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Ukraine strebt mehr Souveränität bei Gasversorgung an

Die Ukraine könnte Europa helfen, die Gaskrise zu überwinden. Das vom Krieg geplagte Land plant den Ausbau seiner Gasspeicher und die Erschließung der eigenen Erdgasvorkommen.

Von Gerit Schulze | Berlin

Erdgasspeicher sind in Zeiten unsicherer Lieferungen und hoher Preisschwankungen strategisch wichtige Objekte. Die Ukraine plant deshalb den Ausbau und die Modernisierung ihres Speichersystems. Die Regulierungsbehörde für den Energiesektor (NERC) bestätigte Anfang Juli 2022 den Entwicklungsplan bis 2031. Für umgerechnet fast 500 Millionen Euro sollen die Kapazitäten erweitert, die technische Ausstattung der Erdgasspeicher und ihre Infrastrukturanbindung verbessert werden. Vorgesehen ist, neue Transportfahrzeuge, Maschinen und Telekommunikationsausrüstung anzuschaffen.

Mehr Speicherkapazitäten als in Deutschland

Das System der ukrainischen Erdgasspeicher ist riesig. Die zwölf unterirdischen Objekte können 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas aufnehmen und damit mehr als die Speicher in Deutschland (25 Milliarden Kubikmeter). Insgesamt befinden sich etwa 80 Prozent des Speichervermögens in der Westukraine und damit weit weg vom aktuellen Frontverlauf. Dort steht auch der größte europäische Gasspeicher Biltsche-Wolyzko-Uherske.

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Die Ukraine bietet den europäischen Ländern an, die Hälfte ihrer Speicherkapazitäten zu nutzen und damit Versorgungsengpässe zu überbrücken. Im Herbst 2021 hatten 700 Privatkunden (darunter 100 ausländische) rund 2,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas beim Betreiber Ukrtransgaz zwischengelagert.

Nach dem Kriegsbeginn hatte die ukrainische Regierung ein Ausfuhrverbot für Erdgas verhängt. Der Energieträger durfte daher nur auf dem Binnenmarkt verkauft werden. Am 3. April 2022 hob Kiew die Beschränkungen auf, sodass die Speicher für ausländische Erdgashändler wieder attraktiver sind.

Eine neue Verordnung der Europäischen Union (EU) schreibt den Mitgliedsländern vor, bis November 2022 ihre Erdgasspeicher zu 80 Prozent zu befüllen (in den Folgejahren zu 90 Prozent). Polen und die baltischen Staaten haben nur wenig Speichermöglichkeiten und könnten von den Kapazitäten in der Ukraine profitieren. Das Land ist bereits Mitglied der Energy Community, in der sich die EU und neun Drittstaaten aus Südosteuropa verpflichtet haben, ihre Energiemärkte an den regulatorischen Rahmen der EU anzupassen.

Hälfte des Winterbedarfs ist bereits eingelagert

Aktuell sind in den ukrainischen Speichern 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas für die kommende Heizsaison eingelagert. Die Regierung verlangt eine Reserve von 19 Milliarden Kubikmeter Erdgas und 2 Millionen Tonnen Kohle, um die kalte Jahreszeit problemlos zu überstehen.

Der Jahresverbrauch der Ukraine liegt zwischen 25 Milliarden und 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Ein Drittel davon wird importiert, vor allem aus Europa. Wegen des Krieges stellt die Energieversorgung im kommenden Winter eine große Herausforderung dar. Drei Wärmekraftwerke, das Wasserkraftwerk Kachowka sowie das größte Kernkraftwerk Saporischschja befinden sich in den von Russland besetzten Gebieten. Außerdem sind viele Wind- und Solarkraftwerke beschädigt oder nicht mehr unter ukrainischer Kontrolle.

Das Energieministerium hat deshalb angeordnet, den Erdgasverbrauch im Land zu senken und verstärkt auf Elektrizität zurückzugreifen. Strom steht in der Ukraine ausreichend zur Verfügung, Überschüsse werden inzwischen sogar in der EU verkauft.

