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China setzt auf alternative Antriebe und Mobilitätskonzepte, um die wirtschafts- und klimapolitischen Ziele des Landes zu erreichen. Was bedeutet dies für deutsche Autobauer?
29.10.2020
Von Corinne Abele | Shanghai
Höher hätte Präsident Xi Jinping auf der Versammlung der Vereinten Nationen im September 2020 die Messlatte nicht legen können: Bis 2060 soll China klimaneutral werden. Wenn überhaupt, ist das Ziel nur zu erreichen, wenn der Anteil erneuerbarer Energieträger an der Stromerzeugung signifikant steigt und wenn China mehr Energie einspart und sie effizienter nutzt. Dabei spielt auch die Treibstoffreduzierung im Transportsektor und damit Elektromobilität eine wesentliche Rolle. Durch letztere erhofft sich China auch, die Dominanz der Industrieländer beim Verbrennungsmotor zu durchbrechen.
Zwar sind Fahrzeuge mit alternativem Elektroantrieb (in China NEV genannt – New Electric Vehicle) trotz hoher Subventionen nach wie vor deutlich teurer als Pkw mit Benzinmotoren, stellen aber angesichts steigender Zulassungsverbote von Verbrennern häufig die einzige Alternative dar. Allein sechs Städte – alle zulassungsbeschränkt – vereinigten fast die Hälfte der Versicherungsanmeldungen von E-Fahrzeugen im 1. Halbjahr 2020 auf sich.
In den Großstädten der Ostküste wird die Ladeinfrastruktur stark ausgebaut. Im April 2020 gab es gemäß Future Think Tank landesweit knapp 1,3 Millionen Ladesäulen, davon 42,5 Prozent im öffentlichen Bereich. Durchschnittlich seien seit Mai 2019 pro Monat etwa 13.000 neue Ladesäulen installiert worden. Anbieter wie Tesla oder BMW setzen dabei auf eigene Ladeinfrastruktur – direkt beim Kunden und im öffentlichen Raum. BMW plant bis Ende 2020, rund 270.000 Ladesäulen zu errichten.
Für die Autoindustrie in China führt am reinen Batterieelektroauto oder seinen Hybridversionen kein Weg mehr vorbei. Dafür hat die Regierung spätestens mit Einführung der Elektroautoquote gesorgt. Autobauer, welche die durch die E-Quote vorgeschriebenen Kreditpunkte nicht schaffen, sollen künftig Punkte von solchen NEV-Produzenten erwerben können, die die Quote deutlich überschreiten – etwa BYD, NIO oder Tesla. Zudem muss jeder Hersteller bis 2020 einen durchschnittlichen Flottenverbrauch von 5 Liter Benzin pro 100 Kilometer realisieren, sonst drohen Strafen. Prinzipiell möchte der Staat einen Wandel vollziehen von teuren Subventionen zu einem System, in dem die Autobranche die Kosten für den technologischen Umbau selbst stemmt.
Die bisherigen Branchenprimi der konventionellen Antriebstechnik müssen nachziehen. Daimler, BMW, Porsche und Audi dominieren das Luxussegment und verzeichnen trotz Coronakrise inzwischen steigende Absätze. Doch wollen sie diese Stellung behalten, müssen sie zumindest in China die gesamte Palette von batteriebetriebenen Elektroautos, Plug-in-Hybridfahrzeugen und nun auch Brennstoffzellenautos anbieten. Zudem erfährt auch die Wasserstoffwirtschaft in jüngster Zeit Förderung. So verkündete Volkswagen auf der Auto Show im September 2020 in Beijing, gemeinsam mit seinen drei Joint Venture-Partnern in China rund 15 Milliarden Euro in E-Mobilität zu investieren.
Joint Ventures, obwohl sie nicht mehr vorgeschrieben sind, spielen für deutsche Autofirmen in China eine wichtige Rolle. Audi ist laut der Automobilwoche derzeit in Gesprächen mit FAW zur Gründung eines neuen NEV-Joint Venture. Anfang 2020 gründete Daimler das global ausgerichtete Joint Venture smart Automobile Co. Ltd. mit seinem Anteilseigner Geely.
BMW wird mit Great Wall Motors in Zhangjiagang künftig im Joint Venture Spotlight Automotive den eMini produzieren – zunächst für China und dann wohl für die Welt. Noch 2020 soll der im Verbund mit Brilliance in Shenyang produzierte BMW iX3 exportiert werden. Als einziges NEV-Modell deutscher Autobauer schaffte es im 1. Halbjahr 2020 der BMW 5er Plug-in-Hybrid unter die zehn meist verkauften NEV-Modelle in China. Tesla dominiert, alle anderen Plätze gingen an chinesische Hersteller.
Trotz starker inländischer Batterieproduktion hat die NEV-Wertschöpfungskette in China Schwachstellen. So werden nach wie vor IGBT-Chips und andere Spezialkomponenten von ausländischen Firmen vor Ort produziert oder importiert. Das im Juni 2020 gegründete Joint Venture für Forschung und Entwicklung bei Autokomponenten der staatlich kontrollierten Kfz-Hersteller FAW, Dongfeng Motor und Changan Automobile stößt in diese Lücke.
Gute Autos zu bauen, dürfte künftig jedoch nicht mehr für einen Spitzenplatz in der Branche ausreichen. Neue Mobilitätskonzepte entwickeln sich rasant - vom Fahrzeugbesitz hin zur mobilen Dienstleistung. Dabei sind die internationalen Hersteller auf Kooperation mit den lokalen Tech-Giganten angewiesen, dazu zählen Tencent, Huawei, Baidu mit seiner offenen Plattform Apollo, Alibaba, aber auch deren Neugründungen wie das Joint Venture Banma zwischen Alibaba und SAIC, welches vernetzte Fahrzeuglösungen (Internet of Vehicles – IoV) anbietet. Auch bei hochauflösendem Kartenmaterial ist die Zusammenarbeit mit den fünf entsprechend lizensierten chinesischen Firmen unabdingbar.
Übers Land verteilt laufen Projekte für autonomes Fahren. Diese sind aufgrund von Sicherheitsaspekten nach wie vor bemannt. Seit über einem Jahr sind die selbstfahrenden Taxis von Apollo Go in Changsha und seit September 2020 auch auf 700 Kilometer in den Beijinger Bezirken Yizhuang, Haidian und Shunyi unterwegs. Außerdem können Kunden seit Juni 2020 in Shanghais Stadtbezirk Jiading auf einem 53,6 Kilometer langen Straßennetz Robotaxis von DiDi Chuxing per App bestellen. Auch internationale Autobauer starten Pilotprojekte. So fahren bereits zehn autonom fahrende Audi-e-tron-Fahrzeuge in Hefei auf einem 80 Kilometer langen Straßennetz.
Erst die Kombination aus mehr erneuerbarer Energie, Elektromobilität und Mobilitätsplattformen wird den CO2-Fußabdruck des Autoverkehrs in den Großstädten deutlich verringern. Gemäß dem 2019 erschienenen Blaubuch der Automobilindustrie in China könnte der Pkw-Absatz durch Shared Mobility-Lösungen bereits 2030 um 13 bis 20 Prozent geringer ausfallen.