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Walmart, CVS und Walgreens wollen stärker in den Markt für Gesundheitsdienste vordringen. Die Pandemie führt zu Änderungen im Patientenverhalten. Einige könnten von Dauer sein.
15.01.2021
Von Heiko Steinacher | San Francisco
Einem Bericht des US-Senders CNBC zufolge hat Walmart im letzten Jahr 15 Gesundheitszentren eröffnet und bis Ende 2021 sollen sieben weitere hinzukommen. Die In-Store-Kliniken des Einzelhandelsriesen verteilen sich auf die Bundesstaaten Georgia, Illinois und Arkansas und bieten Patienten medizinische Grundversorgung, Röntgenaufnahmen, zahnärztliche Untersuchungen, Hördienste und psychologische Beratung an.
Der Markt ist lukrativ: Zum einen geben US-Amerikaner jährlich rund 3,6 Milliarden US-Dollar (US$) für ihre Gesundheit aus. Zum anderen hatten 2015 (letztverfügbare Angabe) nur drei Viertel der US-Amerikaner einen Hausarzt. Dazu kommt, dass – laut der Tageszeitung The Guardian – vor der Pandemie 87 Millionen US-Amerikaner unter- oder gar nicht krankenversichert waren. Da viele während der Coronakrise nicht nur ihre Arbeit sondern auch ihre Krankenversicherung verloren haben, dürfte die Zahl seither noch weiter gestiegen sein.
Besonders diese Kundengruppe will Walmart Health noch stärker an sich ziehen, unter anderem mit besonders niedrigen Preisen: So kostet dort ein Hausarztbesuch nur 40 US$ und eine Zahnreinigung gibt es bereits ab 25 US$, unabhängig vom Versicherungsstatus des Patienten. Außerdem wohnen nach Angaben des Unternehmens 90 Prozent der US-Amerikaner weniger als 10 Meilen (etwa 16 Kilometer) entfernt von einer Walmart-Filiale.
Im Gegensatz zu den Apothekenketten CVS und Walgreens, die ebenfalls in neue Health Center investieren, ist Walmart noch ein Newcomer in dem Segment: Seine erste Klinik eröffnete der Konzern erst 2019 in Dallas, Georgia. CVS will dagegen bis Ende 2021 über landesweit 1.500 Gesundheitszentren verfügen. Walgreens will in seinen Filialen in den nächsten fünf Jahren 500 bis 700 Praxen des Anbieters für medizinische Grundversorgung VillageMD einrichten und dafür rund 1 Milliarde US$ in ihn investieren.
Auch Amazon hat diesen Markt für sich entdeckt: Der Onlinehändler, der 2018 die US-Versandapotheke PillPack übernommen hatte, richtete 2019 im US-Bundesstaat Washington eine virtuelle Arztpraxis ein. Bislang zwar nur für eigene Angestellte, doch könnte sie schon bald einem breiteren Publikum zugänglich sein.
Angesichts der steigenden Lebenserwartung und Zahl von Patienten mit chronischen Erkrankungen rechnet das US-Arbeitsministerium damit, dass fünf der 20 in diesem Jahrzehnt am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige mit Gesundheit und Sozialhilfe zu tun haben werden. Dennoch sind dem Wachstum enge Grenzen gesetzt, da US-Krankenhäuser und -Gesundheitseinrichtungen unter enormem Kostendruck stehen, der sich in der Coronakrise nochmals deutlich verschärft hat.
Denn die im CARES Act Provider Relief Fund vom März 2020 bewilligten 178 Milliarden US$ an staatlicher Unterstützung reichen nicht aus, um die Verluste im US-Gesundheitssystem zu decken: Der Fachverband American Hospital Association schätzt diese bis Ende 2020 auf mindestens 323 Milliarden US$. Immerhin sieht das gegen Ende Dezember verabschiedete, neue Corona-Hilfspaket weitere Mittel für den Kampf gegen die Pandemie vor: darunter 20 Milliarden US$ für die Beschaffung von Impfstoffen, 9 Milliarden US$ für deren Verteilung und 22 Milliarden US$ zur Verbesserung von Tests, Rückverfolgung und Virusbekämpfung.
Neben neuen Kliniken hat Walmart Health im letzten Jahr rund 600 Covid-19-Teststellen eingerichtet und verabreicht in New Mexico seit Dezember Coronaimpfstoffe für Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Auch Anbieter anderer medizinischer sowie ästhetischer Dienste, wie Zahnärzte und Schönheitschirurgen, bieten zunehmend Coronatests auf Selbstzahlerbasis an.
Zur Bekämpfung der Pandemie hat die künftige Biden-Harris-Regierung einen Sieben-Punkte-Plan aufgestellt. Für seine ersten 100 Amtstage hat sich der neu gewählte US-Präsident viel dazu vorgenommen: Er will unter anderem 100 Millionen Impfdosen im Land verteilen und alle US-Amerikaner darum bitten, 100 Tage lang Schutzmasken zu tragen.
Wie sein Vorgänger will auch Biden pharmazeutische und medizinische Versorgungsketten zurück in die USA holen: Während Trump dazu bereits im August Regierungsstellen anwies, "essenzielle Medikamente" nur noch von US-Herstellern zu beziehen (die Aufsichtsbehörde FDA hat daraufhin eine Produktliste veröffentlicht), will Biden hierfür steuerliche Anreize schaffen. Um die in den USA hohen Preise für Arzneimittel zu senken, erwägt Biden Preisdeckelungen. Ferner will er den "Patient Protection and Affordable Care Act" ("Obamacare") zu "Bidencare" ausbauen. Trotz knapper Senatsmehrheit der Demokraten wird Biden viele Beschlüsse ohne parteiübergreifenden Konsens aber kaum durchbekommen. Über diese und weitere Fragen haben wir auch in unserem Webinar zur US-Gesundheitswirtschaft diskutiert.
Zu den Hauptgewinnern der Coronakrise zählt im US-Gesundheitswesen die Telemedizin: Dachten laut JPMorgan Chase vor der Pandemie nur 25 Prozent der US-Amerikaner, dass ihnen telemedizinische Dienste einen Nutzen bringen, waren es im Herbst 2020 bereits 80 Prozent. Daher werden immer mehr medizinische Untersuchungen und Beratungsgespräche online durchgeführt, berichtet die US-Bank. Es ist zu erwarten, dass staatliche Hilfsprogramme und Versicherungen die Kosten für einige in der Pandemiezeit eingeführte Notfallmaßnahmen, darunter telemedizinische, auch danach weiter erstatten werden.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, fand das IQVIA Institut heraus: Während unabhängige Apotheken, Apothekenketten und Arzneiausgaben in Supermärkten 2020 nur einstellige Zuwächse oder sogar Rückgänge verzeichneten, wurden bei Versandapotheken in jedem Quartal 12 bis 22 Prozent mehr Rezepte eingereicht als in der jeweiligen Vorjahresperiode.