Branchen | Italien | Bauwirtschaft
Marktchancen
Die Bauwirtschaft behält die höchste Zuversicht aller Branchen im Land. Die besten Wachstumsaussichten bestehen momentan in der Infrastruktur und im Gewerbebau.
10.08.2022
Von Oliver Döhne | Mailand
Italiens Bauwirtschaft bleibt 2022 auf Expansionskurs, wenn auch mit weniger Elan als im starken Jahr 2021. Antrieb kommt weiterhin von den umfassenden Fördermaßnahmen und dem Mittelzufluss aus Europa. Gleichzeitig leidet die Branche unter höheren Kosten für Rohstoffe und Vorprodukte, aber auch unter planerischen Defiziten in der öffentlichen Verwaltung und dem Missbrauch der Anreize.
Umweltboni laufen nicht reibungslos
Zugpferd der Branche waren bislang die staatlich geförderten Renovierungsmaßnahmen mit einem besonderen Schwerpunkt bei der energetischen Sanierung von Gebäuden und Wohnungen. Renovierungen waren im Jahr 2021 für 37,5 Prozent aller Bauinvestitionen in Italien verantwortlich. Zwar laufen die attraktiven Förderinstrumente wie Superbonus 110, Ecobonus, Fassaden-Bonus, Bonus Ristrutturazione etc. weiter, aber laut Branchenverband ANCE stellt der Missbrauch der Förderung ein zunehmendes Problem dar.
Da Hausbesitzer ihre Steuergutschriften aus der Förderung an Baufirmen abtreten können, bei Letzteren aber bislang zu wenig oder keine Qualifikationen eingefordert werden, hat das italienische Finanzamt die Banken nun zu einer starken Wachsamkeit und Prüfung dieser Vorgänge aufgefordert. Das führt laut ANCE zu deutlich längeren Ablaufzeiten mit entsprechenden Folgeproblemen. Daher rechnet ANCE damit, dass es 2022 hier zu einem Rückgang der Investitionen kommen wird. Angesichts des großen Bedarfs an Renovierungen und Sanierungen ist jedoch insgesamt trotz der Schwierigkeiten mit weiterer Aktivität zu rechnen, zumal die Themen eine prominente Rolle in Italiens Recovery Plan und der Verwendung der europäischen Fördergelder haben. Die größte Zuversicht in der Bauindustrie besteht daher bei spezialisierten Baudienstleistern wie Installateuren.
Neubau holt auf
Besser ist die Lage im Wohnungsneubau, der 2021 aber nur für rund 11 Prozent der Bauinvestitionen stand. Immerhin stieg die Anzahl neuer Wohnungsbaugenehmigungen im 1. Quartal 2022 gegenüber dem Vorquartal mengenmäßig um 4 Prozent und bei der Wohnfläche um 3,7 Prozent. Der Zuversichtsindex der im Gebäudebau tätigen Firmen stieg, nach einem leichten Rückgang im Mai, im Juni und Juli 2022 wieder an und liegt deutlich über dem Index der verarbeitenden Industrie. Der Branchenverband ANCE rechnet für den Wohnungsneubau real mit 4,5 Prozent zusätzlichen Investitionen im Jahr 2022. Neubauten spielen vorwiegend in Mailand eine Rolle, wo ehemalige Industrieareale und Rangierbahnhöfe sich in moderne grüne Multifunktionsviertel verwandeln, meist unter privater Regie. Großer Bedarf besteht auch in Rom, allerdings ist dort laut Fachleuten das Umfeld weniger dynamisch und komplexer als im Norden.
Der Gewerbebau und der Infrastrukturbereich sind ist im Aufwind. Im Nichtwohnungsbau entwickeln sich die Baugenehmigungen bereits seit mehreren Jahren positiv und nahmen auch im 1. Quartal 2022, gemessen an der Fläche, gegenüber dem Vorquartal um 21,5 Prozent zu. Angesichts einer insgesamt soliden Konjunktur, Nearshoring-Tendenzen und dem Logistikausbau holen viele Unternehmen Investitionen nach. Allerdings sind die Kredite für den Nichtwohnungsbau im Jahr 2021 deutlich zurückgegangen, was auch beim Verband ANCE eine gewisse Besorgnis hervorruft.
