Dieser Inhalt ist relevant für:
Tschechische RepublikNahrungsmittel, Getränke / Groß- Einzelhandel / Agroindustrie
Branchen
Branchen | Tschechische Republik | Lebensmittelindustrie
Lebensmittelindustrie und -handel waren in Tschechien als Grundbedarfsanbieter während der akuten Phase der Coronakrise im Vorteil. Besonders Onlinesupermärkte haben zugelegt.
25.06.2020
Von Miriam Neubert | Prag
Die Coronakrise und der zwei Monate währende Notstand haben die Lebensmittelwirtschaft in Tschechien unterschiedlich beeinflusst. Als Grundbedarfsanbieter profitierte der Lebensmitteleinzelhandel, da er von den acht- bis zehnwöchigen Geschäftsschließungen, denen andere Einzelhändler oder Dienstleister unterlagen, nicht betroffen war. Während die Zulieferer der Supermärkte zulegen konnten und zum Teil Personal einstellten, standen Lieferanten der Gastronomie, darunter der Großhandel und die Bierbrauer, bis zum 11. Mai 2020 vor verschlossenen Türen. Der Verband der Brauereien rechnet nach dem Spitzenjahr 2019 und einer Produktion von 21,6 Millionen Hektolitern Bier mit einem erheblichen Rückgang und fürchtet vor allem um die Existenz vieler Minibrauereien.
Die Statistik zeigt die Unterschiede auf. Auch weil sich die Haushalte im März massiv mit Vorräten eindeckten, erlöste die Lebensmittelproduktion als eine von wenigen Branchen des verarbeitenden Gewerbes von Januar bis April 2020 mehr als im Vorjahreszeitraum. In laufenden Preisen war es ein Plus von 4 Prozent. Die Umsätze der Getränkehersteller hingegen brachen um 11 Prozent ein. Der Einzelhandel mit Lebensmitteln setzte in dem Zeitraum um 7,6 Prozent mehr um (preisbereinigt um 2 Prozent), was aber vor allem die Supermärkte registrierten. Der Fachhandel mit Lebensmitteln hatte nichts zu lachen bei einem Rückgang von 7,3 Prozent. In der Gastronomie brachen die Umsätze um 24,7 Prozent ein.
Branche | Anzahl der Erwerbstätigen | Anzahl der aktiven Betriebe | Umsatz in Mio. Kč | Umsatz in Mio. Euro 1) |
---|---|---|---|---|
Lebensmittelwirtschaft insgesamt | 472.213 | 207.932 | 1.736.181 | 67.706 |
Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei 2) | 98.100 | 84.194 | 207.939 | 8.109 |
Ernährungsindustrie (Lebensmittel und Getränke) | 102.386 | 10.913 | 377.750 | 14.731 |
Lebensmitteleinzelhandel - nicht spezialisiert | 99.194 | 43.585 | 426.944 | 16.650 |
Lebensmitteleinzelhandel - spezialisiert | 11.343 | 5.633 | 36.359 | 1.418 |
Lebensmittelgroßhandel | 31.368 | 3.419 | 418.327 | 16.313 |
Agrargroßhandel | 5.450 | 1.348 | 75.996 | 2.964 |
Gastgewerbe (HOGA) | 124.372 | 58.840 | 192.866 | 7.521 |
Schwer hatten es durch das mehrwöchige Verbot der Bauernmärkte auch die Landwirte, die ihre Produkte direkt auf diesen Märkten verkaufen – regional fokussiert und ohne Zwischenhändler. Ihnen sprang das Internet zur Seite, etwa in Gestalt des Onlinesupermarkts Košík.cz, der auf seiner Website einen Bauernmarkt aufmachte. Demonstrativ warb Penny Market für den Konsum nationaler Produkte unter dem Motto „Lasst es Euch in Tschechien gut gehen.“ Damit stand die Supermarktkette nicht allein. Gerade bei frischen Waren wie Brot, Fleisch, Wurst, Milch und Molkereiprodukten ziehen tschechische Käufer Umfragen zufolge heimische Anbieter vor. Orientierung liefern Gütesiegel für hochwertige tschechische Lebensmittel wie KLASA oder Regionální potravina.
Der tschechische Lebensmitteleinzelhandel wird von ausländischen Ketten bestimmt. Unter den Top 10 befinden sich sechs deutsche Namen mit Lidl und Kaufland an der Spitze vor Albert (Niederlande), Tesco (Vereinigtes Königreich) und Penny Market. Eine wichtige Rolle spielen auch die tschechischen Supermärkte Hruška und die Genossenschaften Coop und CBA.
