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Ukraine importiert Rekordzahl an Generatoren
Betriebe und Privathaushalte in der Ukraine decken sich massiv mit Notstromaggregaten ein. Die Einfuhr ist sprunghaft angestiegen, seitdem Russland die Stromversorgung lahmlegt.
19.01.2023
Von Gerit Schulze | Berlin
Die Zerstörung der Energieinfrastruktur hat die Nachfrage nach Notstromaggregaten in der Ukraine in die Höhe schnellen lassen. Laut aktuellen Zahlen des Energieversorgers Yasno wurden 2022 rund 670.000 Stromgeneratoren importiert. Rund 80 Prozent der Einfuhren entfielen auf die letzten drei Monate des Jahres. Im Oktober begannen die gezielten russischen Luftangriffe auf Kraftwerke, Umspannstationen und Übertragungsnetze. Seitdem ist die Energieversorgung im Land immer wieder unterbrochen. An manchen Tagen muss der Strom nach Zeitplänen und regional rationiert werden.
Gesamtleistung entspricht einem Atommeiler
Die Gesamtleistung der importierten Generatoren liegt laut Wirtschaftszeitschrift Forbes.ua bei über 1 Gigawatt und entspricht damit einem Kernkraftreaktor. Über 80 Prozent der angeschafften Geräte laufen mit Benzin und haben eine Leistung bis 7,5 Kilowatt.
Wie ein Unternehmenssprecher von Yasno gegenüber dem Onlineportal UBR.ua mitteilte, könne mit der importierten Menge an Generatoren die Basisversorgung an Strom gesichert werden. Inzwischen sollen alle medizinischen Einrichtungen, 90 Prozent der Tankstellen und 60 Prozent der Supermärkte in der Ukraine mit Notstromaggregaten ausgestattet sein.
Große Unternehmen haben vorgesorgt
Auch in der Industrie ist die Ausstattung gut. Schon drei Viertel der Unternehmen haben Backup-Systeme installiert. Das hat eine Befragung des Kiewer Instituts für Wirtschaftsanalyen IER ergeben. Jedes zweite Unternehmen änderte seine Arbeitsabläufe so, dass es die Stromunterbrechungen ausgleichen kann.
Allerdings können sich den Kauf und Betrieb der Stromgeneratoren vor allem größere Betriebe leisten. Für Strom aus dem Netz zahlen Unternehmen je Kilowattstunde etwa 5 bis 6 Hrywnja (12 bis 15 Eurocent; Wechselkurs am 18. Januar 2023: 1 Euro = 39,69 Hrywnja). Die mit mobilen Geräten erzeugte Elektrizität kostet zwischen 12 und 30 Hrywnja (30 bis 76 Eurocent) je Kilowattstunde, bei Billiggeneratoren aus Asien sogar das Doppelte, berichten ukrainische Unternehmer laut Zeitungsberichten.
Einige Banken des Landes vergeben vergünstigte Kredite an kleine und mittelgroße Unternehmen, um Geräte für die unterbrechungsfreie Stromversorgung zu beschaffen.
Jedes zweite Kraftwerk beschädigt
Ein Dutzend Angriffswellen mit Raketen und Drohnen haben die ukrainische Energieversorgung zwischen Oktober 2022 und Januar 2023 erheblich beeinträchtigt. Jedes zweite Kraftwerk wurde beschädigt. Zusätzlich hat das Land die Kontrolle über 10 Gigawatt Stromerzeugerleistung verloren, die sich in den besetzten Gebieten befinden.
Nach Angaben des Übertragungsnetzbetreibers Ukrenergo können die verbliebenen Kraftwerke ein Viertel der Stromnachfrage derzeit nicht bedienen. Deshalb wird der Strom je nach Standort stundenweise abgestellt. In einigen Regionen gibt es immer wieder unangekündigte Notabschaltungen: Charkiw, Donezk, Dnipropetrowsk, Kirowohrad, Saporischschja, Kiew, Schytomyr und Tscherkassy.
Investitionen in das Übertragungsnetz geplant
Die nationale Regulierungsbehörde für den Energiesektor (NERC) hat am 11. Januar 2023 den überarbeiteten Entwicklungsplan für das ukrainische Übertragungsnetz genehmigt. Bis 2032 sollen die Netze für 67,5 Milliarden Hrywnja (1,7 Milliarden Euro) neu gebaut, saniert und technisch umgerüstet werden. Davon sind noch 2023 Ausgaben von knapp 340 Millionen Euro eingeplant.
Über den europäischen Ukraine Energy Support Fund will die Ukraine in Kürze Stromerzeugungsanlagen für 100 Millionen Euro beschaffen. Das kündigte Premierminister Denys Schmyhal am 17. Januar 2023 über seinen Telegram-Kanal an. Nach seinen Angaben seien vor kurzem 45 Reservekraftwerke aus Aserbaidschan und leistungsstarke Generatoren aus Japan für die Region Tschernihiw geliefert worden.
Energieversorgung soll dezentraler werden
Mittelfristig will die Regierung das Energiesystem des Landes umbauen und mehr auf dezentrale Erzeugung setzen. Das soll vor allem mit Hilfe kleinerer Gaskraftwerke mit Leistungen zwischen 1 und 150 Megawatt gelingen. Diese könnten dann lokal und netzunabhängig Strom liefern, zum Beispiel für die Wasserversorgung einer Stadt oder für eine Fabrik.
Deutsche Hersteller steigen Exporte deutlich
Die deutschen Ausfuhren an Stromerzeugungsaggregaten in die Ukraine sind 2022 stark gestiegen. Die Lieferungen von Dieselgeneratoren stiegen von Januar bis November 2022 um das 17-fache gegenüber der Vorjahresperiode auf 6,5 Millionen Euro. Bei Benzin betriebenen Generatoren verdoppelte sich der Exportwert laut Destatis auf 2,2 Millionen Euro.
Bezeichnung / Zolltarifnummer (HS-Code) | Januar bis November 2021, in 1.000 Euro | Januar bis November 2022, in 1.000 Euro |
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Stromerzeugungsaggregate mit Selbstzündung, Leistung bis 75 Kilovoltampere (kVA) / 8502.11 | 225 | 2.986 |
Stromerzeugungsaggregate mit Selbstzündung, Leistung > 75 bis 375 kVA / 8502.12 | 106 | 1.938 |
Stromerzeugungsaggregate mit Selbstzündung, Leistung > 375 kVA / 8502.13 | 54 | 1.550 |
Stromerzeugungsaggregate mit Fremdzündung / 8502.20 | 1.046 | 2.187 |