Mehr zu:
FrankreichGesundheitswesen / Hochbau
Branchen
Branchenbericht Frankreich Gesundheitswesen
Das Hilfspaket für den Gesundheitssektor nimmt Gestalt an. Der Staat stellt 19 Milliarden Euro zur Verfügung. Über den Einsatz der Gelder soll vermehrt lokal entschieden werden.
24.03.2021
Von Peter Buerstedde | Paris
Als im Elsass im März 2020 die Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen stießen und Patienten ins Ausland und in andere Regionen transportiert werden mussten, hat Präsident Emmanuel Macron in Mülhausen ein Feldlazarett für Covid-Patienten besucht. Dabei kündigte er einen massiven Investitionsplan und höhere Löhne im Gesundheitssektor an. In der anschließenden Konsultationsphase für den Investitionsplan fiel der Befund zum Zustand der öffentlichen Krankenhäuser, die etwa 62 Prozent des Bettenbestands in Frankreich ausmachen, sehr kritisch aus.
Demnach haben Sparauflagen und eine hohe Verschuldung die Investitionsmöglichkeiten der Krankenhäuser in den vergangenen Jahren stark beschnitten. Investitionen, die getätigt werden konnten, wurden eher für große Geräteanschaffungen aufgewendet als zur laufenden Instandhaltung von Geräten und Gebäuden. Bei einigen Projekten der staatlichen Investitionspläne Hôpital 2007 und Hôpital 2012 waren die Kosten aus dem Ruder gelaufen.
Daraufhin wurde 2013 mit dem Copermo (Comité pour la performance et la modernisation des établissements de santé) ein zentrales Entscheidungsgremium geschaffen, um Investitionen und die finanzielle Situation der Krankenhäuser stärker zu überwachen. Damit konnte die Verschuldung in den letzten Jahren stabilisiert werden. Das Copermo gilt aber in seinen Entscheidungen über Investitionen vielfach als zu restriktiv, zu langsam und als abgehoben vom tatsächlichen Bedarf in den Regionen. Darüber hinaus wurde dem Gesundheitssektor ein großer Rückstand in der Digitalisierung gegenüber Deutschland und dem Vereinigten Königreich bescheinigt.
Die Verschuldung öffentlicher Krankenhäuser ist zwischen 2005 und 2014 von 12 auf 30 Milliarden Euro angewachsen, verharrt aber seitdem etwa auf dem Niveau. Nach einer Schätzung des Rechnungshofes für den Gesundheitssektor IGAS (Inspection générale des affaires sociales) lag sie 2019 bei 30,2 Milliarden Euro. Ganze 42 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser gelten als überschuldet und müssen jede weitere Kreditaufnahme vorab genehmigen lassen.
Etwa 83 Prozent öffentlicher Kliniken wenden weniger als 3 Prozent ihrer Umsätze für laufende Investitionen auf, aber etwa 4 bis 5 Prozent für Zinszahlungen. Laufende Investitionen für die Instandhaltung von Gebäuden und Geräten von 3 Prozent der Umsätze gelten in Frankreich als Mindestmaß, um die Funktionsfähigkeit von Kliniken und eine minimale Instandhaltung zu gewährleisten. Seit 2015 liegt der Anteil im Durchschnitt öffentlicher Krankenhäuser unter dieser Schwelle.
Nach Daten von IGAS lag der Durchschnitt 2018 bei 2,6 Prozent. Die Investitionen für größere Vorhaben in der Krankenhausinfrastruktur sind von einem Höchststand 2012 von 6,2 Prozent auf 2018 etwa 2,1 Prozent gefallen. Für neue Geräte lag die Rate 2018 bei etwa 1,4 Prozent. Entsprechend ist die Überalterung von Gebäuden und Geräten in den vergangenen Jahren weiter angestiegen.
Die Investitionskomponente des Hilfspakets Segur de la Santé, das im Juli 2020 vorgestellt worden ist, soll diesen Problemen Rechnung tragen. Am 9. März 2021 hat das Gesundheitsministerium nähere Details zum Investitionsprogramm veröffentlicht. Von 19 Milliarden Euro sollen für 6,5 Milliarden Euro Schulden der Krankenhäuser übernommen werden, um ihnen mehr Luft für laufende Investitionen zu verschaffen. Sie addieren sich zu einer ersten Schuldenübernahme von 13 Milliarden Euro, die der Staat bereits 2019 zugesagt hat, die aber noch nicht umgesetzt werden konnte. Diese Maßnahmen dürften die Krankenhäuser finanziell stark entlasten, auch wenn die finanziellen Folgen der Coronakrise noch nicht klar sind.
