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Pandemie gibt Markt für Computerspiele starke Impulse
Computerspiele und Gaming-Apps sind auch in Russland ein Milliardengeschäft. Die Zahl der zahlenden Nutzer steigt. Deutsche Entwicklerstudios suchen Kooperationsmöglichkeiten.
13.10.2021
Von Gerit Schulze | Moskau
Kaum ein russisches Produkt erreicht weltweit so viele Verbraucher wie Cut the Rope. Über 1 Milliarde Downloads verzeichnete das Denkspiel für Smartphones bereits. Entwickelt wurde es vom Moskauer Softwarestudio ZeptoLab. Die App illustriert die globale Erfolgsgeschichte der russischen Games- und Appbranche.
Russland gehört zu den Top Ten im Absatzmarkt weltweit
Das Land gehört heute zu den zehn größten Märkten für Computerspiele. Während es bislang vor allem bei der Entwicklung und Programmierung neuer Games für Furore sorgte, wird es nun auch als Absatzmarkt interessant. Dafür hat nicht zuletzt die Coronapandemie gesorgt. Im Jahr des Lockdowns 2020 sind die Umsätze mit Videospielen um 35 Prozent auf 163,4 Milliarden Rubel (knapp 2 Milliarden Euro, Jahreswechselkurs der EZB 2020: 1 Euro = 82,72 Rubel) gestiegen. Das ergab eine Untersuchung des Entwicklerstudios My.Games. Für das laufende Jahr 2021 erwarten Experten ein Wachstum von 15 bis 18 Prozent.
Die weltweit größten Märkte für Computerspiele
Land | Umsatz in Mrd. US$ (2019) |
---|---|
China | 28,8 |
USA | 27,2 |
Japan | 18,6 |
Südkorea | 8,2 |
Vereinigtes Königreich | 6,1 |
Deutschland | 5,0 |
Frankreich | 4,5 |
Italien | 2,4 |
Kanada | 2,3 |
Russland | 2,2 |
Dazu trägt die wachsende Zahl der regelmäßigen Nutzer von Computerspielen bei, die bei rund 77 Millionen liegt. Davon spielen über 69 Millionen Menschen auf mobilen Geräten. Die größten Umsätze werden in Russland aber weiterhin mit Games für Personal Computer (PC) gemacht. Denn auf Smartphones laden die Nutzer meist kostenlose Apps herunter. Außerdem sind Spielcafés immer noch sehr populär, wo junge Leute ihre Lieblingsvideospiele an gut ausgestatteten Rechnern spielen können. Landesweit soll es rund 600 solcher Einrichtungen geben.
Spielkonsolen sind kaum verbreitet
Weniger populär als auf westlichen Märkten sind Spielkonsolen, sagt Konstantin Sachnow, Game Producer und Gründer verschiedener Entwicklerstudios in Moskau. „Als Konsolen ihren Boom erlebten, war die Kaufkraft in Russland noch sehr niedrig. Bis heute sind die Hardware und Spiele für viele Anwender bei uns zu teuer“, erklärte der Branchenexperte bei einer Konferenz mit deutschen Unternehmen aus der Games- und Appbranche. „Potenzielle Konsolennutzer spielen in Russland eher auf dem PC oder auf mobilen Geräten.“
Bild vergrößernSpieleproduzent Sachnow arbeitet seit 15 Jahren in der Branche und hat auch einen Studiengang für Projektmanagement im Videospielbereich an der Higher School of Economics in Moskau mitgegründet. „Denn auch wenn wir als Verbrauchermarkt bei Games noch nicht sehr groß sein mögen – als Entwicklerstandort sind wir schon jetzt sehr stark“, meint der IT-Spezialist. Programmierer und Gamedesigner seien in Russland viel günstiger als in der Europäischen Union oder in Nordamerika.
In den IT-Zentren fehlen Fachkräfte
Gerade in den IT-Zentren wie Moskau oder Sankt Petersburg sind Fachkräfte aber bereits knapp. Das bestätigt Marina Lopatina, Projektmanagerin bei TalentsInGames, einer Plattform zur Personalvermittlung für die Computerspielbranche. Am meisten gesucht würden zurzeit 2D- und 3D-Illustratoren, Gamedesigner, Qualitätsmanager (QA-Engineer) und C++-Entwickler. Für solche Positionen zahlen russische Arbeitgeber bei Fremdsprachenkenntnissen bereits 250.000 Rubel und mehr pro Monat (rund 3.000 Euro, Wechselkurs der EZB am 6. Oktober 2021: 1 Euro = 83,62 Rubel), zeigt eine Untersuchung der Online-Stellenbörse Rabota.ru. Laut Personalmanagerin Lopatina verzeichnen auch die Regionen ein starkes Lohnwachstum bei Spezialisten für Videospiele. Zusätzliche Incentives zum Gehalt und ein angenehmes Betriebsklima seien wichtig, um die Experten an Unternehmen zu binden.
