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Wirtschaftsumfeld | Ukraine, Moldau, Georgien | EU-Beitritt

Ukrainekrieg stärkt Wunsch nach EU-Beitritt

Kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat Kiew den Beitritt zur Europäischen Union beantragt. Georgien und Moldau folgten. Die Hürden auf dem Weg dorthin sind aber hoch.

Von Viktor Ebel | Bonn

Der ukrainische Präsident hat am 28. Februar 2022 einen Antrag der Ukraine auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) unterzeichnet. Wenige Tage später schlossen sich auch das benachbarte Moldau und das im Südkaukasus gelegene Georgien an. Der Beitrittswunsch der Länder war kein Geheimnis, allerdings wurde mit offiziellen Anträgen erst Mitte der 2020er Jahre gerechnet. Der russische Angriffskrieg hat dieser Dynamik nun einen starken Schub gegeben.

Die Länder fürchten um ihre Sicherheit und wollen auch wirtschaftlich und bei der Energieversorgung von Russland unabhängig sein. Mit ihrem Besuch in Kiew am 8. April 2022 machte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen den nächsten Schritt und überreichte dem ukrainischen Präsidenten einen Fragebogen, der die Grundlage für Beitrittsgespräche darstellt. Georgien und Moldau haben die Fragebögen mit 369 Punkten am 11. April 2022 erhalten und wollen diese innerhalb einer Woche beantworten.

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„Wir wollen Teil der freien Welt sein“

Die Ukraine, Moldau und Georgien verbinden neben ihrer sowjetischen Vergangenheit jeweils auch Territorialkonflikte mit Russland. Während das kleine Moldau schon kurz nach seiner Unabhängigkeit die Kontrolle über den Landstrich Transnistrien verlor, musste Georgien nach einem Krieg mit Russland im Jahr 2008 auf die faktische Kontrolle über die beiden Gebiete Abchasien und Südossetien verzichten. Im Jahr 2014 annektierte Russland völkerrechtswidrig auch die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim.

In Moldau regiert seit Ende 2021 erstmals eine offen proeuropäische Regierung. Präsidentin Maia Sandu begründet den Antrag ihres Landes mit den Worten: „Wir wollen in Frieden und Wohlstand leben, Teil der freien Welt sein“. Auch die komplette Abhängigkeit von russischem Gas und die daraus resultierende Energiekrise dürften dabei eine Rolle spielen. In der Ukraine und Georgien hat die Orientierung gen Westen schon Anfang der 2000er Jahre begonnen.

Die Antwort der EU auf diese Entwicklungen ist die Östliche Partnerschaft, welche die politische Assoziierung und wirtschaftliche Integration von sechs ehemaligen Sowjetrepubliken verstärken soll. Im Gegenzug zur Durchführung politischer und wirtschaftlicher Reformen bietet die EU

  • neue vertragliche Beziehungen,
  • vertiefte und umfassende Freihandelsabkommen,
  • Schritte zur Visaliberalisierung.
Was hinter den Assoziierungsabkommen steckt

Die EU hat mit Ländern der Östlichen Partnerschaft (Ukraine, Georgien, Moldau , Armenien, Aserbaidschan, ehemals Belarus) eine Reihe von Assoziierungsabkommen ausgehandelt, um damit


  • die politische Assoziierung zu stärken,
  • den politischen Dialog zu intensivieren,
  • die Zusammenarbeit in Justiz und Sicherheitsfragen zu vertiefen.

Die Abkommen umfassen einen Reformplan, mit dem die Partnerländer näher an die EU herangeführt werden, indem ihre Gesetze und Normen an die der EU angepasst werden. Damit wird das Leben der Menschen spürbar verbessert. Als Teil der Assoziierungsabkommen hat die EU im Jahr 2014 Verhandlungen zu vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen mit Georgien, Moldawien und der Ukraine abgeschlossen, um


  • den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen zu verbessern,
  • Zölle, Kontingente und Handelshemmnisse abzubauen,
  • solide rechtliche Rahmenbedingungen zu gewährleisten,
  • Verfahren und Normen abzustimmen.

Quelle: EU-Kommission

Politische und wirtschaftliche Sicherheit lockt Ex-Sowjetrepubliken

Sicherheitspolitisch versprechen sich die Ukraine, Georgien und Moldau von einer EU-Mitgliedschaft in erster Linie die Wahrung ihrer territorialen Integrität. Aber auch wirtschaftlich wollen sich die Länder von der russischen Abhängigkeit lösen. Denn die Politik des Kremls wird für die Volkswirtschaften im postsowjetischen Raum zunehmend zu einem unkalkulierbaren Risiko.

Reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Osteuropa und im Südkaukasus (in Prozent)

Land

2021

2022

2022 *)

2023 *)

Armenien

5,7

5,3

1,5

4,0

Aserbaidschan

5,6

3,2

5,0

2,5

Georgien

10,4

5,5

2,0

4,5

Moldau

13,9

4,0

2,0

3,5

Ukraine

3,4

3,5

-20,0

23,0

Belarus

2,0

0,2

-3,0

0,0

Russland

4,8

3,0

-10,0

0,0

*) aktualisierte Prognosen vom März 2022Quelle: Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (2022)

Während die ukrainische Wirtschaft kriegsbedingt stark eingebrochen ist, kämpfen Georgien und Moldau im Handel mit Russland mit Exporteinbußen. Das German Economic Team schätzt, dass die landwirtschaftlichen Ausfuhren Moldaus wegen gestörter Lieferketten 2022 um 190 Millionen US-Dollar (US$) zurückgehen werden.

Weitere Herausforderungen entstehen durch sinkende Rücküberweisungen von Gastarbeitern aus Russland und extrem gestiegene Preise für Öl und Gas, welche die Inflation anheizen. Georgien profitierte lange maßgeblich von einer hohen Anzahl russischer Touristen. Im Jahr 2019 setzte Moskau nach politischen Spannungen mit Georgien die direkten Flugverbindungen in das südliche Nachbarland jedoch aus. Einen weiteren Schlag für die georgische Tourismusindustrie versetzt jetzt das Ausbleiben der Gäste aus der Ukraine.

Dass die wirtschaftliche Integration mit der EU schon in vollem Gange ist, zeigen die Außenhandelsdaten. Bei allen drei Ländern steht die EU mit Abstand an der Spitze der Handelspartner.

Außenhandel der EU mit der Ukraine, Georgien und Moldau im Jahr 2021

Land

Importe (in Mio. Euro)

Zunahme (im Vergleich zu 2020 in %)

Exporte (in Mio. Euro)

Zunahme (im Vergleich zu 2020 in %)

Ukraine

24.074

47,4

28.290

22,4

Georgien

812

6,4

2.037

28,3

Moldau

1.835

13,4

3.186

22,1

Quelle: Europäische Kommission

EU zeigt Interesse an alternativen Transportrouten und Nearshoring

Mit dem Ausbruch der Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine sorgten gleich zwei Großereignisse in der jüngsten Vergangenheit für massive Störungen bei den Lieferketten. In China stehen mehrere Containerhäfen unter Quarantäne. Darüber hinaus sorgt der Ukrainekrieg auf den Transportrouten von China nach Europa für große Unsicherheit. Das Vertrauen der Frachteigner und Versicherer in den nördlichen Korridor der neuen Seidenstraße nimmt rapide ab. Daher rückt der mittlere Korridor, der auch durch Georgien führt, zunehmend in den Fokus. Die Europäische Investitionsbank finanziert in Georgien bereits mehrere Infrastrukturprojekte.

Weiteres Kooperationspotenzial bietet das Nearshoring. Georgien und Moldau locken mit

  • geringen Betriebs- und Lohnkosten,
  • gutem Ausbildungsniveau (vor allem im IT-Bereich) sowie Fremdsprachkenntnissen,
  • geografischer Nähe zu weiteren Absatzmärkten,
  • günstigem Investitionsklima.

EU-Mitgliedschaft steht vor vielen Hürden

Das größte Hindernis auf dem Weg in die EU dürften die offenen Territorialkonflikte sein, die ein großes Eskalationspotenzial bergen. Abgesehen davon sehen Experten noch weitere Baustellen wie stockende Reformen und die anhaltende Korruption. Auch die volatile politische Situation wirft Fragen auf. Die Regierung Moldaus galt bis letztes Jahr als russlandfreundlich. Auch in Georgien werden Debatten über den Kurs des Landes geführt. So trägt Tiflis die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mit. Außerdem sorgte die Regierung 2021 für Schlagzeilen, als sie Ausschreitungen gegen sexuelle Minderheiten tolerierte.

Wenn die EU-Kommission eine Empfehlung ausspricht, erkennt der Rat der EU die drei Länder als Bewerberkandidaten an. Bis zum tatsächlichen Beginn der Beitrittsverhandlungen können jedoch noch Jahre vergehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn einzelne EU-Mitglieder ein Veto einlegen. Besteht Einigkeit, empfiehlt die EU-Kommission die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Dieser Prozess kann in wenigen Jahren abgeschlossen sein oder sich wie bei der Türkei jahrzehntelang verzögern. 

Welche Voraussetzungen müssen die Ukraine, Georgien und Moldau erfüllen?

Für einen Beitritt zur Europäischen Union haben die Staats- und Regierungschefs der EU 1993 bei ihrem Treffen in Kopenhagen drei Voraussetzungen formuliert. Diese sogenannten "Kopenhagener Kriterien" müssen alle Staaten erfüllen, die der EU beitreten wollen:  


  • Das "politische Kriterium": Institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten.
  • Das "wirtschaftliche Kriterium": Eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarktes standzuhalten.
  • Das "Acquis-Kriterium": Die Fähigkeit, sich die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele zu eigen zu machen, das heißt: Übernahme des gesamten gemeinschaftlichen Rechts.

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