Maßnahme | Investitionen (Mio. Euro) |
---|---|
Finanzierung neuer Investitionen (über 10 Jahre) | 9.000 |
Laufende Investitionen der Krankenhäuser | 1.500 |
Größere Infrastrukturvorhaben | 6.500 |
Reserve | 1.000 |
Entschuldung von Krankenhäusern (über 10 Jahre) | 6.500 |
Instandsetzung von Pflegeheimen und neue Pflegekapazitäten (über 5 Jahre) | 1.500 |
Digitalisierung (über 3 Jahre) | 2.000 |
Digitalisierung in Pflegeheimen | 600 |
Behindertenheime (über 10 Jahre) | 300 |
Gesamt | 19.300 |
Der Plan sieht aber auch neue Investitionsmittel vor, über die anders als bisher verfügt werden soll. Den Krankenhäusern sollen 8 Milliarden Euro für Investitionen in Gebäude und Geräte zufließen. Das Ministerium hatte Ende 2020 zunächst 650 Millionen Euro für laufende Investitionen bereitgestellt. Nach zahlreichen Cyberattacken auf Krankenhäuser hat Präsident Macron im Februar 2021 verkündet, dass 350 Millionen Euro von den 2 Milliarden Euro für Digitalisierungsvorhaben zur Stärkung der Cybersicherheit eingesetzt werden sollen.
Das nationale Entscheidungsgremium Copermo wird durch den Conseil national de l'investissement en santé (CNIS, internationaler Investitionsrat) und ein Conseil scientifique (Wissenschaftsrat) ersetzt. Der CNIS soll aber nur noch über Vorhaben über 150 Millionen Euro entscheiden müssen. Zuvor lag die Schwelle bei 50 Millionen Euro.
Darunter entscheiden die 17 regionalen Gesundheitsbehörden ARS (Agences régionales de santé). Sie erhalten dafür zusätzliches Personal und können auch auf nationale Experten zugreifen. Die ARS sind aufgerufen, andere Akteure wie lokale Mandatsträger und das Personal in den Krankenhäusern eng in die Entscheidungen einzubinden. Gleichzeitig wird auch in Frankreich eine Diskussion darüber geführt, wie Krankenhäuser künftig gebaut werden sollten, um Notsituationen wie der Coronakrise besser begegnen zu können.
Trotz fallender Investitionen in den letzten Jahren werden in Frankreich eine Reihe von großen Vorhaben in der Krankenhausinfrastruktur vorangetrieben. Für eine neue Universitätsklinik im Norden von Paris wurde im März 2021 Renzo Piano als Architekt ausgewählt. Die Universitätsklinik Montpellier hat einen neuen Masterplan bis 2040 vorgestellt. Trotz eines erhöhten Risikos von Überschwemmungen soll das Krankenhaus an Ort und Stelle renoviert werden, da ein Umzug als zu teuer gilt. Andere Projekte wie etwa eine neue Universitätsklinik in Reims werden im Lichte der Krise neu strukturiert.
Projektbezeichnung | Investition (Mio. Euro) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Entwicklungsplan Universitätsklinik Montpellier bis 2040 | 1.000 | Ausbau und Modernisierung auch zum Schutz vor Überschwemmungen, neues Krankenhaus (500 Mio. Euro) | |
Neue Universitätsklinik auf Île de Nantes | 953 | Terrain gekauft und Erdarbeiten begonnen (Oktober 2020); Fertigstellung bis 2026 | |
Bau einer Universitätsklinik in Paris (Campus Hospitalo-Universitaire Grand Paris-Nord) | 740 | Projekt angepasst; mehr Betten geplant; Renzo Piano Building Workshop als Architekt ausgewählt (März 2021) | |
Investitionsplan für Überseegebiet Martinique | 448 | Unter anderem Instandsetzung von Krankenhaus Trinité (70 Mio. Euro) | |
Neues Krankenhaus Hôpital Trousseau | 397 | Noch keine Baugenehmigung; Baubeginn 2022 | |
Neue Universitätsklinik in Reims | 383 | Projekt soll angepasst werden, um Krise Rechnung zu tragen; | |
Instandsetzung und Ausbau Hôpital Saint-Faron in Meaux | 169 | Architektenbüro AIA Life Designers ausgewählt; Baubeginn Mai 2022; Fertigstellung Ende 2025 | |
Instandsetzung Centre hospitalier intercommunal Alençon-Mamers (Chicam) | 148 | Bisher keine Finanzierung; könnte von neuen staatlichen Investitionsmitteln profitieren | |
Erweiterung und Umbau, Hôpital Fondation Rothschild in Paris | 76 | September 2020 angekündigt, Fertigstellung bis 2025 | |
Neues Klinikgebäude Gabriel-Montpied-3 | 55 | Architektenbüro Architecture Studio ausgewählt; Fertigstellung Juli 2025 |
Zu den Auswirkungen der Coronakrise auf den Gesundheitssektor siehe GTAI-Bericht "Pandemie setzt Gesundheitssektor weiter unter Hochdruck".