Durch Corona hat der elektronische Handel als Absatzkanal im Nahrungsmittelsegment noch einen Sprung gemacht. Marktführer sind Rohlik.cz, Košík.cz und Tesco. Sie wussten schon vorher, ihre Kunden durch Extras wie Lebensmittelampeln, Plastikreduzierungskampagnen oder die Kooperation mit regionalen Erzeugern zu binden. Unter dem Einfluss von Covid-19 konnten sie sich vor Nachfrage kaum retten. Die elektronischen Supermärkte erweitern daher ihr Angebot, automatisieren ihre Lager, bauen neue und expandieren in die Regionen.
Mit rund 16 Prozent ihrer Haushaltsausgaben müssen die Tschechen einen deutlich größeren Anteil für Lebensmittel und nichtalkoholische Getränke aufwenden als die Bürger im Durchschnitt der Europäischen Union (12 Prozent). Eurostat zufolge betrugen diese Konsumausgaben 2018 rund 16 Milliarden Euro. Hinzu kamen 3,3 Milliarden Euro für alkoholische Getränke und 6,6 Milliarden Euro für die Verpflegung außer Haus. Seit Jahren nehmen diese Ausgaben zu.
Angesichts eines Bruttodurchschnittslohns von umgerechnet rund 1.330 Euro im 1. Quartal 2020 ist der Preis entscheidend für den Großteil der Nachfrage. Angebotsaktionen sind beliebt und werden in der durch die Pandemie ausgelösten Rezession noch an Aufmerksamkeit gewinnen. Auch die Hausmarken der Handelsketten sind gefragt. Ihr Sortiment wächst. Kaufland vermarktet verstärkt seine vegane Eigenmarke. Globus stellt Hausmarken zum Teil im Supermarkt selbst her.
Position | Ausgaben 2018 in Kč | Veränderung 2018/17 in % auf Kronenbasis | Ausgaben 2018 in Euro | Veränderung 2018/17 in % auf Eurobasis | ||
---|---|---|---|---|---|---|
Konsumausgaben insgesamt | 149.162 | 3,4 | 5.817 | 6,2 | ||
Nahrungsmittel | 26.320 | 2,3 | 1026 | 5,0 | ||
Alkoholfreie Getränke | 2.510 | 0,7 | 98 | 3,2 | ||
Alkoholische Getränke | 2.949 | 2,9 | 115 | 5,5 | ||
Gaststätten und Verpflegung außer Haus | 9.025 | 6,7 | 352 | 9,7 |
Die steigenden Löhne erlauben es den Bürgern, zunehmend Markenartikel und hochwertige regionale Produkte nachzufragen. Aspekte wie Nachhaltigkeit, Umwelt und Tierwohl beginnen eine Rolle zu spielen. Dass es möglich ist, Rinder auf der Weide zu halten und für Fleisch zu sorgen, das von der Farm direkt zum Verbraucher kommt, beweist die Farm Kukburg unfern von Prag, die ihre Produkte auch in ihrer Gastronomie anbietet. Der Hof Louchovský dvůr im Kreis Chomutov arbeitet mit aus Frankreich stammenden Salers-Rindern und liefert das Fleisch direkt aus.
Auch die Verpackungen spiegeln diesen Trend wider. Kleine Geschichten zu Nachhaltigkeit und Produktionsweg finden sich etwa auf den Tomatenschachteln der Vertriebsgenossenschaft cerstveutrzeno.cz, die verschiedene mährische Obstfarmen vereint. Wer Verpackungen ohne Plastik sucht oder gar Zero Waste anstrebt, findet in Prag Alternativen bei ersten Unverpacktanbietern wie der Initiative Bezobalu oder dem Geschäft Neobaleno.
Es sind in der Masse nach wie vor die Ausnahmen. Zu den Trends, die oft in Nischen beginnen, sich aber beharrlich ausprägen können, gehört die Nachfrage nach Biolebensmitteln, Allergiker-Produkten, Sportlernahrung, vegetarischen und veganen Alternativen. Noch sind in den Regalen viele dieser Produkte importierter Herkunft.
Von der dynamischen Nachfrage nach Biolebensmitteln will sich Tschechiens ökologische Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion einen Teil abschneiden. Ihr Anteil an der Agrarproduktion erreichte 2018 rund 5 Prozent. Gut 13 Prozent der Äcker werden laut Landwirtschaftsministerium von über 4.600 Farmen bereits ökologisch bewirtschaftet. In der Verarbeitung sind es 750 Firmen und im Handel 950. Fördergelder unterstützen diesen Trend seit Jahren.