Mehr zu:
USAGroß- Einzelhandel / E-Commerce
Branchen
Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?
Branchen | USA | Handel
Viele US-Unternehmen erwarten eine Wiederbelebung des physischen Einzelhandels. Apps, Big Data und neue Lösungen für den kontaktlosen Einkauf werden immer wichtigere Begleiter.
01.04.2021
Von Heiko Steinacher | San Francisco
Der stationäre US-Einzelhandel hofft 2021 auf ein Comeback: Mit den fortschreitenden Impfungen werden sich Kunden wieder trauen, mehr Zeit in Geschäften und Einkaufszentren zu verbringen. Umfragen zeigen, dass viele Menschen sich neben Besuchen bei Familie und Freunden oder Urlaubsreisen auch nach der Möglichkeit sehnen, einkaufen zu gehen.
Dazu Laura Alber, die Geschäftsführerin von Williams-Sonoma: „Sobald die USA die Pandemie überstanden hat, wollen wir uns wieder auf den stationären Handel konzentrieren.“ Sein Minus beim stationären Umsatz 2020 von fast einem Viertel konnte der Multi-Channel-Fachhändler für Haushaltsprodukte durch 45 Prozent Wachstum im Onlinegeschäft teilweise wieder auffangen.
Die US-Warenhauskette Dollar General will 2021 gleich zwei neue Filialformate an den Start bringen: beide mit einer größeren Verkaufsfläche, um unter anderem mehr Kühl- und Gefrierschränke für Lebensmittel und Getränke unterzubringen. In Blair, Nebraska, errichtet Dollar General darüber hinaus ein Kombi-Verteilzentrum für Trocken- und Frischeprodukte, das 2022 in Betrieb gehen und mehr als 1.500 Filialen im Mittleren Westen versorgen soll.
Bild vergrößernDennoch werden viele Verbraucher weiterhin online einkaufen, nicht nur wegen des Infektionsrisikos, sondern schon aus Bequemlichkeit. Besonders stark war durch die Pandemie der Zulauf bei Lebensmitteln: Laut dem Marktforschungsunternehmen eMarketer ist der Online-Umsatz mit Lebensmitteln 2020 in den USA um 54 Prozent auf fast 100 Milliarden US-Dollar (US$) gestiegen.
Zudem zeigt eine Umfrage von McKinsey & Company, dass fast drei Viertel der US-Verbraucher, die 2020 eine andere Einkaufsmethode oder Marke ausprobiert haben, dies auch weiterhin tun wollen. Egal, ob es um die Zubereitung von Mahlzeiten zu Hause oder um weniger Pendelverkehr geht: „Dieses Verhalten wird größtenteils anhalten“, meint Walmart-Geschäftsführer Doug McMillon.
Allerdings dürfte das vielzitierte „New Normal“ auf mehr hybride Formen des Verkaufs hinauslaufen. Neue Technologien werden dabei zunehmend wichtiger, zum Beispiel um Curbside-Pickup-Dienste zu verbessern. Eine internationale Studie des Marktforschungsunternehmens Incisiv im Oktober 2020 ergab, dass die Abholung bestellter Waren am Straßenrand vor allem in den USA immer beliebter wird. Mit der mobilen Shopping-App des Einzelhändlers Target können Kunden vorher sogar festlegen, wo genau ihre Einkaufstaschen im Auto abgestellt werden sollen.
Große US-Einzelhandelsketten wie Albertsons, Kroger, Target und Walmart wandeln daher Ladenflächen in kleine, flexible Lager um, die als Versorgungszentren für die sogenannte letzte Meile dienen. Auch der E-Commerce-Riese Amazon investiert im ganzen Land in neue Logistikzentren und Lieferstationen, um die Zustellung zum Endkunden sicherstellen zu können. Zur Kommissionierung der online bestellten Waren setzen die Konzerne immer mehr Roboter ein. Allein Walmart will im nächsten Jahr rund 14 Milliarden US$ investieren, den Löwenanteil davon in den E-Commerce-Ausbau, neue Technologien, die Verbesserung der Lieferkette sowie Filialumbauten und Kundeninitiativen.
Wie wichtig die Logistik auf der letzten Meile geworden ist, zeigt auch folgendes Beispiel: Amazon bietet seinen Kunden die Möglichkeit, dass Boten die bestellten Pakete in der Garage oder in der Wohnung abstellen. Denn zum einen klagen viele US-Amerikaner über „Veranda-Piraten“, zum anderen dient das aber auch dem Schutz empfindlicher Waren vor Witterungseinflüssen. Der Zutritt erfolgt mithilfe eines einmal gültigen Codes, der von ausgewählten Schließsystemen unterstützt wird. Auch isolierte und temperaturgeregelte Verschlussbehälter stehen in den USA daher hoch im Kurs: Zusteller können sie bei der Lieferung per Scanner und die Kunden später per mobiler App öffnen.
Amazon versucht auf eigene Weise, die physische und digitale Welt bestmöglich miteinander zu vereinen und will dadurch zum Schwergewicht im Lebensmitteleinzelhandel werden. Nachdem der Onlineversandhändler 2017 Whole Foods Market (vor allem Bioprodukte) übernommen hatte, eröffnete er in Chicago, New York, San Francisco und Seattle kassenlose „Amazon Go“-Läden: Kunden müssen beim Betreten dieser Geschäfte lediglich einen QR-Code vom Smartphone scannen lassen, der Rest des Einkaufs erfolgt unter ständiger optischer und sensorischer KI-Kontrolle (Künstliche Intelligenz).
Gegen Ende 2020 hat der E-Commerce-Riese dann seinen Lieferdienst Amazon Fresh zur stationären Ladenkette ausgebaut. Die ersten dieser Lebensmittelläden wurden in Südkalifornien, New Jersey, Illinois und Pennsylvania eröffnet. Statt Smartphones ermöglichen hier Dash-Cart-Einkaufswägen das kassenlose Einkaufen. Zudem sollen „Ask Alexa“-Kioskterminals den Kunden Orientierung im Geschäft bieten.
Seit Mitte März 2021 freut sich der US-Einzelhandel noch über ein besonderes Geschenk: die im Rahmen des 1,9 Billionen US$ schweren Coronahilfspakets („American Rescue Plan“) beschlossenen Konsumschecks. Die dritte Runde an Direktzuschüssen für Millionen von US-Amerikaner ist die bislang größte. In den nächsten Wochen werden US-Bürger mit weniger als 75.000 US$ Jahresgehalt 1.400 US$ auf ihr Konto gebucht bekommen. Im April 2020 waren es 1.200 US$, im Januar 2021 dann noch einmal 600 US$. Neben Direktzahlungen für Steuerzahler gewährt der Bund zusätzliche Hilfen für Familien und bis zum Herbst ein erhöhtes Arbeitslosengeld.
Ein Teil der Schecks wird direkt in den Konsum fließen und dem US-Einzelhandel zugutekommen. Gut zwei Wochen vor Verabschiedung des Hilfspakets sagte der Branchenverband NRF für die USA einen 6,5- bis 8,2-prozentigen Anstieg der Einzelhandelsumsätze in dem Jahr auf gut 4,3 Billionen US$ voraus. Seither kursieren sogar Wachstumsprognosen im niedrigen zweistelligen Bereich.
Bild vergrößern