansionspläne verfolgen auch Adonis und die Coworking-Kette Kabimed. Fresenius Medical Care hat im Oktober 2021 in Charkiw sein landesweit drittes Dialysezentrum in Betrieb genommen.

Vor dem Hintergrund von Covid-19 erlebt der von privaten Anbietern dominierte Labormarkt einen Aufschwung. Nach Einschätzung des führenden Anbieters Synevo könnte das Marktvolumen 2021 auf 1 Milliarde Euro steigen, meldet Interfax. Im Jahr 2019 hatte der Wert erst bei maximal 250 Millionen Euro gelegen.

Entwicklungspotenzial bietet auch der Gesundheitstourismus - nicht zuletzt dank günstiger Preise. Im Jahr 2019 erzielte die Ukraine Einnahmen in Höhe von 182 Millionen US$. Beliebt sind Bereiche wie Zahn- und Reproduktionsmedizin sowie plastische Chirurgie.

Das Gesundheitsministerium verfolgt Pläne, den gesetzlichen Rahmen für Betreibermodelle und öffentlich-private Partnerschaften im Gesundheitssektor zu verbessern.

Staat stellt mehr Mittel zur Verfügung

Die Möglichkeiten des öffentlichen Sektors für Investitionen in Medizintechnik sind begrenzt. Die Ausstattung vieler Einrichtungen ist veraltet. Im Vergleich zu Westeuropa ist das Gesundheitssystem stark unterfinanziert. Allerdings steigen die staatlichen Gesundheitsausgaben. Der Budgetentwurf für 2022 sieht eine Steigerung um nominal 22 Prozent auf 194 Milliarden Hrywnja (UAH; rund 6,4 Milliarden Euro) vor. Das entspricht rund 4,5 Prozent des erwarteten Bruttoinlandsprodukts. Bis 2024 soll der Wert auf 5 Prozent steigen.

Im Rahmen des 2020 gestarteten Programms Große Baustelle stellt der Staat Gelder für die Renovierung und Modernisierung von Kliniken und Aufnahmestationen bereit, darunter für den Kauf von Tomografen, Angiografen und endoskopischen Instrumenten. Mehr Gelder fließen auch in das pränatale Screening.

Ein weiterer Schwerpunkt der Investitionstätigkeit liegt auf der Notfallhilfe (Kauf von Krankenwagen, Einrichtung von Hubschrauberlandeplätzen) sowie der Verbesserung der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum. Hierzu erfolgt auf Grundlage eines Ende 2017 verabschiedeten Gesetzes die Einrichtung neuer beziehungsweise Modernisierung bestehender Ambulatorien.

Das Gesundheitsministerium hat eine Strategie zur Kontrolle von Krebserkrankungen 2021 bis 2030 erstellt. Ziel ist eine bessere Früherkennung. Großer Nachholbedarf besteht unter anderem in der Mammographie.

Verbessert werden auch die Möglichkeiten zur Durchführung von Transplantationen. Die Zahl entsprechender Eingriffe steigt. Anfang 2021 nahm ein Informations- und Spenderregister die Arbeit aus, schreibt Vox Ukraine.

Das 2021 begonnene Programm "Gesunde Ukraine" sieht Mittel für die Erneuerung und den Bau von Sportstätten vor.

Größere Ausbau- und Modernisierungsprojekte, für die der Staat Gelder bereitstellt, laufen an den Kliniken Amosov National Institute of Cardiovascular Surgery, dem Nationalen Krebsinstitut und dem Kinderkrankenhaus Ohmatdyt.

Aktuelle Investitionsvorhaben im Gesundheitssektor in der Ukraine (Auswahl; Investitionssummen in Millionen US-Dollar)

Projekt

Investitionssumme

Anmerkung

Bau einer Krebsklinik in Charkiw

rund 30

Auftragnehmer: Romb

Bau eines Krebszentrums in Krywyj Rih

k. A.

Stahlkonzern ArcelorMittal Kryviy Rih stellt 400 Millionen Hrywnja (UAH; rund 15 Millionen US$) bereit

Bau eines multidisziplinären Krankenhauses mit einer Fläche von 50.000 bis 70.000 Quadratmetern einschließlich Universitätsklinik in Mariupol

k. A.

Planungsphase; USAID unterstützt Konzept

Projekte der Stadt Kiew, unter anderem Bau eines neuen Krankenhauses im Stadtteil Trojeschtschyna, Sanierung von Kliniken

k. A.

Teil des Programms der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Stadt Kiew 2021 bis 2023

Quelle: Pressemeldungen

Gesundheitsreform weitgehend umgesetzt

Die Ukraine hat in den vergangenen Jahren eine große Gesundheitsreform durchgeführt. Grundlage der Reform war das Gesetz Nr. 2168-VII. Ein Kernelement der Reform ist die Neuordnung der Finanzierung des Gesundheitswesens nach dem Motto "das Geld folgt den Patienten". Die Kostenerstattung erfolgt über den Ende 2017 gegründeten National Health Service (NHS). Alle ukrainischen Bürger haben Anspruch auf eine kostenlose Grundversorgung. Gleichzeitig fallen aber hohe formelle und informelle Zuzahlungen an; dank der Gesundheitsreform konnten letztere aber eingedämmt werden. Die Finanzierung des Gesundheitssystems erfolgt aus Steuergeldern. Die Einführung einer Krankenversicherung wird diskutiert.

Der Schwerpunkt der 2018 gestarteten ersten Stufe der Reform lag auf der Primärversorgung. Eingeführt wurde die freie Wahl eines Familienarztes. Hausarztbesuche sind für die Patienten kostenfrei.

Neu ist auch eine Kostenerstattung für vom Arzt verschriebene Medikamente zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes (Typ 2) und Asthma. Die Erstattung erfolgt im Rahmen des Programms Dostupni liky ("Erschwingliche Arzneimittel").

Im Rahmen der im April 2020 gestarteten zweiten Stufe der Gesundheitsreform wurde die Finanzierung des Gesundheitssystems über den NHS auf den Facharzt- und Krankenhaussektor ausgeweitet. Mehr Informationen zur Gesundheitsreform und dem Gesundheitssystem bietet eine Studie des EASO.

Beobachter sehen die Gesundheitsreform überwiegend als Erfolg an. Private Anbieter kritisieren aber die ihrer Ansicht nach zu geringe Höhe der Tarife des NHS. Aktuell arbeitet die Regierung an einer Strategie zur Entwicklung des Gesundheitssystems bis 2030. Sorgen bereitet die zunehmende Knappheit an Ärzten und Pflegepersonal.

Rahmendaten zum Gesundheitssystem in der Ukraine

Indikator

Wert

Einwohnerzahl (1. Januar 2021 in Mio.)

41,4

Bevölkerungswachstum (2020 in % p.a.)

-0,6

Altersstruktur der Bevölkerung (1. Januar 2021)

  Anteil der unter 15-Jährigen (in %)

15,2

  Anteil der über 64-Jährigen (in %)

17,4

Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt (2020 in Jahren)

71,4; Frauen: 76,2; Männer: 66,4

Monatliches Durchschnittseinkommen pro Haushalt (2020 in US$)

432,9

Gesundheitsausgaben pro Kopf (2018 in US$)

228,4

Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP (2018 in %)

7,7

Ärzte/100.000 Einwohner (2020)

356,4

Zahnärzte/100.000 Einwohner (Jahr)

21,5

Krankenhausbetten/100.000 Einwohner (2020), davon

  privat

  öffentlich

561

Quelle: DerzhStat, Statistikdienst des Gesundheitsministeriums; Weltbank (World Development Indicators)


 

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