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Branchen | Ukraine | Automobilsektor

Ukrainischer Automarkt legt vorsichtig den Vorwärtsgang ein

Der Absatz von Neuwagen in der Ukraine ist dramatisch eingebrochen. Russlands Angriff hat außerdem die Produktion zum Erliegen gebracht. Doch das Tief scheint überwunden.

Von Gerit Schulze | Berlin

Der russische Angriffskrieg hat die Fahrzeugverkäufe in der Ukraine und die Inlandsproduktion im Frühjahr 2022 gelähmt. Die meisten Hersteller von Komponenten und Fahrzeugen schlossen ihre Werke, brachten die Beschäftigten in Sicherheit und kappten ihre Lieferbeziehungen.

Doch nach der ersten Schockwelle kommt die Branche allmählich wieder auf die Beine. Nicht zuletzt der Bedarf der Armee an Fahrzeugen sorgt dafür, dass die Fabriken wieder öffnen. Das gilt besonders für die Standorte in der Westukraine, die nicht direkten Kampfhandlungen ausgesetzt sind. 

Teilehersteller fahren Produktion wieder hoch

Bei der Produktion von Kfz-Teilen in der Ukraine dominieren arbeitsintensive Produktsparten wie Kabelsätze. Viele Werke hatten bei Kriegsbeginn ihren Betrieb eingestellt und damit in westeuropäischen Autofabriken für Engpässe gesorgt. Nach und nach fuhren vor allem Fertigungsstätten im Westen des Landes ihre Anlagen schrittweise wieder hoch.

Der schwedische Wälzlagerhersteller SKF zum Beispiel hatte sein Werk im westukrainischen Luzk im Februar 2022 geschlossen. Inzwischen setzt SKF Ukraina die Fertigung gedrosselt fort. Der französische Kabelhersteller Nexans teilte im April 2022 mit, dass seine Produktionskapazitäten wieder zu 100 Prozent ausgelastet seien. Skoda hat Teile seiner ukrainischen Kabelproduktion ins tschechische Stammwerk Mladá Boleslav sowie nach Rumänien und Marokko verlegt.

Das Metallurgieunternehmen Centravis, das unter anderem nahtlose Edelstahlrohre für die Automobilindustrie produziert, arbeitet weiter in zwei Schichten. Wie der Produktionsdirektor Mitte August 2022 mitteilte, funktionieren die Rohstoffversorgung und Transportlogistik.

Viele Hersteller haben ihre Produktion an den Bedarf der Armee angepasst. Der Verband der Autoimporteure VAAID schlug der Regierung vor, den Geländewagen LuAZ-967 oder das Allradmodell LuAZ-969 wieder zu produzieren. Validus Special Auto entwickelte ein Modell, das zur Analyse von chemischen oder radioaktiven Kampfstoffen eingesetzt werden kann. 

Kfz-Produktion bleibt gering

Als Autoproduzent spielte die Ukraine schon vor der Invasion nur eine Nebenrolle. Im Jahr 2021 wurden im Land lediglich 7.342 Pkw hergestellt. Knapp die Hälfte davon montierte der Auftragsfertiger Eurocar für den Volkswagen-Konzern im SKD-Verfahren (Semi-Knocked-Down). Das Unternehmen in der westukrainischen Region Transkarpatien hatte nach Kriegsbeginn im Februar 2022 seine Produktion eingestellt.

Nach dreimonatiger Pause startete Eurocar Anfang Juli 2022 die Pkw-Produktion wieder mit 30 Fahrzeugen pro Tag. Die Jahreskapazität der Fabrik beträgt 80.000 Fahrzeuge. Beim zweitgrößten Pkw-Hersteller, dem Autowerk Saporischja (ZAZ), wurden 2021 fast 3.900 Autos und 129 Busse gebaut. Das Werk montierte vor dem Krieg Bausätze des russischen Herstellers AvtoVAZ. Im März 2022 entschied AvtoVAZ, die Produktion bei ZAZ einzustellen und keine Baugruppen mehr in das Werk zu liefern.

Fahrzeugproduktion in der Ukraine (in Einheiten, Veränderung in Prozent)

2020

2021

Veränderung 2021/2020

Pkw

4.202

7.342

75

Busse

698

768

10

Nutzfahrzeuge / Lkw

51

43

-16

Quelle: UkrAutoprom 2022

Die staatliche Ukreximbank hat im Juni 2022 die Produktionsstätte Tscherkassy des insolventen Automobilherstellers Bogdan Motors gekauft. Dort wurden früher Busse und Pkw montiert.