Gas aus Europa

Seit Ende 2015 kauft die Ukraine kein Gas mehr direkt in Russland ein. Stattdessen bekommt sie den Energieträger im Reverse-Flow-Verfahren nun aus der anderen Richtung, vor allem aus der Slowakei, Ungarn und Polen. Überwiegend handelt es sich dabei auch um russisches Gas, das zuvor im Transit durch die Ukraine nach Westeuropa gepumpt wurde.


Kiew versucht aber, die Herkunft des Importgases zu diversifizieren. Rumänien hat angekündigt, dass es Moldau und die Ukraine künftig mit Erdgas versorgen könnte, sobald die Pipeline Interconnector Greece-Bulgaria (IGB) im Spätsommer 2022 in Betrieb geht. Außerdem hat die ukrainische Regierung mit Griechenland, Polen und Litauen Gaslieferungen über Flüssiggas (LNG)-Terminals vereinbart. 


Transitsystem für Erdgas nicht ausgelastet

Freie Kapazitäten für Europa hat die Ukraine auch beim Gastransit. Der russische Konzern Gazprom nutzt derzeit nur rund 40 Prozent seiner langfristig reservierten Durchleitungskapazitäten von 109 Millionen Kubikmeter pro Tag. Im Juni 2022 wurden durch das Leitungssystem nur 1,25 Milliarden Kubikmeter Erdgas in andere Länder transportiert - so wenig wie seit 1991 nicht. Russland könnte also den wartungsbedingten Ausfall der Ostseepipeline Nord Stream 1 zum Teil über die Transitstrecken der Ukraine ausgleichen.

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Genügend Lagerstätten zur Deckung des Inlandsbedarfs

Die Ukraine könnte ihren Erdgasbedarf eigentlich durch eigene Vorkommen decken. Die Reserven werden laut Internationaler Energieagentur (IEA) auf 5,4 Billionen Kubikmeter geschätzt. Das entspricht dem Inlandsverbrauch von 180 Jahren.

Doch die Fördermenge ist seit dem Ende der Sowjetunion stark gesunken, weil die Ausbeute an den Lagerstätten nur noch gering ist und neue Fundorte kaum erschlossen wurden. Die staatliche Gasfördergesellschaft Ukrgasvydobuvannya (UGV), auf die mehr als die Hälfte des Fördervolumens entfällt, will die Förderrechte an 35 Bohrlöchern deshalb an private Investoren übertragen. Sie sollen für 15 Jahre über sogenannte Production Enhancement Contracts das verbliebene Erdgas aus den Lagerstätten holen und dafür einen Sondertarif erhalten.

UGV hofft, dass ausländische Spezialfirmen mit Know-how und Hochtechnologie die Ausbeute an den Bohrlöchern erhöhen können. Bei einem ersten Pilotprojekt mit der rumänischen Firma Expert Petroleum konnte die Gasgewinnung um 50 Prozent gesteigert werden. Die in Frage kommenden Lagerstätten liegen allerdings in Frontnähe in den Regionen Charkiw, Dnipropetrowsk und Poltawa. Sie sind zwischen 82 und 93 Prozent ausgebeutet.

UGV will sich deshalb auf die Erschließung neuer Lagerstätten konzentrieren. Um den Eigenbedarf des Landes zu decken, wären in den kommenden zehn Jahren Investitionen von 25 Milliarden Euro nötig. Die Erschließung soll mit internationalen Partnern erfolgen, die sich angesichts des Krieges aber bislang zurückhalten.

Große Gasvorkommen der Ukraine

Gasfeld

Region

Geschätzte Vorkommen
in Mrd. cbm

Jusiwska

Charkiw, Donezk

2.000

Oleska (Schiefergas)

Lwiw, Iwano-Frankiwsk, Ternopil

1.500

Skifska

Schwarzes Meer

250

Quelle: International Energy Agency (Ukraine Energy Profile, September 2021); Recherchen von Germany Trade & Invest

Biogas könnte Importe vollständig ersetzen

Dabei soll auch Biogas eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Der Chef des Netzbetreibers Gas TSO, Serhii Makohon, hält eine Produktion von 8 Milliarden Kubikmeter in zehn Jahren für realistisch. Ähnliche Prognosen gibt der Verband für Bioenergie UABIO ab, laut dem der gesamte ukrainische Erdgasimport durch Biogas ersetzt werden könnte.

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