Geschäftschancen für deutsche Unternehmen
Outsourcing, Lizenzvergabe, Koproduktionen |
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Im Oktober 2021 fand eine Markterkundungsreise für deutsche Unternehmen aus der Games- und Appbranche in Russland statt. Die Firmen wollten ausloten, welche Geschäftschancen sich in dem Land eröffnen könnten. Kooperationsmöglichkeiten gibt es bei der gemeinsamen Entwicklung neuer Computerspiele, die immer komplexer und teurer werden. Auch als Absatzmarkt für deutsche Games wächst Russlands Bedeutung, da die Zahl der zahlungsbereiten Nutzer steigt. Deutsche Entwickler könnten zum Beispiel Lizenzen ihrer Entwicklungen an russische Entwicklerstudios verkaufen und so in den Markt einsteigen. Vor allem deutsche Indie-Games sind gefragt. Umgekehrt können deutsche Studios Lizenzen von russischen Entwicklern erwerben und gewinnbringend in Deutschland vermarkten. Außerdem hat Russland viele hoch qualifizierte Fachkräfte, die über Outsourcingmodelle genutzt werden können. |
Die Entwicklerszene für Gaminganwendungen ist vielfältig. Eine von der Wirtschaftshochschule HSE erstellte Liste der Computerspielhersteller in Russland listet rund 210 Unternehmen auf. Knapp die Hälfte davon hat ihren Sitz in Moskau. Weitere regionale Cluster sind Sankt Petersburg mit 33 Firmen, Nowosibirsk mit 19 sowie Tscheljabinsk und Kaliningrad mit je sieben Studios.
Große Player dominieren immer stärker das Geschäft
Allerdings konsolidiert sich der Markt und einige Unternehmen dominieren bereits das Geschehen. Oft verfügen nur die großen Firmen über ausreichend Finanzmittel, um ihre Spiele international erfolgreich zu vermarkten. Dazu gehört die Mail.ru-Gruppe mit der Plattform My.Games. Der Geschäftszweig hatte 2020 umgerechnet 500 Millionen Euro und damit ein Drittel der Erlöse des gesamten Internetkonzerns erzielt.
Als weiterer großer Player drängt Sber, die führende Bank des Landes, in das Geschäft. Der Finanzkonzern will 100 Millionen US-Dollar (US$) investieren, um unter dem Label "Sber Games" ein Entwickler- und Produktionsstudio sowie einen Verlag für Computerspiele zu gründen. Das Unternehmen ist an internationaler Kooperation interessiert und sucht neue Ideen für Spiele. Außerdem will es kleineren Entwicklern eine Plattform zur Vermarktung ihrer Produkte bieten. Ebenso steht die Übernahme von kleineren Studios und Softwarefirmen auf dem Programm.
Der Markt wird zunehmend attraktiv, weil russische Anwender immer häufiger bereit sind, für Computerspiele zu zahlen. Der durchschnittliche Verkaufspreis für ein Smartphone-Game stieg 2020 um 46 Prozent auf 949 Rubel (11,50 Euro). Schon jeder achte Russe zahlt regelmäßig für Gamingdienste im Abonnement. Dabei sind die Spieler bereit, durchschnittlich 3 Euro pro Monat zu zahlen.
Abomodelle setzen sich durch
Cloud-Gamingdienste, bei denen die Spiele gestreamt werden, setzen sich auch in Russland rasant durch. Die Zocker brauchen dann keine leistungsfähige Hardware mehr, sondern nur eine gute Internetverbindung. Laut PwC lag der russische Markt für Cloud Gaming 2020 bei 4,6 Millionen US$. Das Volumen soll sich jedes Jahr nahezu verdoppeln und 2024 bereits 68 Millionen US$ erreichen. Davon werden vor allem lokale Anbieter profitieren wie My.Games, der Mobilfunkbetreiber MTS in Kooperation mit GFN.RU sowie SberPlay. Auch andere Mobilfunkbetreiber wie Megafon oder Tele2 drängen in den Markt.
Weiterführende Informationen
Bezeichnung | Anmerkung |
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Erstellt von der Wirtschaftshochschule HSE | |
Regierungsverordnung 2516-r vom 20. September 2021 | |
Größte russische Plattform für Spiele-Entwickler | |
Entwicklerstudio und Publisher für Computerspiele | |
Eines der größten russischen Entwicklerstudios mit über 3.000 Beschäftigten weltweit | |
Fortbildungsprogramm Management für Games-Projekte | Programm an der Higher School of Economics |
Regelmäßige Konferenzreihe für Entwickler, Publishers, Game Designer, Programmierer und Illustratoren | |
Verbrauchermesse für Computerspiele in Moskau. Die im Oktober 2021 geplante Veranstaltung wurde auf 2022 verschoben. |