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Branchenbericht Italien Digitale Wirtschaft
Die Bruchsaler Firma SEW-Eurodrive ist einer der Marktführer für Antriebstechnik und -automatisierung. In Italien begleitet sie die Industrie in die 4.0-Zeit.
13.02.2020
Von Oliver Döhne | Mailand
Als globales, inhabergeführtes Familienunternehmen beschäftigt SEW-Eurodrive 17.000 Menschen in 51 Ländern und erzielte 2018/19 einen Umsatz von über 3,2 Milliarden Euro. SEW-Eurodrive produziert weltweit in 16 Werken. Eins der modernsten ist die Intelligente Fabrik in Solaro bei Mailand, wo Kunden sich vernetzte Prozesse mit autonomer Logistik ansehen können. Beim Aufbau dieser intelligenten Fabrik akkumulierte das Unternehmen derart viel neues Wissen, dass dieses neben der Antriebstechnik zu einem neuen Geschäftsfeld wurde. Giosuè Cavallaro, Marketing Manager bei SEW-Eurodrive Italien, erklärt die Aktivitäten der Firma und die Perspektive des digitalen Wandels in Italien.
Was sind die Kernkompetenzen von SEW-Eurodrive und welche sind Ihre Aktivitäten im Bereich Industrie 4.0?
SEW-EURODRIVE entwickelt Lösungen und Technologie für die Industrie-, Logistik- und Prozessautomatisierung. Wir bieten Antriebssysteme und maßgeschneiderte Lösungen mit integrierten IoT-Sensoren und intuitiven Schnittstellen für intralogistische Bewegungen, die mit allen Phasen des Prozesses und jeder Maschine und Anlage verbunden sind. So integrieren wir Energieeffizienz, vorausschauende Wartung und Sicherheit in "4.0"-Optik. Mit vernetzten, modularen und flexiblen Automatisierungstechnologien machen wir Unternehmen und Produktionsprozesse agiler, schneller und effizienter.
Welche Rolle spielt Italien als Absatzmarkt?
Italien ist Europas zweitgrößter Produzent von Industriemaschinen und besitzt viele Original Equipment Manufacturer (OEM), die ihre Maschinen in die ganze Welt exportieren. Unsere wichtigsten Abnehmer kommen aus den Sektoren Food & Beverage, Automotive, Metallproduktion und -verarbeitung sowie Textil und Bekleidung; Branchen, bei denen Italien über renommierte Hersteller und Marken verfügt, die auf der ganzen Welt bekannt sind und Veränderungen auf dem Markt vorantreiben. Das macht Italien für uns zu einem der attraktivsten europäischen Absatzmärkte, sowohl für komplette Maschinenautomatisierungslösungen und Material Handling, als auch für fahrerlose Transportfahrzeuge für den Warentransport und Montageprozesse.
Welche sind Ihre erfolgreichsten Produkte in Italien?
Mit seinen vielen OEMs ist Italien für uns traditionell ein starker Absatzmarkt für Motoren und Getriebemotoren. Dazu kommen Elektronik, Wechselrichter und SPS/Controller für Maschinen. Unsere Kunden fragen aber auch immer mehr selbstfahrende Systeme für Produktions- oder Montagewerke nach; ein Trend, den wir sowohl mit unseren mobilen Assistenzsystemen als auch mit der Modularität einer vernetzten und kompletten Automatisierungsplattform antizipieren. Beide Lösungen sind in Italien sehr erfolgreich. Zum einen sind sie flexibel und einfach zu bedienen, zum anderen bringen sie Konnektivität und Interoperabilität in die Fertigung. Diese sind zentrale Vorbedingungen für den großen Zukunftstrend Mass Customization, der in Italien besonders die Lebensmittel- und Getränkeindustrie, aber auch viele andere Konsumgüterhersteller, umtreibt.
Wie wirkt sich die digitale Revolution auf das Geschäftsmodell von SEW-Eurodrive aus?
Die Digitalisierung hat erhebliche Auswirkungen auf alle Unternehmensbereiche, nicht nur auf die technische Entwicklung und die Geschäftsmodelle, sondern auch auf die Arbeitsweise: Die gestiegenen Ansprüche unserer Kunden an Ad Hoc-Konfigurationen, Qualität, Zuverlässigkeit, immer kürzere Lieferzeiten sowie einen Service, der genau an ihren spezifischen Bedürfnissen orientiert ist, haben uns dazu bewogen, die Montageprozesse und die Arbeitsabläufe in unserer Produktionsanlage in Solaro grundlegend zu überarbeiten.
So entstand dort eine Smart Assembly Plant mit Montageinseln und untereinander vernetzen Produktionsbereichen, die auf allen Prozessebenen verbunden sind. Ein agiler Produktionsprozess, bei dem das Handling von Material und Komponenten an Mobile Assistance Systems (MAS) übertragen wird. Diese Systeme bestehen aus von uns gefertigten fahrerlosen Transportfahrzeugen mit SEW-EURODRIVE-Technologien und -Software, mit speziellen Funktionen und Zubehör je nach Art des Materials oder der Bearbeitung. Diese Systeme folgen vorgegebenen Abläufen, behalten dabei aber autonome Entscheidungsflexibilität, abhängig von Variablen des Produktionsprozesses.
Mit Hilfe der intelligenten Fabrik sind wir in der Lage, neue autonome Antriebssysteme zu testen und gleichzeitig unseren Kunden die Chancen und Herausforderungen der Konnektivität am konkreten Beispiel zu veranschaulichen und bei Interesse das System auch für sie zu entwickeln.
Das Geschäftsmodell dieser selbstfahrenden Assistenzfahrzeuge unterscheidet sich stark von dem der Automatisierungstechnik und richtet sich an End User, also typischerweise Produzenten von Konsumgütern. Diese haben andere Anforderungen an Flexibilität und Effizienz haben als die Maschinenbauer (OEM). Wir mussten daher neue Fähigkeiten innerhalb des Unternehmens entwickeln und sowohl ein Verkaufsteam als auch ein engagiertes Beraterteam definieren, um den neuen Bedürfnissen unserer Kunden gerecht zu werden.
Wenn sich die Bedürfnisse der End User ändern, weil sie in Richtung Mass Customization gehen, hat das nicht nur Auswirkungen auf die von uns angebotenen technischen Lösungen, sondern auch auf die Interaktion mit dem Kunden, die nämlich ebenfalls deutlich individueller und personalisierter ablaufen muss.
Immer mehr Unternehmen bevorzugen E-Business-Plattformen gegenüber herkömmlichen Tools. Daher mussten wir einige Prozesse neu definieren und spezielle Fähigkeiten erwerben, sowohl um unseren Online-Support (die E-Commerce-Plattform von SEW-EURODRIVE) anzupassen als auch die Benutzerfreundlichkeit aller digitalen Berührungspunkte des Unternehmens zu verbessern.