Das ukrainische Statistikamt und die Branchenverbände veröffentlichen seit Kriegsausbruch keine Produktionszahlen mehr. Laut Außenhandelsstatistik importierte die Ukraine im 1. Halbjahr 2022 Fahrzeuge und Kfz-Teile (Zolltarifposition HS 87) im Wert von 2,58 Milliarden US-Dollar (US$). Das war ein Rückgang um 25 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode. Die Exporte in dieser Warengruppe sanken um 17 Prozent auf 67,5 Millionen US$.

Absatz von Neuwagen bricht dramatisch ein

Der Verkauf von Neuwagen war nach Russlands Angriff eingebrochen. Im ersten Monat nach der Invasion (März 2022) wurden nur 546 Neuwagen verkauft, also 94 Prozent weniger als in der Vorjahresperiode. Doch seitdem wächst der Absatz Monat für Monat und erreichte im Juli 2022 einen vorläufigen Höchstwert von 3.648 Pkw. Das Branchenportal Auto-Consulting schätzt dennoch, dass der Gesamtmarkt 2022 auf das Niveau von 2015 zurückfallen könnte. Damals wurden 46.500 neue Pkw in der Ukraine verkauft.

Der Verkauf von Neuwagen wird durch das ausgedünnte Händlernetz beeinträchtigt. Viele Autohäuser in den besetzten Gebieten oder in Frontnähe mussten aus Sicherheitsgründen schließen, einige Filialen wurden zerstört. Außerdem fehlt Verkaufspersonal, das geflüchtet ist oder zum Wehrdienst einzogen wurde. 

Absatz von Fahrzeugen in der Ukraine (in Einheiten, Veränderung in Prozent)

Kategorie

2020

2021

Jan.-Juli 2022

Veränderung Jan.-Juli 2022/2021

Pkw

85.450

103.245

21.477

-63

Nutzfahrzeuge

11.578

15.846

3.808

-54

Busse

1.958

2.681

407

-71

Quelle: UkrAutoProm 2022

Weniger stark als der Pkw-Markt ist der Absatz neuer, leichter Nutzfahrzeuge eingebrochen. Von Januar bis Juli 2022 sanken die Verkäufe laut UkrAutoProm um 54 Prozent auf rund 3.800 Einheiten.

Beliebteste Automarken im Juli 2022 waren Toyota, Volkswagen, Chery, Renault und Skoda. Händler berichten von einer anhaltend hohen Nachfrage nach Sport Utility Vehicles (SUV). 

Benzinknappheit befördert Elektrofahrzeuge

Der Absatz von Elektroautos erlebt eine Sonderkonjunktur, da Benzin und Diesel teuer und knapp sind. Von Januar bis Juli wurden 5.900 neue und gebrauchte Elektroautos zugelassen. Allein im Juli 2022 stieg die Zahl um 1.732 Fahrzeuge und damit um 230 Prozent über den Vorjahreswert.


Die Regierung will den Absatz von Elektroautos weiter fördern. Seit 1. Juli 2022 müssen Käufer von Neuwagen keine Pflichtabgabe an den Rentenfonds in Höhe von 3 bis 5 Prozent des Kaufpreises mehr leisten.


Ein landesweites Ladenetz rückt näher, nachdem der Stromversorger Energoatom und die Ukrgazbank im Juni 2022 ein Memorandum über den Aufbau unterzeichneten. 


Zollbefreiung lässt Gebrauchtwagen boomen

Autos sind auch in Kriegszeiten ein gefragtes Gut in der Ukraine. Von Januar bis Juli 2022 wechselten 332.000 Pkw den Besitzer. Das war ein Zuwachs von 8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, berichtete der Branchenverband UkrAutoprom. Dabei handelt es sich aber überwiegend um Gebrauchtfahrzeuge. Im 1. Halbjahr 2022 wurden 280.000 gebrauchte Fahrzeuge importiert, davon allein 237.000 im Zeitraum April bis Juni. Denn für diese Monate hatte Kiew die Einfuhrzölle und Einfuhrumsatzsteuer abgeschafft und damit für einen regelrechten Importboom gesorgt.

Die Maßnahme sollte helfen, den Fahrzeugbestand im Land wieder aufzufüllen. Nach Angaben der Präsidialverwaltung zerstörten die russischen Angreifer allein zwischen Februar und Mai 2022 rund 90.000 Fahrzeuge.

Die fünf meist importierten Gebrauchtwagen entfielen alle auf den Volkswagen-Konzern: VW Passat, Golf und Touran sowie Skoda Octavia und Audi A6. Besonders beliebt waren Autos im Preissegment zwischen 2.000 und 5.000 US$.

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