Wirtschaftsumfeld | Ungarn | Investitionsförderung
Praxischeck
Investoren aus einigen wichtigen Zweigen, wie der Automobilindustrie, wird besondere Aufmerksamkeit zuteil. Einige Branchen sollen dagegen eher in ungarischer Hand bleiben.
25.05.2022
Von Waldemar Lichter | Budapest
Ungarn ist generell für ausländische Investoren offen, die Regierung begrüßt das Engagement ausländischer Unternehmen und die Ansiedlung ihrer Produktionswerke im Land. Kritiker sagen allerdings, dass es einige wenige Branchen gibt, in denen ausländische Investoren besonders willkommen sind und die deshalb bevorzugt behandelt werden.
Ausländische Investoren in der Automobilbranche besonders willkommen
Die große Offenheit gilt allen voran für die Automobil- und Automobilzulieferindustrie. Sie wird als prestigeträchtig angesehen. Die Regierung ist stolz darauf, dass sich dank ihrer Investitionsförderung namhafte Konzerne wie Audi, Mercedes, Suzuki oder nun auch BMW angesiedelt haben. Hinzukommen ferner mehr als ein Dutzend bedeutender Automobilzulieferer. Mit diesen Engagements ist Ungarn zu einem der Zentren der europäischen Automobilindustrie geworden.
Ausländische Autobauer, die im Land investieren möchten, werden besonders stark unterstützt. Zu den Instrumenten gehören sowohl staatliche Zuschüsse für den Aufbau neuer Werke als auch Unterstützung bei der Standort- und Fachkräftesuche oder beim Beschaffen notwendiger Genehmigungen. Bevorzugte Behandlung erfahren ferner Investoren aus der Elektronikindustrie. Auch die Ansiedlung von Shared Service Centers ist willkommen.
Ausgewählte Sektoren sieht man lieber in ungarischer Hand
Beschränkungen für das Engagement ausländischer Investoren in Ungarn gibt es nicht. Als Folge der Coronakrise wurde aber im Mai 2020 eine Anzeige- und Genehmigungspflicht für ausländische Investoren eingeführt, die sich an ungarischen Unternehmen beteiligen oder diese übernehmen möchten. Diese gilt allerdings nur für Investoren von außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Eine Genehmigung (durch das Ministerium für Innovation und Technologie) ist auch nur für Übernahmen/Investitionen in jenen Sektoren nötig, die unter die Kategorie sensibel fallen: Energie, Transport, Versorgung oder Verteidigung. Ziel der Maßnahme ist es, den Ausverkauf bedeutender, durch die Coronakrise möglicherweise "günstig" gewordener ungarischer Unternehmen und Vermögenswerte an ausländische Investoren zu verhindern.
Es gibt aber Sektoren und Industriezweige, die von der Regierung gerne mehrheitlich in ungarischem Eigentum gesehen werden würden. Bereits 2010 hat das damalige Kabinett um Ministerpräsident Viktor Orbán vier Sektoren genannt, in denen ungarisches Kapital dominieren sollte. Dazu gehörten die Energiewirtschaft, Banken, Medien und der Handel. Lediglich im Einzelhandelssektor wurde dieses Ziel bislang nicht erreicht. Im Februar 2021 nannte Orbán weitere Sektoren, in denen ungarisches Kapital seiner Ansicht nach dominieren sollte - die Informations- und Kommunikationstechnologie, die Baustoffindustrie und der Schienenfahrzeugbau.
Schwankende Wirtschaftspolitik, kompetente Ansiedlungsförderung
Als abträglich für das Investitionsklima empfinden in Ungarn tätige ausländische Unternehmen die schwankende Wirtschafts- und Finanzpolitik. Beklagt wird eine abnehmende Rechtssicherheit und die als selektiv wahrgenommene Behandlung von Investoren. Als besonders belastend bewerten ausländische Firmen Sondersteuern und Regelungen wie Ausfuhrverbote und -reglementierungen. Von diesen sind vor allem Branchen mit einem hohen Anteil ausländischer Investoren betroffen. Dazu gehören unter anderem der Finanzsektor, der Handel, der Telekommunikationssektor und seit 2021 auch die Baustoffindustrie.
