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Wirtschaftsumfeld | USA | Logistik
Die stark gestiegene Nachfrage, vor allem im E-Commerce, nach persönlichen Schutzausrüstungen und technischen Hilfsgütern hat in den USA zu gewaltigen Logistikproblemen geführt.
09.03.2021
Von Heiko Steinacher | San Francisco
Der Dominoeffekt entlang der Lieferketten schlägt voll auf die USA durch. An größeren Häfen Chinas müssen Ladungen oft mehrere Wochen lang „gerollt“ und dann umgebucht werden. In den US-Eingangshäfen liegen Schiffe dann mitunter bis zu acht Wochen, bevor sie entladen werden können. Besonders stark davon betroffen sind Großhäfen an der Westküste, wie Los Angeles und Long Beach, wo die Pandemie zahlreiche Hafenarbeiter außer Gefecht setzte. Der Schiffsrückstau dort verursacht inzwischen auch Verspätungen an anderen Seehäfen, wie Oakland.
Wenn es dann so weit ist, stehen womöglich gerade keine Containerchassis für den Weitertransport zur Verfügung. Denn durch den Platzmangel an den Terminals bleiben zahllose Container wochenlang auf den Chassis stehen. Bis Speditionen die Frachtbehälter dann an den Häfen abholen können, sind ihre Lager oft schon wieder voll. Verstärkt wird das Problem auch dadurch, dass der Großteil der schätzungsweise 500.000 Chassis in den USA von drei großen Leasingfirmen kontrolliert wird: DCLI, Flexi-Van und TRAC Intermodal. Im Gegensatz dazu haben Speditionen in Europa viel öfter eigene Fahrgestelle.
In umgekehrter Richtung ist auch für US-Exporteure die Situation schwieriger geworden. Sie können ebenfalls ihre Container nicht mehr wie geplant an die Häfen zurückbringen, weil die Schiffe erst mit großer Verspätung wieder beladen werden. Und neue Termine für die Rückgabe von Containern an den Häfen zu bekommen, ist schwierig. Als Alternative bleibt nur das Einlagern der Ware an den Häfen – sofern dort freie Kapazitäten bestehen –, was hohe Gebühren verursachen kann.
Bei einem Webinar der Huntington Bank über logistische Herausforderungen im Jahr 2021 kamen neben diesen noch weitere Missstände in der Transportbranche zur Sprache. Ein Einzelhandelsunternehmer sagte zum Beispiel, dass er seine Lagerhaltung jetzt 40 Wochen im Voraus plane. Ein anderer Teilnehmer hat beobachtet, dass viele US-Firmen ihre Lagerbestände generell im Verhältnis zum Umsatz deutlich erhöhen.
„Außerdem führen die Lieferkettenunterbrechungen im Zuge der COVID-19-Krise dazu, dass Unternehmen Teile ihrer weltweiten Produktion näher an die Endmärkte heranholen – in Niedriglohnländer wie zum Beispiel Mexiko“, meint Andy Arduini von der Huntington Bank. Ein Nearshoring ganzer Industriezweige ist zwar zumindest aus unternehmerischer Sicht unwahrscheinlich, doch spielen hier auch politische Bestrebungen eine Rolle. So ordnete US-Präsident Joe Biden im Februar 2021 per Präsidialverfügung eine hunderttägige Überprüfung an, die Lieferkettenengpässe in Schlüsselindustrien aufdecken soll. Dazu zählen Halbleiter, Batterien für Elektroautos, seltene Erden und Arzneimittel. Für betroffene Industrien könnten infolgedessen bald strengere regulatorische Maßnahmen gelten.
„Die Reedereien setzen zwar wieder mehr Containerschiffe ein, die sie zu Beginn der Coronakrise aus dem Markt herausgenommen haben“, bemerkte Merlin Dow von der US-Niederlassung des Logistikunternehmens Gebrüder Weiss in Des Plaines, Illinois. Die damals stark gestiegenen Frachtraten sind aber weiterhin hoch. Für Artikel im großflächigen Einzelhandel seien sie 2020 um 15 bis 20 Prozent gestiegen.
Zunächst drängten die Schifffahrtsunternehmen auf Zuschläge wie die sogenannte Peak Season Surcharge und die allgemeine Ratenerhöhung (General Rate Increase), für bestehende Jahresverträge. „Inzwischen werden solche Verträge erst gar nicht mehr verlängert“, meint Dow. Stattdessen konzentrieren sich die Reeder auf das Container-Spotgeschäft. Dazu kommen Kosten für Zusatzdienste: „Garantierte Stellplätze werden auf bestimmten Abfahrten nur noch bei Kauf zusätzlicher Services vergeben – vieler dieser Dienste gab es vor 2020 noch nicht oder zumindest waren sie nicht so teuer wie jetzt.“
Selbst wenn die Pandemie zurückgeht, dürfte die Frachtnachfrage weiter boomen. Zudem steigen die Gebühren für Serviceleistungen an Kühlcontainern, wie Kühlanschluss und Überwachung. Weitere Kosten können Kunden für Demurrage entstehen, also Liegegeld. Dow erwartet daher nicht, dass sich die Kostensituation so schnell wieder beruhigen wird, zumal es auf dem Markt zurzeit keine Konkurrenz gibt. Denn auch bei der Luftfracht zeichnet sich keine Entlastung ab: „Wir haben mit einigen Fluggesellschaften gesprochen – normalerweise nehmen diese wieder mehr Flüge auf, wenn die Nachfrage steigt.“ Stattdessen nehmen sie zurzeit aber wieder Flüge aus dem Programm heraus. „Wir erwarten daher, dass die Frachtpreise bei internationalen Cargoflügen bis Ende 2021 weiter anziehen werden.“
Auch die Lkw-Kapazitäten werden 2021 erst mal weiter begrenzt bleiben, meinten die Webinarteilnehmer. Viele Verlader erwarten, dass sie wegen des stark gestiegenen Frachtaufkommens mit den Spediteuren in diesem Jahr nochmal neue Ladetarife verhandeln müssen. Wegen der hohen Nachfrage nach Lkw-Ladungen dürften die Ladungsvolumina und -preise 2021 erneut steigen. Der Mangel an Fahrern, der sich bereits vor der Coronakrise abzeichnete, heizt das Problem noch an. Darüber hinaus zahlen viele US-Speditionen ihren Fahrern seit einigen Wochen höhere Löhne. Der Wettbewerb sei so stark, dass die Speditionen die höheren Kosten nicht eins zu eins an die Kunden weitergeben könnten. In den kommenden fünf bis sieben Jahren wird daher eine Konsolidierung im US-Markt für Lkw-Ladungen erwartet.
Ende Januar 2021 gab der US-Paketdienstleister UPS den Verkauf seiner Frachtsparte UPS Freight an das kanadische Transport- und Logistikunternehmen TFI International bekannt. Das auf den Transportsektor spezialisierte M&A-Beratungsunternehmen Tenney Group rechnet bereits in diesem Jahr mit rund einem Fünftel mehr Fusionen und Übernahmen in der Branche.