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Wirtschaftsumfeld | Ukraine | Krieg in der Ukraine

"Sauerstoff für Krankenhäuser ist jetzt besonders gefragt"

Das hessische Familienunternehmen Messer ist seit 20 Jahren in der Ukraine. Der Krieg hat die Produktion von Gasen nur kurz zum Erliegen gebracht. Jetzt läuft das Geschäft wieder.

Von Gerit Schulze | Berlin

Adolf Walth, Chief Marketing Officer, Messer Group Adolf Walth, Chief Marketing Officer, Messer Group | © FOTOGRAFIE ANNE Anne Simon

Die Messer SE & Co. KGaA aus dem hessischen Bad Soden produziert Industriegase wie Sauerstoff und Stickstoff, aber auch medizinische Gase sowie Produktionsanlagen für Gase. In der Ukraine ist das Familienunternehmen seit zwei Jahrzehnten mit dem estnischen Jointventure-Partner BLRT Group als Elme Messer Gaas tätig und betreibt Anlagen in Charkiw und Dnipro.

Aufsichtsratsvorsitzender bei Elme Messer Gaas ist Adolf Walth, der in der Messer-Geschäftsleitung auch die Bereiche Vertrieb, Marketing und Anwendungstechnik betreut. Im Interview mit Germany Trade & Invest berichtet der Manager über die Folgen des Krieges für die Werke in der Ukraine, über Hilfen für die Beschäftigten und über den Neustart des Geschäfts.

Herr Walth, wie war die Messer Group vor dem 24. Februar in der Ukraine aufgestellt?

Wir sind seit rund 20 Jahren im Land und beschäftigen dort rund 130 Leute. Am Anfang kauften wir vom Staat eine Gesellschaft in Charkiw, die eine Luftzerlegungsanlage betrieb und Flaschengase abfüllte. Die alten sowjetischen Linien haben wir dann stillgelegt, nachdem wir in Dnipro ein neues Werk nach westlichen Standards errichteten. Diese Anlage versorgt das benachbarte Stahlwerk in Dnipro direkt über Rohrleitungen.

Außerdem haben wir eine große Verflüssigungsanlage für Sauerstoff, Stickstoff und Argon gebaut. Diese Gase produzieren wir selbst und füllen sie ab mit unterschiedlichen Reinheitsgraden und als Gemische in Stahlflaschen.

Ein weiterer wichtiger Geschäftszweig ist Sauerstoff für medizinische Anwendungen.

Wer sind Ihre Kunden in der Ukraine?

Neben dem Stahlwerk direkt neben unserer Anlage in Dnipro kaufen viele Krankenhäuser unseren Sauerstoff. Stickstoff geht vor allem an Härtereien der Metallbearbeitungsindustrie sowie an die Lebensmittelverarbeitung. Argon brauchen die Schweißbetriebe. Vor dem Krieg lief der Betrieb bestens, unsere Marktposition war sehr gut.

Wie hat Ihr Unternehmen reagiert, als Russland die Ukraine angegriffen hat?

Innerhalb von zwei Tagen fuhren wir alle Anlagen runter. Den meisten Mitarbeitern und ihren Familienangehörigen haben wir geholfen, nach Polen, Moldau, Rumänien oder ins Baltikum zu kommen. Wir haben die Frauen und Kinder an der Grenze in Empfang genommen und sie in Wohnungen untergebracht, die wir organisiert haben. Die Buchhaltung aus Charkiw sitzt jetzt in Lettland und führt die Bücher von dort aus elektronisch weiter.

Was ist mit den Produktionsanlagen passiert?

Sechs bis sieben Wochen stand unsere Produktion komplett still. Unsere Kunden hatten ihre Fertigung ebenfalls eingestellt. Aber auch in dieser Zeit gab es immer wieder freiwillige Lkw-Fahrer, die den medizinischen Sauerstoff aus unseren Reservetanks in das umzingelte Kiew in die Krankenhäuser brachten. Vor drei Wochen haben wir das Abfüllwerk wieder in Betrieb genommen. Besonders für Schweißgase gibt es jetzt sehr viele Anfragen.