Dessen ungeachtet genießt Ungarn bei ausländischen Investoren einen guten Ruf. Das Land hat sich mit vorteilhaften Bedingungen für Investitionen international gut positioniert. Neben der zentralen Lage in der Mitte Europas, der Mitgliedschaft in der Europäischen Union und einer leistungsfähigen Logistikinfrastruktur sprechen für Ungarn auch die im europäischen Vergleich günstigen Arbeitskosten. Trotz steigender Löhne bleibt das Land ein attraktiver Produktionsstandort.
Die Förderinstitutionen werden von Investoren als sehr gut bewertet. Ungarns Investitionsförderagentur HIPA erhielt wiederholt Bestnoten. In einigen Regionen, beispielsweise in Debrecen, wird die Förderarbeit der HIPA zusätzlich von den örtlichen Investitionsagenturen unterstützt.
Landeskenner beklagen andererseits den weit verbreiteten Nepotismus. Als Problem wird die häufig als wenig transparent empfundene Verbindung von Politik und Wirtschaft angesehen. Bei der Korruptionsbekämpfung seien in den vergangenen Jahren wenig Fortschritte gemacht worden, sagen Kritiker. Im Index der Korruptionswahrnehmung von Transparency International lag Ungarn 2021 auf Platz 73 von 180 bewerteten Ländern. Damit schneidet Ungarn schlechter ab als etwa Kroatien, Slowakei, Tschechien oder Polen.
Bei Rahmenbedingungen im Mittelfeld
Bei den Rahmenbedingungen für Geschäfte und Investitionen liegt Ungarn in Europa im Mittelfeld. Gemäß dem Ease of Doing Business Ranking der Weltbank für 2020 belegt das Land Rang 52 von 190 Ländern. Besser waren in der Region Polen, Tschechien, Slowakei und Slowenien. Gute Noten bekommt Ungarn unter anderem beim grenzüberschreitenden Handel und bei der Vertragssicherheit. Schlechter bewertet werden beispielsweise die Möglichkeiten für den Erhalt von Baugenehmigungen.
Stabil im Mittelfeld liegt Ungarn in den Bewertungen des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum; WEF) im Hinblick auf seine globale Wettbewerbsfähigkeit.
Kriterien | Ungarn | Deutschland |
---|---|---|
Gesamtrang | 47 | 7 |
1 Institutionen (Sicherheit, Transparenz, Recht) | 63 | 18 |
2 Infrastruktur | 27 | 8 |
3 Adaption von Informations- und Kommunikationstechnologien | 54 | 36 |
4 Makroökonomische Stabilität | 43 | 1 |
5 Gesundheit | 70 | 31 |
6 Bildung und Ausbildung | 49 | 5 |
7 Produktmärkte | 91 | 9 |
8 Arbeitsmarkt | 80 | 14 |
9 Finanzsystem | 66 | 25 |
10 Marktgröße | 48 | 5 |
11 Dynamik des Geschäftsumfeldes | 83 | 5 |
12 Innovationsfähigkeit | 41 | 1 |
In der regelmäßig stattfindenden Umfrage der Auslandshandelskammern (AHK) in Mittel- und Osteuropa lag Ungarn 2021 bezüglich der Standortqualität an zehnter Stelle unter zwanzig bewerteten Ländern. Unterdurchschnittlich schneidet das Land hier bei der Transparenz öffentlicher Ausschreibungen, der Korruptionsbekämpfung und der Verfügbarkeit von Fachkräften ab. Gute Noten gibt es laut AHK-Umfrage für das Steuersystem und die Steuerbelastung, die politische Stabilität, die Infrastruktur und die Flexibilität des Arbeitsrechts.