Dieser Inhalt ist relevant für:
ItalienWindenergie
Branchen
Branchen | Italien | Windenergie
Nach längerem Projektstau konkretisieren sich erste Offshore-Windparks. Die Zukunft könnte schwimmenden Wind- und Solaranlagen gehören. Deutsches Knowhow ist gefragt.
15.01.2021
Von Oliver Döhne | Mailand
Der grüne Kurs der Europäischen Union (EU) und der technische Fortschritt bringen frischen Wind in einen Sektor, der in Italien zwar schon immer ein großes Potenzial hatte, aber bis heute nicht gestartet ist: die nachhaltige Offshore-Energiewirtschaft. Geeignete und nutzbare Flächen auf dem Land werden knapp, gleichzeitig ist Italien vom Meer umschlossen, nutzt das Potenzial aber nicht.
Dass bislang keines der rund 25 in der Vergangenheit angestoßenen Windkraftprojekte Realität wurde, liegt in erster Linie an Bedenken, die malerischen und auch touristisch relevanten Küstenregionen optisch zu verschandeln. Da der Meeresboden in Italien meist schnell tief abfällt, schieden Windparks mit festen Fundamenten abseits der Küste bislang als Option aus.
Die Entwicklung schwimmender Anlagen durch internationale Energieunternehmen öffnet Italien nun die Möglichkeit, auch außerhalb der Sichtweite von Touristen und Anwohnern Offshore-Windkraftanlagen zu installieren.
Hier kommen insbesondere windreiche Gebiete zwischen Italien und Tunesien sowie vor Sardinien ins Betracht. In der Adria könnten Kombinationen aus Windparks, schwimmenden Solaranlagen, Wasserstoffumwandlungsanlagen und Stromumspannwerken eine wichtige Rolle beim nachhaltigen Einsatz bestehender Erdöl- und -gasplattformen (Decommissioning) spielen, wie zum Beispiel beim AGNES-Projekt der italienischen Engineeringfirma Saipem vor Rimini.
Der Handlungsbedarf ist hoch. Die Vorgaben der EU bedeuten für Italien einen deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien, die nicht alleine durch Solarenergie, Onshore-Windkraft, Biogas und Geothermie gedeckt werden können, zumal immer mehr Regionen sich gegen neue Windparks auf dem Land sträuben. Im Nationalen Energie- und Umweltplan, den Italien in Brüssel einreichte, sind bis 2030 mindestens 900 Megawatt an schwimmender Windkraftkapazität geplant. Da die Technologie aber erst um 2030 wettbewerbsfähig werden könnte, ist ab diesem Zeitpunkt mit einem noch wesentlich deutlicheren Ausbau zu rechnen.
Projekt/Ort | Umfang | Firmen | Stand |
Floating Windpark 7Seas Med vor Trapani (Sizilien) | 25 Turbinen mit jeweils 10 MW, 741 Mio. Euro Projektkosten | Copenhagen Infrastructure Partners (laut Pressemeldungen) | Umweltprüfung beantragt, Ergebnis bis 2023 erwartet |
Floating Windpark vor der Südwestküste Sardiniens | 42 Turbinen mit jeweils 12 MW, 1,4 Mrd. Euro Investitionen | Konzessionsantrag gestellt, Bau evtl. ab 2023 | |
Windpark Rimini (Adria) | 58 Turbinen mit jeweils 5,6 MW, 1 Turbine mit 5,2 MW | Konzessionsantrag gestellt, Bau evtl. ab 2023 | |
Windpark Beleolico, Hafen von Taranto | 10 Turbinen mit jeweils 3 MW | Renexia (Toto Holding) | Installation 2021 |
Floating Windpark, MedWos, vor der sizilianischen Westküste | 190 Turbinen, insgesamt 2,9 GW, 9 Mrd. Euro | Renexia (Toto Holding) | Konzessionsantrag gestellt, Freigabe bis 2023 erwartet |
Windpark Romagna 1, Adriaküste vor Ravenna | 15 Turbinen mit jeweils 8 MW | Agnes, Saipem, Qint'x | Konzessionsantrag gestellt, Bau evtl. ab 2023 |
Windpark Romagna 2, Adriaküste vor Ravenna | 50 Turbinen mit jeweils 8 MW | Agnes, Saipem, Qint'x | Konzessionsantrag gestellt, Bau evtl. ab 2023 |
Windpark Marche 1, Adriaküste vor Fano/Pesaro | 30 Turbinen mit jeweils 10 MW | Agnes, Saipem, Qint'x | Studienphase |
Floating Solar X Land, Adriaküste vor Ravenna | 100 MWp | Agnes, Saipem, Qint'x | Patentierungsphase |
Italien beteiligte sich kaum an der Entwicklung der schwimmenden Anlagen. Eine Ausnahme ist Saipem, das die erste kommerzielle Anlage der norwegischen Equinor vor der schottischen Küste installierte, 2021 einen eigenen Prototyp für schwimmende Windkraftanlagen bei Neapel testen wird und sich zudem bei der Patentierung von schwimmenden Solaranlagen beteiligt.
