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Branchenbericht Marokko Bau
Die marokkanische Bauwirtschaft wartet ungeduldig auf ein Ende des Coronastillstands. Und sie hofft, dass die Erfogsstory im Infrastrukturbereich weiter geht.
20.05.2020
Von Michael Sauermost | Marokko
Marokkos Bauwirtschaft hofft im Frühjahr 2020 auf Schadensbegrenzung. Die Coronapandemie hat die Branche größtenteils gelähmt. Durch den damit verbundenen, zwischenzeitlichen Stillstand sind sämtliche Prognosen für den Bausektor 2020 hinfällig beziehungsweise nicht realisierbar. Hoffnungen ruhen auf einer baldigen Wiederaufnahme der Baustellenaktivitäten und einem Schub nach der Krise. Branchenvertreter teilen die positiven Prognosen für die Großprojekte, bei denen Finanzierungsmodelle noch realisierbar seien.
Der Hochbau mit seiner Erfolgsstory bescherte Marokko bislang solide Baugeschäfte. Hingegen stand die Entwicklung des Tiefbaus in den letzten Jahren bisweilen auf der Kippe. Das Fundament in Form von Rahmenbedingungen steht und an Geschäftschancen mangelte es in Marokkos Bauwirtschaft in der Vergangenheit ebenfalls nicht. Laut Ministère de l´Aménagement du Territoire National, de l´Urbanisme, de l´Habitat et de la Politique de la Ville erwirtschaftete der Bausektor im Jahr 2018 rund 6,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Spektakuläre Infrastrukturprojekte sowie staatliche Urbanisierungsmaßnahmen sorgten für den Rückenwind, wenngleich letztere selbst vor der Coronakrise teilweise ins Stocken gerieten. Etwa 80 Prozent der Umsätze lassen sich auf staatlich initiierte Projekte zurückführen. Dies wird bisweilen als Schwäche des Sektors ausgelegt.
Der Branchenverband, Fédération Nationale du Batiment et Traveaux Publics (FNBTP), beklagte im April 2020 einen Corona-bedingten Umsatzrückgang bei seinen Mitgliedsunternehmen von bis zu 75 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode. Das Geschäft lähmen nicht nur Finanzierungsengpässe - sondern das allgemeine Arbeitsverbot auf Grund der Hygienevorschriften. Der Mangel an Material und Arbeitskräften resultiert nicht zuletzt auch aus den Transport- und Mobilitätseinschränkungen. Laut Haut-Commissariat au Plan (HCP) hatten im April 2020 etwa 60 Prozent der registrierten Baufirmen ihre Aktivitäten vorübergehend eingestellt.
Die Zementnachfrage, als Indikator für die Dynamik des Bausektors, entwickelte sich im Laufe des Jahres 2019 noch verhalten positiv. Rund 13,6 Millionen Tonnen wurden nachgefragt. Das waren etwa 2 Prozent mehr als im Jahr 2018. Zwar ging der Zementabsatz in Marokko im April 2020 um 70 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zurück, jedoch dürfte dieser "Coronaeffekt" über das komplette Kalenderjahr weitaus schwächer ausfallen, kalkulieren beziehungsweise hoffen Branchenvertreter. Allgemein wird nach Ende des Lockdowns mit einer raschen Erholung gerechnet. Das Umsatzminus für 2020 könnte sich auf 20 Prozent belaufen. Derzeit wird ein Verbrauch von 10,9 Millionen Tonnen prognostiziert.
Der Branchenverband Conféderation Générale des Entreprises de Maroc geht davon aus, dass der Anteil des informellen Sektors im marokkanischen Baugewerbe bei etwa 30 Prozent liegt. Die Regierung ist - bislang mit wenig Erfolg - bemüht, diese Quote zu reduzieren. Eine zunehmende Digitalisierung der Abläufe in der Bauwirtschaft könnte die Baubranche transparenter machen. Diese Entwicklung könnte durch die Umstände der Coronapandemie beschleunigt werden.
Das Haut-Commissariat au Plan (HCP) gibt regelmäßig "Wasserstandsmeldungen" zur Baukonjunktur ab, die auf Branchenumfragen bei größeren Unternehmen beruhen. Nach zwei Vorjahren, die mit marginalen Zuwächsen für die Bauindustrie nur bedingt zufriedenstellend ausfielen, ermittelte das HCP in ihren Umfragen für 2019 relativ stabile Bauaktivitäten. Die Auslastungskapazität der Firmen lag wie bereits in den Vorjahren bei rund 70 Prozent - ohne Berücksichtigung der Schattenwirtschaft. Diese Quote könnte nach einem Ende des Corona-Lockdowns schnell wieder erreicht werden, hoffen optimistische Branchenvertreter.
Für den Sektor stellt die zunehmende Urbanisierung im Königreich eine zunehmende Herausforderung dar. Laut Recencement général de la Population et de l´Habitat (RGPH) soll im Jahr 2050 ein Anteil von etwa drei Viertel der Marokkaner in den großen Städten wohnen. Entsprechend sind zwar zahlreiche Wohnungsbauprojekte gestartet - allerdings mit mäßigem Erfolg. Bis 2021 sieht der Plan der öffentlichen Wohnungsbaupolitik die Errichtung von 800.000 neuen Einheiten vor. Zum Jahresende 2019 war davon die Hälfte noch nicht erreicht.
Investoren spekulieren derweil auf eine Fortsetzung der massiven Bauaktivitäten im Infrastrukturbereich. Die Erfolgsbilanz der letzten Jahre ist beeindruckend und soll in den kommenden Jahren fortgeschrieben werden. Neben dem Ausbau von Häfen, Flughäfen steht auch der Eisenbahnsektor weiter auf dem Fahrplan der Regierung.
Ende 2018 wurde prestigeträchtig die erste TGV-Strecke eingeweiht. Bis 2030 soll das Hochgeschwindigkeitszugnetz eine Strecke von 1.500 km umfassen. Der Plan „Rail Maroc 2040“ gibt die Richtung vor. Das Projekt dürfte laut Originalplan des Office National des Chemins de Fer (ONCF) mehr als 16 Milliarden US$ erfordern - rund 34 Milliarden US$ inclusiver begleitender Infrastruktur. Auch im öffentlichen Nahverkehr warten Pläne auf ihre Umsetzung.
Im Straßenbau hat die Regierung für den Zeitraum zwischen 2018 und 2035 Investitionen von insgesamt 23 Milliarden Euro anvisiert. Ein neues Wasserprogramms (Plan National de l´Eau) sieht Investitionen von knapp 12 Milliarden US$ vor. Im Energiesektor will Marokko die Rolle Vorreiter in Sachen "Renewables" - vor allem durch neue Solar- und Windprojekte - bekräftigen.
Rein private ausländische Investitionen spielten bisher nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings dürften sie in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Branchenvertreter gehen davon aus, dass sich die Regierung nach der Coronakrise stärker als vorher für Public-Private-Partnership-Vorhaben (PPP) interessieren dürfte.