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Branchen | Vereinigtes Königreich | Medizintechnik

Staatliche Investitionen treiben britischen Medizintechnikmarkt

Die britische Regierung fördert den Gesundheitsmarkt durch breite Investitionsprogramme. Der noch unbekannte Medizintechnikstandard sorgt hingegen für Unsicherheiten beim Handel.

Von Marc Lehnfeld | London

Der britische Medizintechnikmarkt wächst. Nach Schätzung von Fitch Solutions soll das Marktvolumen 2022 nominal um 5,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf rund 11,5 Milliarden Pfund Sterling zulegen. Auf Euro-Basis entspricht dies aufgrund des günstigen Wechselkurses einem Anstieg um etwa 8,6 Prozent auf 13,6 Milliarden Euro. Absatzchancen bieten nicht nur das öffentliche Gesundheitssystem, sondern auch die privaten Krankenhäuser im Land.

Britischer Medizintechnikmarkt nach Produktgruppen 2022 (Prognose; Angaben in Millionen Euro, nominale Veränderung in Prozent)

Produktgruppe

2022

Veränderung 2022 gegenüber 2021 auf Euro-Basis

Veränderung 2022 gegenüber 2021 auf Pfund-Basis

Verbrauchsgüter

         2.980,9

7,1

4,2

Bildgebende Diagnostik

         2.311,6

8,7

5,8

Zahnmedizinische Produkte

             906,3

9,2

6,2

Orthopädische Produkte und Prothesen

         1.949,4

15,6

12,4

Hilfsmittel

         2.238,2

4,4

1,6

Sonstige Medizintechnik

         3.236,3

8,9

5,9

Gesamtmarktvolumen 2022: 13,6 Milliarden Euro; Prognose von Fitch Solutions vom 2. Quartal 2022; Originalangaben in britischen Pfund, Umrechnung nach quartalsdurchschnittlichem Kurs der Bundesbank für das 2. Quartal 2022: 1 Euro = 0,83641 Pfund SterlingQuelle: Fitch Solutions 2022; Berechnungen von Germany Trade & Invest 2022

Kurs der neuen Regierung bei NHS-Investitionen noch unklar

Wie sich die Neuaufstellung der Regierung von Premierminister Rishi Sunak auf die Investitionen des NHS (National Health Service) auswirken wird, ist noch unklar. Der neue Gesundheitsminister Steve Barclay definierte bereits in seiner vorherigen Amtszeit im Sommer 2022 sein Ziel, die langen Wartelisten für britische Patienten zu verkürzen. Diesen bekannten Engpass des Gesundheitssystems möchte er durch verstärkte Digitalisierung beheben.

Denn nicht erst die Coronaviruspandemie hat Milliardeninvestitionen in einen darbenden Markt getrieben. Schon vor dem Brexit und der Coronakrise kündigte der damalige britische Premierminister Boris Johnson ein Investitionsprogramm an, um die Kapazitätslücken im öffentlichen Gesundheitssystem zu schließen. Demnach sollen bis 2030 umgerechnet etwa 4,4 Milliarden Euro in den Bau von 40 neuen Krankenhäusern fließen. Das Programm galt jedoch bereits früh als unterfinanziert, denn das Gesamtvolumen der Investitionen beziffert der NHS auf rund 48 Milliarden Euro. Medienberichte legten zudem offen, dass nicht alle Krankenhäuser neu gebaut werden sollen, sondern teilweise als Erweiterungen geplant sind. Diese werden den Zeitplan voraussichtlich nicht einhalten. Eine Anpassung des Programms erscheint unter dem neuen Minister also realistisch. 

Unklar ist auch, ob das etwa 300 Milliarden Euro schwere Beschaffungsprogramm für diagnostische Geräte weiterverfolgt wird. Auf der Onlineplattform des britischen Gesundheitsministeriums werden alle Projekte zur Verbesserung des öffentlichen Gesundheitssystems vorgestellt. Weil der Investitionsbedarf insgesamt aber hoch bleibt, sind die Absatzchancen für deutsche Hersteller von Medizintechnik weiterhin sehr gut.

NHS größter Beschaffer für Medizintechnik

Im britischen Medizintechnikmarkt ist der NHS der größte Abnehmer. Mit rund 1,2 Millionen Beschäftigten und 219 Regionalorganisationen allein im Landesteil England ist das System sehr groß und komplex aufgebaut. Wer also an den NHS verkaufen möchte, benötigt viel Geduld, ein gutes Netzwerk und eine klare Vertriebsstrategie. 

Auch im Bereich der Digitalisierung des Marktes bestehen Geschäftschancen, da bereits ein umfangreiches E-Health-System etabliert ist. Bereits 22 Millionen Briten nutzen die NHS App als Zugang zu Gesundheitsinformationen oder vereinbaren darüber Termine mit ihrem Hausarzt. Während der Coronakrise und dem effizient organisierten britischen Impfprogramm hat sich dieses System bewiesen.

Lange Wartelisten treiben Patienten in privaten Gesundheitsmarkt

Die Coronakrise hat einmal mehr die Kapazitätsengpässe des NHS offengelegt. Mittlerweile warten rund 7 Millionen britische Patienten auf einen Termin, davon knapp 2,8 Millionen seit eineinhalb Jahren. Neben dem laufenden Investitionsprogramm für Krankenhäuser soll zusätzlich eine umfangreiche Strategie die Wartedauer für Termine verkürzen. 

Da die Umsetzung allerdings noch mehrere Jahre dauern wird, profitieren bis dahin kommerzielle Gesundheitsanbieter von Privatpatienten und Outsourcing des NHS. So gab zum Beispiel der Marktführer unter den Privaten, die Klinikkette Circle Health Group im Januar 2022 bekannt, neue Verträge zur Entlastung des NHS geschlossen zu haben. Insgesamt sieht der Branchenverband Independent Healthcare Providers Network (IHPN) aber noch Ausbaupotenzial bei der Übernahme von NHS-Dienstleistungen.

Im medizintechnischen Vertrieb sind private Krankenhäuser eine attraktive Alternative zum komplexen NHS, denn die Beschaffungsstrukturen sind deutlich schlanker organisiert.

Neuer Regulierungspfad post-Brexit verzögert sich

Beim Verkauf medizintechnischer Güter im Vereinigten Königreich müssen deutsche Exporteure die regulatorischen Veränderungen post-Brexit beachten. Die britische Regierung befindet sich noch auf dem Weg zu einem neuen Medizintechnikstandard, der entlang des Cumberlege Review und infolge der öffentlichen Anhörung etwas strikter ausfallen könnte als die europäische Regulierung. 

Die zuständige medizinische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel MHRA (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency) hat angekündigt, die Anerkennung von medizintechnischen Gütern mit CE-Kennzeichen um ein Jahr bis Juli 2024 zu verlängern. Im Frühjahr 2023 soll die Fristverschiebung auch rechtlich verankert werden. Damit gewinnen ausländische Medizintechnikhersteller Zeit, um sich auf den neuen britischen Regulierungskatalog einzustellen und ihre Produkte zu zertifizieren.

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