Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Wirtschaftsumfeld | Ukraine | Krieg in der Ukraine

Produktionsbetrieb läuft in den Fabriken größtenteils weiter

Deutsche Unternehmen können ihre Produktion in der Ukraine trotz des Krieges teilweise aufrechterhalten. Engpässe betreffen die Logistik und Zahlungsströme.

Von Gerit Schulze | Berlin

Fahrer und Fahrzeuge fehlen, die Zollabfertigung stockt, Versicherungen verweigern Deckungssummen: Diese Nebenfolgen des Krieges bekommen deutsche Unternehmen in der Ukraine derzeit besonders zu spüren. Das zeigt eine Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, an der sich Ende März 2022 immerhin 35 Firmen beteiligt haben.

Unternehmen zahlen Steuern und Löhne weiter

Auch sechs Wochen nach der russischen Invasion können die befragten Unternehmen 60 bis 70 Prozent ihres Produktionsniveaus der Vorkriegszeit halten. "Dieser Einsatz ist für die Ukraine ganz wichtig“, sagt Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses. "Nur funktionierende Unternehmen können Steuern und Löhne bezahlen und die Versorgung der Bevölkerung gewährleisten."

Allerdings sind die Auswirkungen der Kriegshandlungen deutlich zu spüren. Immerhin berichten 42 Prozent der Umfrageteilnehmer von Vermögensschäden, 35 Prozent haben Liquiditätsprobleme. Der Ost-Ausschuss plädiert in diesem Zusammenhang dafür, weiterhin Bundesbürgschaften ("Hermesdeckungen") als Instrument der Außenhandelsfinanzierung zu ermöglichen. Vier der 35 befragten Unternehmen berichteten von zuletzt nicht genehmigten Deckungszusagen.

Mehrzahl der Firmen hält am Engagement fest

Nach Einschätzung von Oliver Hermes wollen die meisten deutschen Unternehmen weiter in der Ukraine arbeiten. Sie wünschen sich aber der Umfrage zufolge, dass der Bund die im Krieg entstandenen Vermögensschäden und Liquiditätsengpässe über Kredit- oder Garantieinstrumente abfedert.

Vorschläge zur Stabilisierung der Unternehmensaktivitäten in der Ukraine
  • Weiterführung und schnelle Umsetzung einer großzügigen Deckungspolitik, Berücksichtigung von Vorfinanzierungen
  • Fonds zum Ausgleich für kriegsbedingte Vermögensschäden wie zerstörte Anlagen oder Zahlungsausfälle
  • Überbrückungshilfen in Einzelfällen (mögliche Garantieerklärungen durch den Bund oder die KfW-Bank gegenüber kommerziellen Banken)
  • Sicherstellung von Produktionsmitteln für den Agrarbereich (Treibstoff, Saatgut, Düngemittel) und Sicherstellung der Aussaat
  • Entwicklung alternativer Exportwege, solange die Schwarzmeerhäfen gesperrt sind

Quelle: Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft

Während die Kämpfe weiter mit großer Heftigkeit toben, bereitet sich die deutsche Wirtschaft auf den Wiederaufbau der Ukraine vor. Die Europäische Union (EU) hat bereits einen Solidaritätsfonds für das Land beschlossen und will dafür in Kürze über eine Geberkonferenz Finanzmittel einwerben. "Die deutsche Wirtschaft steht bereit, sich für den Wiederaufbau der Ukraine zu engagieren und gleichzeitig die wirtschaftliche Annäherung an die EU zu begleiten", betont Ost-Ausschuss-Vorsitzender Hermes. Er sieht die weitere Integration in den EU-Binnenmarkt als wichtigen Motor für die wirtschaftliche Erholung nach dem Krieg.

Land könnte perspektivisch an Bedeutung gewinnen

Mitte März 2022 war das ukrainische Stromnetz erfolgreich mit dem europäischen Netz verbunden worden. Deutsche Unternehmen sind seit vielen Jahren in der Landwirtschaft, in der Automobilindustrie und im Energiesektor tätig. Hermes ist überzeugt, dass die Ukraine "rasant an Bedeutung für die deutsche Wirtschaft gewinnen wird".

