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Der tiefe Einbruch des Tourismus im Pandemiejahr 2020 lässt spanische Hotels neue Wege gehen. Zudem werden sie zu Übernahmezielen für Investoren.
27.11.2020
Von Oliver Idem | Madrid
Nach sieben Rekordjahren in Folge sorgt die Corona-Pandemie 2020 für einen plötzlichen Absturz des Tourismussektors in Spanien. Der Branchenverband Exceltur erwartete im Oktober 2020 für das Gesamtjahr 106,2 Milliarden Euro weniger Tourismuseinnahmen. Damit lägen die Zahlen um knapp 70 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Die Prognosen ergeben sich aus dem Rückgang von 75,9 Milliarden Euro im direkten und von 30,3 Milliarden Euro im indirekten Bereich.
Im Oktober 2020 erwarteten nur noch 10 Prozent der Unternehmen des Sektors, dass bereits 2021 das Vorkrisenniveau erreicht werden könnte. Mit 46 Prozent sehen die meisten dieses Niveau erst 2022 erreicht und 44 Prozent rechnen mit einer noch späteren Erholung.
Im 3. Quartal 2020 zählte Exceltur 80 Prozent weniger Übernachtungen und Ausgaben ausländischer Gäste im Land sowie 30 Prozent weniger Inlandsnachfrage. Besonders betroffen waren die größten Städte Madrid und Barcelona sowie die Inseln. Die Hotels im Land verbuchten Umsätze, die um 70,8 Prozent unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums lagen.
Die Schätzung von Exceltur geht für das 4. Quartal sogar von einem Absturz um 82,5 Prozent aus. Diese Verschlechterung zieht auch die Erwartung für das Gesamtjahr 2020 nach unten. Direkte und indirekte Einnahmen sollen zusammen nur noch 46,4 Milliarden Euro betragen. Damit fällt die Tourismusbranche auf das Niveau von 1995 zurück.
Staatliche Hilfsmaßnahmen für Tourismusunternehmen summierten sich bis Ende September 2020 auf rund 25 Milliarden Euro. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Avale und Kredite, die zurückgezahlt werden müssen.
Vor der unerwarteten Krise war der Konsolidierungsdruck im zersplitterten Hotelsektor gering. Nun zeichnet sich ab, dass die Konzentration stark zunehmen wird. Viele Branchenunternehmen benötigen Liquidität oder wollen Schulden abbauen. Staatliche Maßnahmen wie das Avalprogramm der Regierung oder die in der Tourismusbranche verbreitete Kurzarbeit dämpfen die Schwierigkeiten, verschieben sie aber für manche notleidenden Hotels nur in die Zukunft.
Um die Auslastung zu steigern, lassen sich Hotels für unterschiedliche Zielgruppen neue Angebote einfallen. Hotelzimmern werden als Homeoffice angeboten, die Bandbreite der Internetverbindung für Videokonferenzen verbessert oder Gemeinschaftsräume als Co-Working-Spaces umgestaltet und stundenweise vermietet.
Während der Nebensaison werden Angebote für längerfristige Vermietungen von Zimmern mit dazugehörigem Serviceangebot wie Frühstück und Reinigung entwickelt und Flächen unter freiem Himmel für Veranstaltungen von Unternehmen vorgehalten.
Aus der vorhandenen Infrastruktur entstehen Kombinationen aus Abendessen im Luxusrestaurant und Doppelzimmer oder andere mehrteilige Angebote, Events mit Livemusik und Essen sowie Schnupperangebote für Gäste, die in der gleichen Stadt wohnen.
Besonders individuell ausgestattete Hotels bieten sich für Kino- und Fernsehfilmaufnahmen an. Andere versuchen, sich mit ihren Sporteinrichtungen von der Konkurrenz zu differenzieren.
An den Stellschrauben Preissenkungen und Rabatte, Upgrades, flexiblere Check-in-Zeiten und Stornierungsmöglichkeiten wird ebenfalls gedreht. Vermutlich wird sich nicht jede Idee auf Dauer durchsetzen, aber die Erfahrungen damit können auch nach der Krise wertvoll sein.
Die größte spanische Hotelkette Meliá verschiebt ihre Expansionspläne. Sie verfügt über 326 Hotels mit knapp 84.000 Betten. Aufgrund der in den ersten drei Quartalen aufgelaufenen Verluste verschiebt Meliá laut der Wirtschaftszeitung Cinco Días den geplanten Abschluss von Management-, Miet- und Franchiseverträgen.
Die französische Hotelkette B&B nutzt die momentane Situation hingegen für ihren Expansionskurs. Innerhalb weniger Tage können kleinere Hotels in die Kette integriert werden. Dann können sie laut Cinco Días mit den Systemen von B&B arbeiten und von der Bekanntheit der Kette profitieren.
Im schwer kalkulierbaren Umfeld der anhaltend niedrigen Gästezahlen wollen sich viele Eigentümer von ihren Häusern trennen. Einer Recherche der Tageszeitung El Mundo vom Oktober 2020 zufolge standen allein auf zwei großen Immobilienportalen insgesamt circa 1.400 Hotels zum Verkauf.
Die Angebote reichten von einer Pension mit sechs Zimmern in Almería für 250.000 Euro bis zum 285-Betten-Haus auf Ibiza für 52,5 Millionen Euro. Insbesondere familiengeführte Hotels und kleine Ketten mit maximal fünf Häusern und bis zu 1.500 Betten stehen zum Verkauf. Manche locken Interessenten mit Rabatten von bis zu 15 Prozent.
Auf den Balearischen Inseln wechselten vor der Pandemie Hotels für 400.000 Euro pro Zimmer die Besitzer. Mittlerweile finden sich Offerten für weniger als 100.000 Euro pro Raum. Beobachter rechnen aber damit, dass 2021 vermehrt Hotels die Besitzer wechseln werden. Die Intensität dieses Trends dürfte auch abhängig vom finanziellen Verlauf des Weihnachtsgeschäfts 2020 werden.
Insbesondere in guten Lagen etablierter Tourismusziele und in den großen Städten sondieren Investoren den Markt auf der Suche nach kostengünstigen Zukäufen. So treibt etwa die Apple Leisure Group aus den USA ihren Expansionskurs in Spanien und dort vor allem auf den Urlaubsinseln voran.
Der Hotelsektor zieht derzeit laut der Wirtschaftszeitung Expansión auch das Interesse von Investmentfonds wie Apollo und Oaktree aus den USA, Henderson Park und Round Hill aus dem Vereinigten Königreich oder Pictet aus der Schweiz auf sich.
Rund 200 Hotels in Spanien befinden sich bereits im Besitz von Investmentfonds wie der Blackstone Group (USA), Atom und Portobello (Spanien), Covivio (Frankreich) und CBRE Global Investors (Vereinigtes Königreich).