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Äthiopiens Textilindustrie wartet auf bessere Zeiten
Corona und die Konflikte im Land bremsen Äthiopiens Textil- und Bekleidungsindustrie. Der Maschinenmarkt hat sich 2020 halbiert.
21.06.2021
Von Ulrich Binkert | Bonn
Auf dem angestrebten Weg zum zweiten Bangladesch ist Äthiopien in eine Flaute geraten. Die Bekleidungsexporte, die bereits in wenigen Jahren erklärtermaßen 30 Milliarden US-Dollar (US$) erreichen sollen, sind zuletzt sogar zurückgegangen. Mit Ausfuhren von 135 Millionen US$ bleibt das Land vorerst selbst im afrikanischen Kontext ein sehr kleiner Player: Die Enklave Lesotho exportierte 2019 mehr als doppelt so viel Bekleidung wie Äthiopien.
Dabei hatten in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Bekleidungsfabriken meist asiatischer Investoren den Betrieb aufgenommen. Die Industrieparks des Landes, die ganz überwiegend Bekleidung exportieren, vermeldeten für die neun Monate von Juli 2020 bis März 2021 Ausfuhren von insgesamt 129 Millionen US$, hochgerechnet 4 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Mit Abstand wichtigster Exportmarkt sind inzwischen die USA, bei allerdings unklarer Datenlage.
Bild vergrößernBetriebe laufen reduziert weiter
Im zweiten Coronajahr führen die meisten Hersteller ihren Betrieb zwar fort, heißt es unisono aus der Branche, allerdings mit geringerer Auslastung. Völlig geschlossen haben derzeit nur wenige Schwergewichte der Branche, sagt ein Technikvertreter. Mit Bezug auf die größten Branchenunternehmen 2019 nennt er die äthiopische Almeda und Maa Garment sowie die indische Firma KPR in Mekelle; außerdem die schon länger geschlossenen, ehemals türkischen Hersteller Ayka und Salendawa.
Im größten Industriepark Äthiopiens, Hawassa, führen den Angaben zufolge alle 22 Unternehmen den Betrieb weiter. Insgesamt arbeiteten dort wieder 28.000 Menschen und damit annähernd so viele wie vor der Pandemie. Die internationalen Modeeinkäufer halten nach Branchenangaben die Stellung in Äthiopien - Firmen wie H&M hätten ihre Teams allerdings reduziert.
Investitionen schwächeln
Entsprechend war bei den Investitionen der Branche „in den letzten zwei Jahren keine Dynamik festzustellen“, bemerkt ein ausländischer Bekleidungseinkäufer. Er sieht auch aktuell keine wesentlichen Aufwendungen für die Textilherstellung, die er vor zwei Jahren noch für die nahe Zukunft prognostiziert hatte. Der Fokus der ausländischen Investoren liegt bisher auf der Herstellung von Bekleidung, wofür sie die Stoffe fast vollständig importieren.
Nachrichten über neue Projekte gibt es wenige und sind vage, vielmehr wurden Vorhaben auf Eis gelegt oder bestehende Pläne ganz gestoppt. Auch chinesische Firmen, die zu den größten ausländischen Investoren der Branche gehören, treiben nach Kenntnis eines leitenden chinesischen Managers in Hawassa kaum Vorhaben in Äthiopien voran.
Informationen zu ausgewählten Investitionen und Firmen der Textil- und Bekleidungsindustrie in Äthiopien
Unternehmen, Ort | Informationen |
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Shanghai Textile Group, Addis Abeba | Industrieparkbehörde IPDC (Januar 2020): Investition von 65 Mio. US$ mit zukünftig 4.000 Beschäftigten geplant im Industriepark Bole Lemi II. |
Nasa Garment, Hawassa | 2019 gegründeter äthiopischer Bekleidungshersteller; laut Presse 340 Beschäftigte im Industriepark Hawassa (April 2020), deren Zahl auf 2.500 steigen soll, Planung über 11 Mio. US$ für eine Textilproduktion (Denim) im Industriepark Bole Lemi; Firma gab auf Anfrage keine Details; laut Branchenbeobachter ist Bole-Lemi-Projekt noch nicht gestartet. |
Abay Garment Factory, Gondar | Presse Ende April 2021: 2019 gestartete Bekleidungsfabrik (T-Shirts, Unterhosen etc. aus Baumwolle) mit derzeit 800 und geplant über 3.000 Beschäftigten, Aufbau einer Produktion von Textilien vorgesehen, wegen Corona werden Produkte derzeit nur im Inland statt im Ausland verkauft, auch Herstellung von Masken; laut Beobachter war im Juni 2021 eine Anlage zur Abwasserbehandlung gebaut. |
Hop Lun Apparel, Bahir Dar | Bekleidungsfabrik (Unterwäsche) mit geplant acht Gebäuden; laut Presse (September 2019): 6.000 Beschäftigte anvisiert, Unternehmen soll zudem 50 Mio. US$ in den bestehenden Bahir Dar Industrial Park investieren; laut Industrieparkbehörde IPDC (März 2021): Hop Lun fährt Produktion hoch mit momentan 600 Beschäftigten. |
JP Textile, Hawassa | Für den Aufbau einer Färberei werden im Juli 2021 erste Ausrüstungen aus China zu Tests erwartet; der geplante Ausbau der Weberei liegt auf Eis, momentan sind 168 Webmaschinen installiert; derzeit rund 630 Beschäftigte und damit etwa gleich viel wie vor zwei Jahren; eingesetztes Garn kommt vor allem aus Indien. |