Der Prozess des Wiederaufbaus werde allerdings viele Jahre dauern, sind sich alle Experten einig. Die Schäden durch Raketenangriffe und Artilleriebeschuss sind schon jetzt enorm. Allein in den ersten drei Kriegswochen wurden laut dem KSE Institute der Kyiv School of Economics 1.600 Wohngebäude, 26 Fabriken und sechs Kraftwerke beschädigt. Außerdem müssen schon jetzt 15 Flughäfen und 350 Brücken repariert werden. Hinzu kommt der Einbruch der Wirtschaftsleistung, den der Internationale Währungsfonds (IWF) im laufenden Jahr auf bis zu 35 Prozent prognostiziert, wenn es zu keinem schnellen Friedensschluss kommt.

Über ein Viertel der Wirtschaftskraft in den Kriegsregionen

Die von den Kriegshandlungen unmittelbar betroffenen Regionen sorgten zu Friedenszeiten für 29 Prozent der ukrainischen Wirtschaftsleistung. Das zeigt eine Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) von Anfang April 2022. Demnach sind ein Drittel der Industrie- und Agrarproduktion sowie ein Viertel der Exporte bedroht. Die Hauptstadt Kiew, in der ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes (BIP) entsteht und die auch unter Beschuss steht, ist dabei noch nicht berücksichtigt.

Die größten Verluste erleidet die Ukraine nach Einschätzung des wiiw aber beim Humankapital. Neben den Kriegsopfern zählen dazu die Verschlechterung der Gesundheitsversorgung und die hohen Flüchtlingszahlen. Schon 10 Millionen Menschen mussten nach Angaben der Vereinten Nationen ihre Heimatorte verlassen. Fast 4,3 Millionen von ihnen sind ins Ausland geflüchtet.

Bankensystem verfügt noch über Liquidität

Einen Hoffnungsschimmer sehen die Wiener Wirtschaftsforscher bei der Finanzstabilität des Staates. Die Währungsreserven der Nationalbank NBU lagen Mitte März 2022 bei 27,5 Milliarden US-Dollar (US$). Das erlaube der Regierung, ihre Auslandsschulden problemlos zu bedienen, heißt es in der wiiw-Studie. Die anstehende Tilgungssumme 2022 beträgt 7 Milliarden US$.

Das Bankensystem erweist sich bislang als robust und liquide. Die Spareinlagen der Bevölkerung waren im März sogar gestiegen. Da Banken und Geldautomaten in den Kriegsgebieten nur eingeschränkt arbeiteten, konnten die Sparer keine größeren Mengen Bargeld abheben. Fast alle Geldinstitute bieten ihren Kunden Zahlungspausen für Kreditraten an. Längerfristig werden die Banken aufgrund ihrer zerstörten Sachanlagen und wachsender Kreditausfälle aber erhebliche Verluste erleiden und könnten in finanzielle Schieflage geraten.

Steuererleichterungen entlasten die Wirtschaft

Zur Stützung der Wirtschaft hat die ukrainische Regierung kurzfristig eine Steuerreform umgesetzt: Die Mehrwert- und Einkommensteuer werden während des Krieges durch eine Umsatzsteuer von 2 Prozent ersetzt. Kleine und mittelständische Betriebe dürfen selbst entscheiden, ob sie Steuern zahlen. Selbständige, Einzelunternehmer und Landwirte sind von Sozialabgaben befreit. Die Verbrauchsteuer für Kraftstoffe wurde auf Null gesetzt, bis das Kriegsrecht aufgehoben ist. Steuerprüfungen sind temporär für alle Unternehmen ausgesetzt.

Eine Branche, die von der russischen Invasion weniger betroffen sein könnte, ist der ukrainische IT-Sektor. Das stabilisiert die Wirtschaftsleistung, denn auf digitale Dienstleistungen entfielen 2020 laut wiiw mindestens 5 Prozent des BIP.

nach oben
Feedback

Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.