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Bericht Wirtschaftsumfeld Ukraine Krieg in der Ukraine

Kiew träumt von einem neuen Marshallplan

Während Russlands Angriffe unvermindert weitergehen, bereitet sich die Ukraine auf die Zeit nach dem Krieg vor. Das Wirtschaftsministerium hat einen Wiederaufbauplan vorgestellt.

Von Gerit Schulze | Berlin

Die ukrainische Wirtschaftsministerin Julia Swiridenko hat Ende April 2022 eine Roadmap zum Wiederaufbau der Wirtschaft für die Zeit nach dem Krieg vorgestellt. Das Projekt werde eines der größten Konjunkturprogramme seit dem Marshallplan sein, sagte die Politikerin bei einer Konferenz in Warschau. Angedacht sind eine stärkere Integration mit der Europäischen Union, eine Deregulierung der Wirtschaft und Vorrang für einheimische Produkte.

Neun-Punkte-Plan für den Wiederaufbau

  • Voller Zugang zu den Märkten der Europäischen Union (EU) und der führenden sieben Industrieländer (G7). Damit sollen das produzierende Gewerbe in globale Lieferketten integriert und die Exporte gesteigert werden.
  • Erlangung eines offiziellen Kandidatenstatus' und spätere volle EU-Mitgliedschaft, um Zugang zu den Strukturfonds der Europäischen Union zu erhalten
  • Deregulierung und Liberalisierung der Wirtschaft
  • Ausbau der Logistikrouten Richtung Westen
  • Weg vom reinen Rohstoffexport hin zu mehr verarbeiteten Produkten
  • Aufbau eines einheimischen militärisch-industriellen Komplexes
  • Selbstversorgung im Energiesektor durch Erhöhung der Gasförderung und Ausbau der Kernkraft
  • Umbau der Wirtschaft unter Berücksichtigung des Klimaschutzes
  • Mindestens 60 Prozent der Ausgaben für den Wiederaufbau an einheimische Unternehmen

Die Partnerschaft mit der EU und den G7-Staaten will Kiew auch deshalb ausbauen, um Zugang zu Schlüsseltechnologien und Kapitalressourcen für Großprojekte zu bekommen. Mit Staatsgarantien möchte die Regierung die Unternehmen zu mehr Investitionen bewegen.

Ein Schwerpunkt der Wiederaufbaumaßnahmen liegt auf der Infrastruktur. Die Kriegsschäden an Straßen, Schienen und Flughäfen beziffert die Kyiv School of Economics bereits auf über 80 Milliarden US-Dollar (US$).

Kriegsschäden entsprechen der fünffachen Wirtschaftsleistung

Internationale Experten gehen davon aus, dass die Ukraine 2022 einen erheblichen Wirtschaftseinbruch erlebt. Der Internationale Währungsfonds IWF rechnet mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 35 Prozent, die Weltbank erwartet ein Minus von 45 Prozent.

Bei einem Webinar des U.S.-Ukraine Business Council (USUBC) zeichnete der Präsidentenberater für Wirtschaftsfragen, Oleg Ustenko, am 5. Mai 2022 ein düsteres Bild der Lage: Die Hälfte der Unternehmen musste ihre Arbeit einstellen, die Exportrouten sind abgeschnitten und Vermögenswerte von 650 Milliarden US$ durch die Angriffe vernichtet. Jeden Monat benötige die Regierung 5 Milliarden Euro, um das Haushaltsdefizit auszugleichen.

Der Ökonom verwies auf die Wirtschaftsleistung der Ukraine, die 2021 den Rekordwert von knapp 200 Milliarden Euro erreicht hatte. Schon jetzt zeichne sich ab, dass das Land den fünffachen Wert seines Bruttoinlandsproduktes für die Beseitigung der Kriegsschäden aufbringen müsse.

Ustenko warb dafür, die im Ausland blockierten russischen Devisenreserven von rund 300 Milliarden US$ für den Wiederaufbau einzusetzen. Außerdem könnten eingefrorene Vermögenswerte russischer Oligarchen für Reparaturen genutzt werden. "Und dann hoffen wir natürlich auf privates Kapital und EU-Beitrittshilfen", sagte der Ökonom und Geschäftsführer der Kiewer Bleyzer Foundation im Webinar.

Modernisierung orientiert sich an Europa

Der Präsidentenberater unterstrich aber, dass es beim künftigen Wiederaufbau der Ukraine nicht um eine reine Rekonstruktion der zerstörten Infrastruktur und Industrieanlagen gehe. „Wir bauen alles komplett neu auf und orientieren uns dabei an der europäischen Infrastruktur“, sagte Ustenko. Als Beispiel nannte er Eisenbahngleise, die mit der in Europa üblichen Normalspur von 1435 Millimetern statt in der russischen Breitspur (1520 Millimeter) verlegt werden könnten.

Das unterstützt auch der Ökonom Anders Åslund von der schwedischen Denkfabrik Stockholm Free World Forum. „Es geht nicht darum, die alte Sowjetinfrastruktur wieder zu errichten, sondern darum, die Ukraine in Europas Wirtschaft zu integrieren“, betonte er beim USUBC-Webinar. Statt die alten Kohlekraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen, sollte das Land von Beginn an auf moderne Energieerzeugung setzen.

Verschiedene Finanzierungsquellen werden angezapft

Wladislaw Raschkowan, Vorstandsmitglied beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington, glaubt, dass der Wiederaufbau seines Landes aus verschiedenen Quellen finanziert werden könne:

  • IWF-Mittel zur Konsolidierung des Staatshaushaltes,
  • Weltbankmittel für konkrete Aufbauprojekte,
  • Vorbeitrittshilfen der EU und spätere EU-Strukturfonds,
  • Kredite der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), der Europäischen Investitionsbank (EIB), der deutschen KfW-Bank und anderer internationaler Förderbanken,
  • ausländische und ukrainische Privatunternehmen,
  • Finanzmittel einzelner Staaten.

Kiew hat vorgeschlagen, dass einzelne Staaten sich jeweils um den Wiederaufbau einer konkreten Region in der Ukraine kümmern könnten.

Zur Unterstützung des ukrainischen Staatshaushaltes in Kriegszeiten haben internationale Geberorganisationen und Einzelstaaten bislang über 5,4 Milliarden US$ an Kiew überwiesen. Weitere 4,6 Milliarden US$ sind durch Mittel der Nationalbank und die Begebung von Kriegsanleihen zusammengekommen.

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Weitere Hilfszusagen bei Geberkonferenz in Warschau 

Seit Ende Februar 2022 hat die Ukraine Waffen und Finanzhilfen im Wert von mehr als 12 Milliarden US$ erhalten. Das teilte Premierminister Denys Shmyhal bei einer weiteren Geberkonferenz am 5. Mai 2022 in Warschau mit. Dort kamen zusätzliche Hilfszusagen von 6,2 Milliarden Euro zusammen. Nach Angaben der Vereinten Nationen brauchen in der Ukraine 12 Millionen Menschen dringend humanitäre Hilfe wie Nahrung, medizinische Versorgung und Unterkünfte.

Auf Initiative von Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die ukrainische Regierung das zentrale Spendenportal United24 eingerichtet, um per Crowdfunding Geld für militärische und medizinische Hilfe sowie für den Wiederaufbau des Landes zu sammeln. Erste Ergebnisse sollen am 12. Mai 2022 vorgestellt werden.

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