"Die Druckwelle hat alle Fenster bei uns herausgerissen."

Gab es auf ihrem Werksgelände Kriegsschäden?

Konkrete Einschläge auf dem Gelände gab es nicht, allerdings in der Nachbarschaft. Die Druckwelle hat alle Fenster bei uns herausgerissen. Die haben wir erst mit Kartons notdürftig verschlossen. In den nächsten Tagen lassen wir die Scheiben erneuern. Außerdem wurde unser Argontank durch Splitter beschädigt. Den haben wir inzwischen aber wieder repariert.

Wie haben Ihre Beschäftigten in der Ukraine auf den Angriff reagiert?

Da konnte man drei Phasen beobachten. Zunächst Panik, Durcheinander und absolute Ungläubigkeit, dass tatsächlich ein Krieg ausgebrochen ist. Dann haben sich die Menschen allmählich sortiert und neu organisiert. Jetzt rückten Alltagsfragen in den Vordergrund, wie der Schulbesuch der Kinder. Im dritten Kriegsmonat begann dann die dritte Phase: Die Menschen wollen sich nicht mehr verstecken und gewöhnten sich an die schreckliche Realität, an Bomben und Sirenen. Sie sagten uns, wir wollen arbeiten und nicht auf Hilfslieferungen angewiesen sein. Wenn wir nicht produzieren, können die Schweißer nicht arbeiten, dann können keine Maschinen gebaut werden. In Dnipro kamen die Menschen morgens zur Arbeit, obwohl das Werk und der wichtigste Abnehmer im Stahlwerk noch stillstanden.

Wir sind jetzt im vierten Kriegsmonat. Hat sich Ihre Kundenstruktur in der Ukraine verändert?

Wir haben viele kleine und Kleinstkunden, die Flaschengase kaufen. Typisch sind dabei Mengen von 50 oder 20 Litern. Diese Kleinstkunden beliefern wir wieder. Auch das Stahlwerk als großer Kunde hat den Betrieb wieder aufgenommen.

Gase brauchen alle Industriesegmente. Deshalb können wir genau sehen, welche Branchen jetzt wieder hochfahren. In der Bauwirtschaft wird jetzt sehr viel Sauerstoff zum Schneiden gebraucht. Die metallverarbeitende Industrie braucht Gas zum Schweißen.

Wie steht es in Kriegszeiten um die Zahlungsmoral der ukrainischen Kunden?

Wir haben zwei Monate lang die Krankenhäuser beliefert, ohne Geld zu verlangen. Jetzt bitten wir langsam wieder darum, die Rechnungen zu begleichen.

Großkunden mit langfristigen Verträgen, die wir gut kennen, beliefern wir mit längeren Zahlungszielen. Kunden, die keine lange Lieferhistorie haben, müssen in Vorkasse gehen. Das funktioniert.

"Ich erwarte steigenden Gasebedarf in der Zukunft."

Was erwarten Sie von der künftigen Entwicklung der Ukraine?

Wenn die Aufbruchsstimmung in der Ukraine anhält und der Krieg regional begrenzt bleibt, dann wird die Entwicklung sehr positiv sein. Beim Wiederaufbau werden extrem große Mengen unserer Gase benötigt. Allein die Glasindustrie wird wegen der enormen Zerstörungen für die nächsten zehn Jahre ausgelastet sein. Neue Werke brauchen kontrollierte Luftströme, um einen modernen Produktionsprozess zu ermöglichen. Dabei kommen unsere Gase ins Spiel.

Ein zweiter Impuls für unsere Produkte sind die hohen Energiekosten. Wenn Erdgas teurer oder knapp wird, lohnt sich der Einsatz von Sauerstoff-Luftgemischen. Deswegen erwarte ich in Zukunft für unsere ukrainischen Anlagen einen steigenden Gasebedarf.

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