Neuer Bekleidungs-Industriepark, Hawassa | Presse (Februar 2021): soll einmal 30.000 Beschäftigte haben und damit fast so viele wie der bestehende Industriepark Hawassa, Bau im September 2020 von chinesischer Firma Sinoma begonnen; laut Beobachtern in Hawassa derzeit jedoch noch keine Fabrikgebäude errichtet. |
Raymond, Hawassa | Vereinbarte laut Presse Anfang 2020 den Bau einer Bekleidungsfabrik, produziert bereits Anzüge in Hawassa mit gut 2.000 Beschäftigten (2019); das Äthiopiengeschäft der indischen Firma machte 2020 rund 2,8 Mio. US$ Verlust, ist laut Ratingbericht vom April 2021 aber inzwischen profitabel. |
Desta Garment, Addis Abeba | Brancheninformation von Ende 2020: Unternehmen will weiterhin eigene Strickerei aufbauen. |
Wuxi No. 1 Cotton, Dire Dawa | Brancheninformationen: keine Ausbaupläne bekannt; Produktion von hochwertigem Garn vorwiegend für den Export nach Italien, aus importierter Baumwolle. |
Indochine Apparel, Hawassa | Laut mehreren Branchenvertretern: Geschäft läuft relativ gut, Firma investierte auch während der Pandemie und bildete Mitarbeiter weiter, hat heute etwa 15% mehr Beschäftigte als vor Corona. |
Offensichtlicher Grund für die Flaute in der Branche ist Corona. So stornierte etwa Children´s Place nach Ausbruch der Pandemie Bestellungen auch in Äthiopien. Der US-Retailer gilt derzeit als größter ausländischer Bekleidungseinkäufer im Land, für den nach Presseberichten 2020 rund 15.000 Menschen in mindestens sieben äthiopischen Fabriken arbeiteten.
Corona, Konflikte und Baumwollmangel bremsen
Das zweite große Problem, das jeder Befragte in der Branche nennt, ist die gewachsene politische Unsicherheit im Land. So zog der bewaffnete Konflikt um die Nordregion Tigray, der Ende 2020 begann, sehr konkret den großen Textilindustriepark in der regionalen Hauptstadt Mekelle in Mitleidenschaft. Fotos im Internet verweisen auf Verwüstungen der dort angesiedelten Firma Almeda, die mit gut 5.000 Mitarbeitern eines der größten Branchenunternehmen im Land war.
IKEA schloss sein Beschaffungsbüro in Äthiopien im September 2020 schon nach kurzer Zeit wieder und begründete dies auch mit der politischen und sozialen Lage im Land, wie Reuters berichtet. „Internationale Bekleidungseinkäufer werden seit anderthalb Jahren vorsichtiger“, meint aktuell der Vertreter einer ausländischen Kette mit Verweis auf die Konflikte. Nun blickten die Einkäufer auch auf die Parlamentswahlen, ohne allerdings rasch klarere politische Weichenstellungen zu erwarten.
Problem Nummer drei sind derzeit die Knappheit und der hohe Preis von Baumwolle. Die Bahir Dar Textile Factory als mit Abstand größter Verbraucher könne wegen des mangelnden Nachschubs ihre Kapazität nur halb auslasten, schrieb Addis Fortune im März 2021. Die Adama Spinning Factory habe deshalb schon im Oktober 2020 den Betrieb zeitweise eingestellt. Die einheimische Landwirtschaft litt unter Überflutungen im September letzten Jahres, und für Importe fehlen Devisen.
Für die Hersteller von Exportbekleidung mit ihren Vorprodukten aus dem Ausland dürfte der Faktor Baumwolle weniger stark wiegen. Sie verarbeiten oft Synthetik- oder Mischgewebe. Äthiopiens Textilindustrie importiert dem Bericht zufolge wegen der Ernteausfälle zur Zeit etwa 40 Prozent ihres Jahresbedarfs von 55.000 Tonnen Baumwolle. Die Erzeugung des Landes betrug im letzten Fiskaljahr (bis Juni 2020) Presseberichten zufolge 76.000 Tonnen.
Deutsche Maschinenanbieter verkaufen nur sehr wenig
Die Stimmung bei Techniklieferanten ist vor diesem Hintergrund gedämpft. Dies gilt gerade auch für deutsche Anbieter. Deren Exportumsätze mit Textil- und Bekleidungsmaschinen für Äthiopien erreichten 2020 laut Eurostat keine halbe Million Euro mehr. Italien als größter europäischer Lieferant schaffte knapp 3 Millionen Euro. Um die 80 Prozent aller Lieferungen kommen inzwischen aus China, so die – auch hier deutlich abweichenden – Daten des International Trade Centre (ITC). Insgesamt importierte Äthiopien laut ITC 2020 Textil- und Bekleidungsmaschinen für rund 90 Millionen US$, womit sich der Markt gegenüber dem Vorjahr halbierte.
„Äthiopien wird 2021 kein Reiseziel für mich sein“, bringt es der regionale Verkaufsmanager eines deutschen Technikanbieters auf den Punkt. Solche Reisen sind aber „absolut notwendig, wenn man dort etwas erreichen will“, sagt ein anderer. Informationen, selbst wenn er mehr hätte, würde er übrigens nur sparsam teilen: „Man ist gottfroh, wenn man da mal einen Kunden hat. Da muss man die (chinesische) Konkurrenz nicht noch drauf stoßen.“
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