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Neue Technologien leisten große Dienste bei der Waldbrandbekämpfung und der Ersthilfe in Überschwemmungsgebieten. Der Klimawandel dürfte das Unwetterrisiko langfristig erhöhen.
30.10.2020
Von Heiko Steinacher | San Francisco
2020 wird das fünfte Jahr in Folge, in dem Wetter- und Klimakatastrophen in den USA Schäden im Wert von über 50 Milliarden US-Dollar (US$) verursachen. Dominierten vor ein paar Jahren Hochwasser und Schlammlawinen die Katastrophenmeldungen, sind es seither vor allem Schäden durch Wirbelstürme und Waldbrände. Letztere entstehen vorwiegend in Kalifornien, in diesem Jahr aber entlang der gesamten US-Westküste.
Zeitraum | Ereignisse (Anzahl) | Ereignisse pro Jahr (im Schnitt, Anzahl) | Kosten (Mrd. US$) 2) | Kosten pro Jahr (im Schnitt, Mrd. US$) 2) |
2000 bis 2009 | 62 | 6,2 | 518,1 | 51,8 |
2010 bis 2019 | 119 | 11,9 | 810,3 | 81,0 |
2015 bis 2019 | 69 | 13,8 | 536,3 | 107,3 |
2017 bis 2019 | 44 | 14,7 | 460,8 | 153,6 |
Um die Menschen davor zu schützen, bedarf es eines ganzen Ökosystems an Maßnahmen sowie enormer Investitionen. Dazu zählt eine bessere Überwachung von Stromleitungen, zum Beispiel um bei drohendem Unwetter Stromnetze rechtzeitig abschalten zu können. Dafür werden Drohnen und Webcams eingesetzt. Um die Reaktionszeit zu verkürzen, setzen Versorgungsunternehmen auch Technologien ein, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basieren und frühzeitig über mögliche Gefährdungen Aufschluss geben können.
Drohnen liefern Live-Bilder von Waldbränden, die wegen der schlechten Sicht aber oft wenig brauchbar sind. Um wichtige Details erkennen zu können, müssen sie in Echtzeit verbessert werden. Es gibt bereits KI-Algorithmen, die Überwachungsvideos durchkämmen und die Kartierungsdauer, die sonst rund sechs Stunden dauert, auf wenige Minuten reduzieren: Solche Technologien testet gerade das US-Verteidigungsministerium, das zur Überwachung der Waldbrände große Militärdrohnen einsetzt.
Darüber hinaus helfen KI-Modellierungstools der Feuerwehr einzuschätzen, in welche Richtung sich Feuerfronten ausbreiten. In einem gemeinsamen Projekt haben die National Science Foundation und das San Diego Supercomputer Center eine Internetplattform namens „Firemap“ entwickelt, die Waldbrandverläufe in Echtzeit simulieren und visualisieren kann. Diese nutzen neben der Feuerwehr von Los Angeles inzwischen über 100 lokale Rettungsdienste.
Das kalifornische Amt für Forstwesen und Brandschutz (Cal Fire) führt das KI-basierte Tool Wildfire Analyst von Technosylva ein, einem Start-up aus La Jolla im Süden des Bundesstaats. Es analysiert zahlreiche Daten und setzt maschinelles Lernen ein, das Neuausbrüche mit früherem Brandverhalten vergleicht. Laut Technosylva nutzen noch weitere Feuerwehrbehörden die Produkte des Unternehmens. Für bundesstaatliche und kommunale Projekte zur Verringerung der Waldbrandgefahr hat Cal Fire in diesem Jahr Zuschüsse in Höhe von 43,5 Millionen US$ vergeben.
Die Katastrophenschutzbehörde FEMA (Federal Emergency Management Agency) ermuntert die US-Bundesstaaten, im Rahmen der Brandbekämpfung verstärkt Virtual-Reality-Technologien (VR) einzusetzen. Im Oktober 2019 schloss sich die Feuerwehr einer Gemeinde südöstlich von Sacramento, Kalifornien, mit den VR-Entwicklern RiVR und Pico Interactive zusammen, um ein eigenes Ausbildungssystem für neue Rekruten zu entwickeln. Das Projekt war erfolgreich, sodass die Feuerwehr auch weiterhin VR für ihr Schulungsprogramm einsetzt. Immer mehr Feuerwehren und Rettungskräfte im ganzen Land folgen dem Beispiel, um das Verhalten in Fällen zu üben, die sich entweder nur mit hohen Kosten oder überhaupt nicht in der realen Welt nachstellen lassen.
Im laufenden Jahr verwüsteten schwere Gewitter mit Tornados, Sturzfluten und Hagel ganze Landstriche, besonders an der US-Golfküste. Seit Mitte Oktober ermutigt die FEMA Gemeinden dazu, naturnahe Strukturen wie Feuchtgebiete und künstliche Riffe für den Hochwasserschutz anzulegen, anstatt Dämme und Deiche zu bauen.
Wie wichtig diese Aufgabe für viele, besonders südliche Bundesstaaten, ist, zeigen Untersuchungen von Forschern der gemeinnützigen First Street Foundation: Sie kamen gegen Jahresmitte zu dem Ergebnis, dass in den USA etwa 14,6 Millionen Immobilien von Hochwasser bedroht sind – also deutlich mehr als die 8,7 Millionen, die die FEMA als erheblich risikobehaftet einstuft. Und Experten sagen, dass der Klimawandel das Starkgewitterrisiko in Nordamerika langfristig sogar noch erhöhen dürfte.
In New York City könnte der Meeresspiegel in diesem Jahrhundert um mehr als zwei Meter ansteigen. Daher will die Stadt 30 Millionen US$ in Resilienztechnologien investieren, darunter auch in Hochwasserbarrieren. In Florida werden zum Beispiel sogenannte Riffbälle eingesetzt, um die Küste vor Wellenschlag zu schützen: Das sind Hohlkugeln aus Beton mit zahlreichen Öffnungen, in denen Meeresorganismen Unterschlupf finden und aus denen sich mit der Zeit neue Unterwasserlebensräume bilden können.
Houston, Texas, will bis 2030 rund 4,6 Millionen Bäume pflanzen – einheimische Arten, die besonders viel Kohlenstoff absorbieren und die Böden stärken, damit diese in der Lage sind, mehr Wasser aufzunehmen. Im Oktober hat Texas die Plattform „Patient Unified Lookup System for Emergencies“ (PULSE) eingerichtet, die dem Austausch von Gesundheitsdaten in Notfällen und bei Katastrophen dient.
In Louisiana soll Wasser aus dem Mississippi umgeleitet und dadurch neue Feuchtgebiete geschaffen werden. North Carolina will fortan stärker mit dem Privatsektor kooperieren, um Hochwasserschutzprojekte schneller und effektiver voranzubringen. Die Stadt Mount Pleasant in South Carolina hat nach den jüngsten Überschwemmungen die Mindesthöhe für neue Gebäude verdoppelt; Fundamente älterer, stark beschädigter Häuser sind eventuell erst anzuheben, bevor sie repariert werden können. Im Mittleren Westen setzen die Landwirte zunehmend innovative Techniken ein, um den Oberflächenabfluss und die Erosion zu begrenzen und Nutzpflanzen dadurch besser gegen Klima- und Umweltstress zu schützen.