Wegen des Nachholbedarfs besteht in der italienischen Industrie insgesamt ein erhöhtes Interesse an internationalen Kooperationen. "Es wäre sehr interessant zu sehen, wo es hier Synergien zwischen deutschen und italienischen Unternehmen gibt", sagt Ingenieur und Planer Luigi Severini, eine der Schlüsselfiguren für Offhore-Windkraft in Italien. Severini konzipierte Italiens ersten Nearshore-Windpark, der nach längerer Verzögerung im Jahr 2021 als Pionieranlage im Hafen von Taranto in Apulien in Betrieb gehen soll. Schon bei diesem Projekt war eine deutsch-italienische Kooperation vorgesehen, die jedoch daran scheiterte, dass die deutsche Senvion nach Insolvenz und Übernahme durch Siemens, die bestellten Turbinen nicht weiter produzierte.
Falls schwimmende Windparks, wie von Experten erwartet, bis zum Ende der Dekade rund 40-Prozent kostengünstiger werden, könnte das Mittelmeer zu einem sehr interessanten Einsatzfeld werden, neben Frankreich und Italien zum Beispiel auch in Griechenland.
Severini, der an zwei geplanten größeren Projekten in Sardinien und Sizilien beteiligt ist, hält es für sinnvoll, spezielle Turbinen und Konstruktionen für die mediterranen Verhältnisse zu entwickeln. Schließlich sind die Windverhältnisse und der Seegang im Mittelmeer moderater als in nördlichen Gewässern, die bisherigen Anlagen aber alle auf die dortigen Extremverhältnisse zugeschnitten. Hier könnten spezielle Mittelmeermodelle Kosten sparen, die Effizienz erhöhen und Projekte einfacher Realität werden lassen.
Für die Projekte in Sizilien und Sardinien erwartet Severini bis 2023 die nötige Genehmigung der Umweltverträglichkeit und plant unter anderem mit Siemens-Turbinen (Sizilien) und mit der Tetra Spar-Plattformtechnik des dänischen Ingenieurs Henrik Stiesdal. Diese Technologie ermöglicht es, die schwimmende Basis aus den gleichen Stahlröhren wie die Windtürme zu konstruieren.
Bei einer Massenproduktion für Mittelmeer-Windparks wäre Italien mit seiner langen Tradition der Stahlherstellung und Metallverarbeitung geografisch bestens positioniert, zum Beispiel mit dem Stahlwerk Ilva in Taranto.
Als Investoren für die schwimmenden Windparks in Italien stehen laut Pressemeldungen unter anderem Copenhagen Offshore Partners (Sizilien) sowie das Mailänder Unternehmen Ichnusa Wind Power (Sardinien) bereit, wobei über letzteres bislang wenig bekannt ist. Auch der US-Fonds Apollo ist, bei positiv verlaufender Genehmigung, offenbar an einem Projekt in Sizilien interessiert, das das italienische Unternehmen Renexia entwickelt. Renexia, das zum italienischen Engineeringkonzern Toto Holding gehört, baut zurzeit in den USA vor der Küste von Maryland einen größeren Offshore-Windpark.
Obwohl sich laut Severini die Entscheider in der Regierung mittlerweile bewusst sind, welche wichtige Rolle die Offshore-Windkraft auf dem Weg zur Klimaneutralität und nachhaltigen Energieerzeugung Italiens spielen kann, verzögert sich der neue Förderpakt für erneuerbare Energien (FER 2) immer weiter, während Frankreich in den kommenden Jahren bereits spezielle Auktionen durchführt.