Staat verbessert und erweitert Infrastruktur
Der Infrastrukturbau steht im Mittelpunkt von Italiens Modernisierungsplänen, insbesondere die Mobilitätsinfrastruktur. Neben Bahnstrecken, Autobahnen und Häfen, sind auch Talsperren, Aquädukte, Wasserleitungen, Kläranlagen, Schulen, Krankenhäuser und die Energiewirtschaft wichtige Ziele öffentlicher Baumaßnahmen. Eine zunehmende Rolle kommt auch dem Katastrophenschutz zu sowie der Ertüchtigung öffentlicher Gebäuden gegen Erdbeben, Hangabrutsche und Überschwemmungsgefahren. Ein Bremsfaktor beim Ausbau der öffentlichen Infrastruktur besteht laut Marktkennern bei den planerischen Defiziten lokaler Behörden, was oft zu einer Verschleppung von Projekten führt.
Marktvolumen der Bauwirtschaft in Italien (in Millionen Euro, reale Veränderung in Prozent)
Kennziffer | 2022 | Veränderung 2022/21 |
---|---|---|
Wert der Bauinvestitionen insgesamt, davon | 176.614 | 15,4 |
Wohnungsbau | 87.446 | 21,7 |
Neubau | 17.108 | 7,6 |
Sanierung, Renovierung | 70.338 | 25,7 |
Nichtwohnungsbau | 89.168 | 9,8 |
privat | 56.836 | 11,4 |
öffentlich | 32.332 | 7,1 |
Chancen für deutsche Firmen
Produkte und Dienstleistungen deutscher Unternehmen sind gefragt unter anderem beim Ausbau der Bahnstrecken und Häfen, zum Beispiel für Anbieter von Spezialequipment. Durch die umfangreichen Mittel des Recovery Fonds könnten auch darüber hinaus größere Projekte und solche, die nicht zum Standardrepertoire einheimischer Firmen gehören, wieder häufiger ausgeschrieben werden. Dazu zählen zum Beispiel Schulen, Stadien, Krankenhäuser, Bahnstationen und Busterminals. Expertise ist ebenfalls bei Smart- und Green City-Projekten gefragt, die von immer mehr Städten ins Rollen gebracht werden.
Konzepte für zugängliche, nachhaltige und moderne Gebäude bestehen nicht nur bei Mailänder Bürotürmen sondern auch in kleineren Städten und Gemeinden. Besonders der Bedarf an Beratung und Equipment für mehr Energieeffizienz ist groß. Informationen zu den Rahmenbedingungen für Architekten und Bauingenieure enthält unsere Publikation Architekturdienstleistungen in Italien.
Ausgewählte Großprojekte in Italien (Investitionen in Millionen Euro)
Vorhaben | Investitionssumme | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken Palermo-Catania-Messina; Neapel-Bari; Terzo valico dei Giovi (Genua-Mailand); Brescia-Verona-Padua; Turin-Lyon, Salerno-Reggio Calabria, nuovo valico di Brennero | 45.958 | Planung, Fertigstellung zwischen 2024/2028 | |
Autobahnbau Salerno-Reggio Calabria; SS 106 Jonica Reggio Calabria-Tarent; Ragusa-Catania ; Pedemontana Veneta, Agrigento-Caltanissetta-A19 | 20.964 | Planung, Fertigstellung bis 2026 | |
Turin Linie 1, Rom Linie C; Neapel Linie 1 und 6 | 9.410 | Im Bau, Fertigstellung bs 2027 | |
Wohn-, Einkaufs- und Bürokomplex City Life, Mailand | 2.100 | Im Bau, Fertigstellung 2023 | |
Revitalisierung des Areals der ehemaligen Stahlfabrik Falck/Città della Salute, Sesto S. Giovanni bei Mailand | 2.000 | Planungsphase, Fertigstellung 2025/2026 | |
Milano Innovation District (AREXPO) | 1.300 | Fertigstellung 2023 | |
Anas Smart Roads (mehrere Autobahnen landesweit) | 1.000 | Fertigstellung 2030 | |
Wissenschafts- und Technologiepark Genua | 680 | Fertigstellung 2023 | |
Olympisches Dorf 2026/Revitalisierung Rangierbahnhof Scalo Porta Romana | k.A. | Planungsphase, Fertigstellung 2025 |